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Tiefflieger - Zum Thema - Schnatz / Analyse+Kritik (2)

Tiefflieger - Dresden 1945

 

 

Zu den Ergebnissen der Dresdner Historikerkommission, gehören auch Einzelbeiträge von Kommissionsmitgliedern.

Unter "Ergänzende Beiträge" befindet sich die Ausarbeitung von Helmut Schnatz:

 

 Nachträge zum Komplex Tiefflieger über Dresden

 

Darin setzt er sich auch mit den Ergebnissen meiner Tiefflieger-Forschung auseinander. Sein Beitrag widerspiegelt seine fachliche Kompetenz in Sachen Aktenrecherche. Der interessierte Leser erhält dabei einen Einblick in seine akribische Arbeitsweise, seine kritische Einstellung zu Augenzeugen, seine kompromißlose Denk- und Streitfähigkeit, mithin auch einen Eindruck von seiner Persönlichkeit.

 

Der weiter unten wiedergegebene Text beschränkt sich auf die Seiten 30 - 63. Immer wo notwendig, habe ich ihn mit Kommentaren versehen.

 


 

Helmut Schnatz

 

Nachträge zum Komplex Tiefflieger über Dresden

(Seiten 30 - 63)

 


 

Tiefangriffe auf die Bevölkerung in amerikanischer Sicht

Es ist interessant, zu dem Thema Tieffliegerangriffe noch einen Blick auf die andere Seite zu werfen. Dort fanden, wie der amerikanische Historiker Ronald Schaffer berichtet, im Winter 1944/45 intensive Diskussionen darüber statt, wie der Luftkrieg gegen Deutschland zu führen sei, wobei auch das Motiv der Terrorisierung der Zivilbevölkerung aus der Luft eine Rolle spielte.114

Schaffer führte dazu aus: „Während Psychologen in den Vereinigten Staaten sich bemühten zu bestimmen, ob die deutsche Moral gebrochen werden könnte, fuhren die Planer im Hauptquartier der USSTAF fort, Pläne zu entwickeln, um sie zu brechen. Im Dezember 1944 kamen sie mit einem Entwurf für die Operation CLARION heraus, einem Vorschlag für systematische Terrorangriffe unter dem Titel ‚Generalplan für einen Angriff größten Ausmaßes gegen Transportziele’. Er sah eine große Serie von Angriffen durch kleine Gruppen von Flugzeugen in niedrigen Höhen vor, um Ziele überall in Deutschland zu bombardieren und zu beschießen <strafe>.

 AAF-Führer hatten keine Schwierigkeiten zu verstehen, was CLARION wirklich war, und einige von ihnen protestierten vehement. General Doolittle warnte Spaatz, daß weiträumige Beschießungen (strafing) von Zivilisten hinter den Frontlinien eine in Wut geratene Bevölkerung aufstacheln könnte, sich an alliierten Kriegsgefangenen zu rächen. Deutsche Propagandisten konnten CLARION dazu nutzen, Nazi-Brutalität zu rechtfertigen.“115

Aus den Ausführungen Schaffers geht hervor, daß es in den USAAF durchaus auch Offiziere und Berater gab, die dem Gedanken, die Luftwaffe - und damit auch die Jagd- und Jagdbomberverbände - zur Terrorisierung der deutschen Zivilbevölkerung einzusetzen, aber auch, daß es hiergegen massiven und letztlich erfolgreichen Widerstand gab. Dieser speiste sich aus ethischen, vor allem aber aus praktischen Überlegungen, so die von Schaffer erwähnte Warnung des Generals Doolittle vor der Wirkung weiträumiger Beschießung von Zivilisten. Jedenfalls spricht sie dagegen, daß die US-Luftwaffe Tiefangriffe gegen diese allgemein als Methode ihrer Luftkriegsführung akzeptiert und praktiziert hat.

Wie die erwähnte Anweisung an die Kommandanten der Kriegsgefangenenlager Oberursel und Wetzlar zeigt, wurde das auch von der deutschen Luftwaffe so gesehen.

Es gibt in jeder Armee der Welt und in jedem Krieg Fälle, in denen Soldaten sich über die anerkannten Regeln und Gebräuche der Kriegsführung hinwegsetzen und Kriegsverbrechen begehen. Auch die amerikanischen Streitkräfte waren im Zweiten Weltkrieg nicht frei davon. Das heißt nicht, daß ihre gesamte Kriegsführung oder Teile ihrer Streitkräfte pauschal kriminell gehandelt haben.  Daß den Jagdpiloten dies pauschal nachgesagt wird, ist ein später Nachhall der Goebbels’schen Greuel-Propaganda und zeigt, wie wirksam diese war.

Übrigens scheint man auch nach dem Krieg in den USA bei der Auswertung der erbeuteten deutschen Akten an dem Problem Tieffliegerbeschuß von Zivilisten nicht vorbeigegangen zu sein. Dort wurde der Vernehmungsbericht der Auswertestelle West als Auszug aus einer Akte des OKL entnommen und mit folgendem Kommentar gesondert geführt: „The report contains abstracts of statements made by captured American fighter pilots … relating to their low-level attacks on German targets, May 1944. Some information concerns the strafing of civilians and private housing <Der Bericht enthält Kurzfassungen von Aussagen gefangengenommener amerikanischer Piloten über ihre Tiefangriffe im Mai 1944. Einige Informationen betreffen Tiefangriffe auf Zivilisten und Privathäuser>.“116

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114 Ronald Schaffer, Wings of Judgement. American Bombing in World War II, New York, New York 1985, S. 91f.

115 (Schaffer Fußnote 29): 15.AF, Kopie des Plans der Operation CLARION, 17. Dez. 1944, file 670.430-3, Febr. 1945, AFSHRA (=AFHRA, Air Force Historical Research Agency, Maxwell, Alabama).

116  BArch-MArch RL 2 II/1395.

 

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Wie aus den vorstehenden Ausführungen hervorgeht, ist  das Thema Tiefangriffe im Zweiten Weltkrieg in Deutschland also äußerst komplex und vielschichtig.


Tiefangriffe im Licht von Zeitzeugenerinnerungen

Die Berichte der betroffenen Zeitzeugen zeichnen sich durch große stereotype Konformität aus. Am Beginn der Ausarbeitung habe ich darauf hingewiesen, daß sie meist aus austauschbaren Versatzstücken zusammengesetzt sind. Auch wenn sie nicht aus historischen Quellen angreifbar wären, so sind sie es dagegen oft, wenn man sie an Hand technischer oder naturwissenschaftlicher Bedingungen überprüft. Ich verweise in diesem Zusammenhang allgemein auf meine Untersuchung „Tiefflieger über Dresden?“117

Ergänzend zu dieser Studie soll an dieser Stelle nunmehr exemplarisch   auf einige Aussagen, Tiefangriffe in Dresden am 14. Februar 1945 betreffend, einzugegangen werden. Sie tauchten auf, nachdem unter stürmischem Protest das Buch im April 2000 in Dresden präsentiert worden war.118

Dazu sollen zunächst einige Tiefflieger-Erzählungen von Zeitzeugen als Beispiele aufgeführt und kommentiert werden.

In seinem Artikel über die Veranstaltung im Stadtmuseum Dresden erwähnte Friedrich Karl Fromme, sein Vater hätte nach den drei Luftangriffen auch Schußverletzungen behandelt. Das muß selbstverständlich ernst genommen werden, auch wenn es die Erklärung, bei den angeblichen Tiefangriffen habe es sich in Wirklichkeit um Luftkämpfe gehandelt, nicht aufhebt. Denn bei diesen konnten sehr wohl Geschosse Personen am Boden treffen – auch wenn diese nicht die Ziele waren. Siehe hierzu den Hinweis weiter unten auf angeblichen Bordwaffenbeschuß am Rhein, im Westerwald und Franken am 17. August 1943 sowie im Februar 1945, ebenfalls im Westerwald.

Hasso Graf Vitzhum zu Eckstädt teilt mit: „Ich suchte mit meiner Mutter etwa zwölf Tage  nach den Angriffen in der Trümmerwüste nach Spuren von Angehörigen. Im ‚Großen Garten‘ stießen wir – die Winterkälte bremste die Verwesung – auf buchstäblich kleingehackte <Hervorheb. d. Verf.> Menschen. Für den trotz seiner Jugend (leider) hinreichend   erfahrenen Soldaten ließ sich die Metzelei kaum als Folge von ‚Bombenteppichen’, sondern eher als das Ergebnis von Beschuß mit Bordwaffen erklären.“119

Buchstäblich durch Maschinengewehrbeschuß „kleingehackte“ Menschen, das setzt voraus, daß die beschossenen Körper einem Dauerfeuer ausgesetzt gewesen sein müssen, bei dem sie von Geschossen in mindestens zweistelliger Größenordnung, wenn nicht mehr, getroffen wurden. Das ist natürlich zunächst einmal denkbar, zumal wenn man sich vorstellt, daß eine P-51 D sechs 12,7 mm MG besaß, deren Schußfolge zusammen 75 Schuß pro Sekunde betrug. Aber das setzt dann auch voraus, daß die Piloten freies Schußfeld hatten (der Große Garten hat einen dichten Bestand mit alten Bäumen) und die getroffenen Personen regungslos und in einer Entfernung von 400 Meter genau im Kreuzungswinkel von allen sechs Waffen stehn. Außerdem durften diese dafür nicht mit einer Geschwindigkeit von mindestens 280 km/h wandern, sondern sie mußten fest installiert sein. Das wiederum heißt, daß die Mustangs in der Luft hätten stillgestanden, also mit nach unten geneigten Nasen wie Hubschrauber über dem Großen Garten über einem Punkt stillstehend geschwebt haben müssen und die Opfer, offenbar ohne Fluchtversuch oder Deckung zu suchen, sich haben abschlachten lassen.

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117 Helmut Schnatz, Tiefflieger über Dresden? Legenden und Wirklichkeit, Köln 2000.

118 Siehe hierzu auch: Helmut Schnatz, Der Luftkrieg über Absurdistan. Mythenbildung, Rezeption und Augenzeugenreaktionen in der Luftkriegsgeschichte des Zweiten Weltkriegs. In: Informationen für den Geschichts- und Gemeinschaftskundelehrer, Heft 70/2005.

119 Hasso Graf Vitzhum, „ So gründlich vernichtet“, Rhein-Zeitung Koblenz, 10. 5. 2000.

 

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Es ist erheblich realistischer anzunehmen, daß Tote, wenn sie denn wirklich noch nach zwölf Tagen im Großen Garten umhergelegen haben sollen, von Bombensplittern zerrissen, einen schrecklichen Anblick geboten haben.

 

Der Fall ist ein Beispiel dafür, daß selbst ein „hinreichend erfahrener Soldat“ des zweiten Weltkriegs im Abstand der Jahrzehnte seiner Erlebnisse unreflektiert in Form tradierter stereotyper Bilder weitergeben kann.

 

Der folgende Bericht schildert einen Tiefangriff während des zweiten Bombardements in der Nacht des 13./14. Februar 1945: „… es war taghell. Über uns waren keine Bomber, sondern kleinere Maschinen. Direkt über uns – ganz niedrig – kam eine Maschine, sodaß man die zwei Insassen deutlich sehen konnte. Der Pilot nickte dem Mann hinter sich zu, der schaute auf uns und schon sahen wir das Mündungsfeuer seiner MG. Es galt uns, es war nach unten gerichtet. … ich war wie von Sinnen, stand da und schrie nach oben: ‚Warum tut ihr das, ich habe euch doch nichts getan!’

Ein alter Soldat …, der sich auch auf unsere Wiese geflüchtet hatte, riß mich herunter mit den Worten: ‚Dein Gesicht dient denen als Zielscheibe!’ und warf mir eine Decke über.“120

 

Die Schilderung wirkt sehr konkret und damit authentisch. Nur: während des geschilderten Angriffs operierten über Dresden keine kleinen zweisitzigen Maschinen, sondern nur die schweren viermotorigen Lancaster mit sieben Mann Besatzung; es gab in diesem Stadium des Krieges keine leichten britischen Flugzeuge, bei denen die beiden Besatzungsmitglieder hintereinander saßen und auch keine mehr, aus denen man ein Maschinengewehr auf einem Drehkranz beweglich nach unten richten konnte. Die Erzählerin gibt eine Szene als ihre eigene Erfahrung wieder, wie sie sie in den zahlreichen Fliegerfilmen der Vorkriegszeit und in den ersten Kriegsjahren gesehen haben konnte.121 Im übrigen: so wie der Vorgang geschildert wird, müßte das Flugzeug in der Luft stillgestanden haben, um das Opfer beschießen zu können. Und schließlich: bei dem zweiten Nachtangriff auf Dresden war die niedrigste geflogene Höhe der Bomber 2 300 Meter.122

 

In der Sächsischen Zeitung heißt es in einem Leserbrief, zitiert aus einem als glaubwürdig bezeichneten Bericht: „… erlebten wir einen … Tagesangriff. Die Bomben eines Tieffliegers schlugen so dicht bei uns ein, daß wir die aufspritzenden, nicht zu kleinen Erdklumpen abbekamen…“123

 

Der Vorgang als solcher ist nicht zu bestreiten. Nur: es kann gar kein Tiefflieger gewesen sein, dessen Bomben dicht neben der Gewährsperson einschlugen.

 

Die Flugzeuge, die in Dresden Tiefangriffe geflogen haben sollen, waren Jagdeinsitzer des Typs P-51 Mustang. Dies wird von vielen Augenzeugen auch nicht bestritten. Es hat aber erhebliche Konsequenzen für die Aussage. Nach dieser müßte die Bombe von einer P-51 abgeworfen worden sein.

 

Die P-51 Mustang war ein einmotoriges Flugzeug und hatte keinen Bombenschacht im Rumpf, aus dem Bomben, ausgelöst, herausfallen konnten. Wenn dieser Flugzeugtyp solche mitführte, also in einer Rolle als Jagdbomber, dann trug er sie, und zwar zwei, in einer Außenaufhängung unter den Tragflächen.

 

Als einmotoriges Flugzeug hatte die P-51 Mustang eine normale Reichweite, die es ihr nicht gestattete, bis  nach  Dresden und zurück nach  England,  bzw. Belgien zu fliegen, schon gar

 

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120  Brief von Jutta Zwahr, Dresden, an die Sächsische Zeitung, 15. 2. 2000.

121 Siehe hierzu die Bilder in Anhang 7.

122  Interceptions/Tactics No 35/45, Night 13/14 February 1945 (National Archives at Kew, Air 24/307).

123 Dr. Gerhard Heres, Tiefflieger-Angriff im Großen Garten, Sächsische Zeitung Dresden vom 20.4.2000. Eine vergleichbare Aussage in „Tiefflieger über Dresden?“, S. 32; hierhin gehört auch der Bericht Victor Klemperers in: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1942-1945, Berlin 2. Aufl. 1995, S. 669.

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nicht mit einer Bombenlast. Vielmehr brauchte diese Maschine hierfür abwerfbare Langstrecken-Zusatztanks. Diese mußten für den Angriff auf Dresden am 14. Februar 1945 unter den Tragflächen an der gleichen Vorrichtung aufgehängt werden, an der vor Jagdbombereinsätzen die Bomben eingeklinkt wurden. Die Begleitjäger konnten also gar keine Tiefangriffe mit Bombenabwurf in Dresden an diesem Tag durchführen.

 

Es ist der Augenzeugin für ihren Text kein Vorwurf der Falschaussage zu machen, solche wesentlichen  technischen  Einzelheiten  sind,  wenn  überhaupt,  für  die meisten Zeitzeugen erst Nachkriegswissen gewesen. Nur: aus ihnen wird im nachhinein klar, daß es der Luftangriff der viermotorigen Bomber aus großer Höhe war, den sie als Tiefangriff beschreibt, und damit scheidet er als Beweis für die behaupteten Tiefangriffe automatisch aus. Tatsächlich waren am 14. Februar 1945 alle Bomben durch viermotorige B-17 Flying  Fortress aus einer Höhe um 7 000 Meter abgeworfen worden. Diese wiederum konnten  keine Tiefangriffe fliegen.

Daß tatsächliche Hochangriffe als Tieffliegerangriffe erlebt und gedeutet wurden, läßt sich auch anderswo feststellen. Offenbar handelt es sich dabei auch um ein sprachliches Problem insofern, als Tiefflieger als Allgemeinbegriff zur Bezeichnung für alle Arten von Luftangriffen diente, bei denen starker Motorenlärm den Eindruck von Tiefflügen vermittelte. Daneben ist in Erzählungen auch festzustellen, daß die Flughöhen visuell wahrgenommener Flugzeuge weit unterschätzt wurden. Offenbar bewirken panische Angst und das Gefühl der Hilflosigkeit, die dabei immer mitspielen, verzerrte Wahrnehmungen.

In diesen Zusammenhang gehört auch die Darstellung des amerikanischen Bombenangriffs am 14. Februar von Viktor Klemperer. Sie wird verschiedentlich als Beleg für Tiefangriffe  angeführt. Klemperer beschreibt zunächst, wie ein Sanitäter seine von den Rauchgasen gereizten Augen behandelt und fährt dann fort: „Ich ging, ein wenig erleichtert, langsam zurück; nach wenigen Schritten höre ich über mir das bösartig stärker werdende Summen eines rasch näher kommenden Flugzeugs. Ich lief rasch auf die Mauer  <der Brühlterrasse> zu, es lagen schon mehr Menschen dort, warf mich zu Boden,  den Kopf gegen die Mauer, das Gesicht in die Arme gelegt, schon krachte es, und  Kieselgeröll rieselte auf mich herab. Ich lag noch eine Weile, ich dachte: ‚Nur jetzt nicht noch nachträglich krepieren!’  Es gab noch einige entferntere Einschläge, dann wurde es still.“124

Nimmt man Klemperer wörtlich, so war an dem Angriff, gleich ob Bomben- oder Tiefangriff, nur ein einziges Flugzeug beteiligt. Betrachtet man Klemperers gesamten Text über die  Zerstörung Dresdens insgesamt,125 fällt zum 13. Februar zunächst seine Bemerkung auf: „Wäre es nun bei diesem ersten Angriff geblieben, er hätte sich mir als der bisher schrecklichste eingeprägt, während er sich jetzt, von der späteren Katastrophe überlagert, schon zu einem allgemeinen Umriß verwischt. Man hörte sehr bald das immer tiefere und lautere Summen nahender Geschwader, das Licht ging aus, ein Krachen in der Nähe. … neues Herankommen, neue Beengung der Todesgefahr, neuer Einschlag. Ich weiß nicht, wie oft sich das wiederholte. … Es kamen neue Einschläge …“ Zum zweiten Angriff: „Wir kamen in den Hausflur der Nr. 3. Indem ein schwerer, naher Einschlag. Ich drückte mich kniend an die Wand … Ich rief mehrmals nach Eva. Keine Antwort. Schwere Einschläge. … dann ein Schlag am Fenster neben mir, etwas schlug heftig und glutheiß an meine rechte Gesichtsseite. … Vor mir lag ein unkenntlicher großer freier Platz, mitten in ihm ein ungeheurer Trichter. Krachen, Taghelle, Einschläge. Ich dachte nichts, hatte nicht einmal Angst … ich erwartete das Ende… Wir rannten in eine flammenumgebene, aber fest aussehende Halle. Die Bombeneinschläge schienen für hier vorüber.“126 Das ist das gleiche Vokabular, mit dem er den Vorgang vom 14. 2. mittags beschreibt. Klemperer war immerhin Sprachwissenschaftler  und   konnte,  wie  man  aus  seinen  Texten  ersieht, mit dem  Wort 

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124 Victor Klemperer, Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1942-1945, Berlin 2. Aufl. 1995, Bd. 2, S. 669.

125 Ebd. ab S. 661f.

126 Ebd. S. 663.

 

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umgehen. Und diesem Mann sollte das Vokabular für Bordwaffenangriffe: aufheulende Motoren, rattern, knattern, prasseln, rasseln, pfeifen, hämmern usw. nicht zur Verfügung gestanden haben? Das heißt Klemperer bei aller Vagheit in der Beschreibung des dritten Angriffs als Linguisten zu unterschätzen. Das angeführte Rieseln betrifft Kalk- bzw. Mörtelstaub nach einer heftigen Erschütterung durch einen Bombeneinschlag.

 

Auch hierfür gibt es weitere Belege. Auf S. 734 So beschreibt Klemperer eine gleiche Situation auf dem Bahnhof in Ingolstadt am 10. April 1945: „Ich ging sehr zufrieden die Bahnhofshalle … zurück, da hörte ich ein schweres Sausen über mir, sprang in den Eßsaal und lag, während es krachte und die Scheiben klirrten, kniend an einem Pfeiler. … Ich sagte mir sogleich: ein einzelner Tiefflieger. Tatsächlich hatte sein Abwurf einen Abort in der Nähe des Eßraumes getroffen. … ich machte noch eine Zettelnotiz; da hieß es, jetzt fliege ein Verband ein, man solle den Keller aufsuchen. …Man stand dicht gedrängt. Ein schweres Krachen, Kalkstaub rieselte in die Augen, das Licht ging aus…“127 Das es sich in diesem Fall tatsächlich zunächst um einen bombenwerfenden Jagdbomber gehandelt hat, ist in diesem Fall durchaus möglich, da zu diesem Zeitpunkt  der bayerische Luftraum durch US-Jabos  von deutschen Flugplätzen aus beflogen wurde. Der weitere Angriff ist auch belegt, es handelt sich um einen Bombenteppich von zehn B-17 Flying Fortress, die das Reichsbahngelände in Ingolstadt als Sekundärziel angriffen.128

 

Klemperer fährt dann fort: „Das Ganze sah nicht allzu schlimm aus – wir hörten auch später, als  wir vor Tieffliegern in einem Haus am Wege unterstanden, daß es nur einige verletzte, aber keine Toten gegeben habe. ... Hierbei, wie gesagt, suchten wir zum erstenmal <10., bzw. 9. April 1945!> vor Tieffliegern Schutz, wie es uns seitdem zur täglichen Gewohnheit geworden ist.“129  Seltsam, daß er an dieser Stelle nichts über Dresden sagt.130

 

Und schließlich zum 25. April 1945:  „Von überall hörte man Frontfeuer, Bombendetonationen, ziehende Verbände und avions de chasse <Jagdflugzeuge, HS> in großer Höhe, herabstoßende Jäger, das Rattern eines MG-Streifens…“ Der Unterschied zur Schilderung des 14. Februar 1945 ist markant.

Ein weiteres Erzählmotiv ist die Hetzjagd, die alliierte Jagdpiloten auf einzelne Personen veranstaltet haben sollen: “ … ist Leopoldine Krüger selbst noch am 15. Februar 1945 von britischen Tieffliegern durch die Straßen gejagt worden. ‚Das habe ich selbst erlebt, da nehme ich kein Blatt vor den Mund. Ob sie wirklich geschossen haben, weiß ich nicht. Aber sie hatten erkennbar ihren Spaß daran, uns in Schrecken zu versetzen.’“131 Hierzu ist zu sagen, daß am 15. Februar 1945 keine englischen Flugzeuge bei Tage im Luftraum Dresden operierten, schon gar nicht Tiefflieger, deren Reichweite Flüge nach Dresden nicht erlaubt hätte.

Vor der Veranstaltung am 18. April 2000 im Stadtmuseum wurde dem Oberbürgermeister von Dresden ein Brief zugestellt. Darin heißt es: „Am Rande der Stadt Plauen jagten mich Tiefflieger über eine Wiese – ich entkam ihnen – es traf einen Bauern mit seinen Pferden,  der … Feldarbeiten ausführte.“ 132

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127 Ebd. S. 734.

128 Nach Roger A. Freeman, The Mighty Eighth War Diary, revised edition London 1990, S. 484, hat sich der  Angriff allerdings schon am 9. April 1945 zugetragen.

129  Klemperer, Ich will Zeugnis ablegen, Bd. 2 S. 735.

130 In einer Email vom 31.Dezember 2007 an Verf. verweist Gert Bürgel auf einen Artikel Klemperers in der „Sächsischen Zeitung“ vom 13. 2. 1950 „Der Höllentanz“ mit der Angabe „am Nachmittag, auf der Flucht vor dem Tieffliegerangriff, mit dem die Amerikaner Nachlese hielten.“ Offenbar hat er dabei übersehen, dass dies seine Version von Tiefangriffen am Vormittag über den Haufen wirft. Hierzu weiter unten.

131 Artikel von Andreas Platthaus, Zeigt das Leben danach. Eine Trümmerfrau in der Film-Premiere von  „Dresden“, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. Februar 2006.

132 Ursula Mann, NPD-Mitglied, Winfried Petzold, NPD-Mitglied und Vorsitzender des LV Sachsen der NPD, Schreiben an den Oberbürgermeister der Stadt Dresden vom 18. 4. 00, Durchschlag im Besitz des Verfassers.


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Jemanden über eine Wiese – oder auch stadtauswärts, wie in einem Leserbrief ausgeführt wird133 - zu jagen, heißt doch, ihn über eine bestimmte Distanz vor sich her hetzen, wobei der Hetzende immer hinter dem Gehetzten bleiben und, als Flieger, außerdem in sehr geringer Höhe fliegen muß, weil er sein Opfer ja sonst nicht vor sich hertreiben kann. Soll es sich nicht um ein reines und schnelles Überfliegen handeln, muß ein solcher Vorgang naturgemäß eine bestimmte Zeit andauern, aber wie lange?

Die Schilderung einer Hetzjagd von Personen, die von einem Flugzeug verfolgt werden, impliziert in jedem Fall Todesangst der Gejagten, und das kann nur bedeuten, daß sie so schnell wie möglich vor ihm hergerannt sein müssen, denn sie wollten dem Jäger ja auf jeden Fall entkommen – so wie die Briefschreiberin ja auch von sich behauptet, daß es ihr schließlich gelungen sei.

Nicht zu bestreiten ist, daß ein Jagdflugzeug und eine Person sich in sehr verschiedenen Geschwindigkeiten bewegen. Diejenige von Personen kann differieren, aber eine junge, untrainierte, in normaler Kleidung, mit normalem Schuhwerk und auf normalem Untergrund, etwa einer Wiese, kann die Strecke von 100 Metern schätzungsweise in ca. 25 Sekunden sprinten. Ihre Geschwindigkeit beträgt dann ca. 4m/sec oder 14 km/h. Länger als drei- oder vierhundert Meter und 100 Sekunden wird sie – auch mit Todesangst im Nacken – dieses Tempo nicht durchhalten. Dann wird sie automatisch langsamer, sofern sie nicht schon vorher völlig außer Atem ist.

Das bedeutet andererseits, daß eine P-51 D, deren Pilot angeblich Personen über eine gewisse Distanz vor sich her jagt, das erstens in sehr geringer Höhe – etwa 30 – 50 Meter – und zweitens in extrem langsamem Flug tun muß.

Das hetzende Flugzeug hätte dann mit genau oder etwas weniger als 14 km/h hinter ihr her fliegen müssen. Was aber wäre dann eingetreten?

Die P-51 hatte ein Leergewicht von 3,232 Tonnen, voll beladen wog sie 5,262 Tonnen, während eines Einsatzes über Ostdeutschland mochte sie aktuell 4,5 Tonnen gewogen haben. Um dieses Gewicht in der Luft zu halten, benötigt ein Flugzeug eine Mindestgeschwindigkeit, die es nicht unterschreiten darf, zumal nicht unmittelbar über dem Boden. Um die Höhe halten zu können, muß dieses Minimum oberhalb der Landegeschwindigkeit liegen. Der Sink- oder Landeanflug der P-51 D begann mit einer Fahrt von 170 Meilen, das entspricht 272 km/h oder 75 m/sec, dann mußte sie Landeklappen und Räder ausfahren und hielt dann noch etwa 184 bis 192 km/h (51 – 53 m/sec) bis zum Aufsetzen.134

Hält das Flugzeug die Mindestgeschwindigkeit von rd. 175 Meilen (280 Km/h = 78 m/sec) bei der Hetzjagd nicht ein, zerschellt es wegen der geringen Flughöhe unweigerlich sofort am Boden.

Das bedeutet: das hetzende Flugzeug muß, um in der Luft zu bleiben, mindestens eine um das 19,5 fache höhere Geschwindigkeit haben als die vor ihm her laufende Person. Konkret gesprochen entwickeln sich die Distanzen folgendermaßen:

 

Sek.        Läufer:             Flugzeug:

1              4 m                   78 m

2              8 m                   156 m

3              12 m                 234 m

4              16 m                 312 m

5              20 m                 390

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133 Peter Hoffmann, Vogelwiese entlang, Sächsische Zeitung vom 16. 2. 2000.

134 AAF Manual 51-127-5, Pilot Training Manual for the P-51 Mustang. Headquarters Army Air Forces, Washington 1945, S. 58.

 

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                                           6                24 m              468 m

                                           7                28 m              546 m

                                           8                32 m              624 m

                                           9                36 m              702 m

                                          10               40 m              780 m

                                          15               60 m              1170 m

                                          25              100 m             1950 m

 

Wenn das Flugzeug z. B. den Anflug aus einem halben Kilometer Entfernung ansetzt, ist es  schon in sechseinhalb Sekunden über das Ziel hinweg geschossen. In der Zeit ist das Opfer ganze 24 Meter weit gelaufen.

 

Dabei ist zu bedenken, daß Flughöhen und Geschwindigkeiten wie bei dem von der Zeitzeugin geschilderten Vorgang es dem Piloten nicht erlauben würden, in einen Bahnneigungsflug überzugehen, um die flüchtende Person zu beschießen. Das hätte er aber tun müssen, weil er wegen der starr eingebauten Maschinengewehre mit dem ganzen Flugzeug zielen mußte. Mit anderen Worten, das Flugzeug wäre sofort am Boden zerschellt.

 

Natürlich kann der Pilot, sobald die angeflogene Person unter seinem Flugzeug  verschwunden ist, eine Kurve fliegen und  einen neuen  Anflug aus der Gegenrichtung machen. Hierfür muß er aber erst einmal eine hinreichend größere Strecke gewinnen, damit er genug Zeit hat, um bei 280 km/h  erneut nach seinem Ziel Ausschau halten zu können, d. h., er muß sich erst einmal von der verfolgten Person entfernen und sich neu orientieren. Das aber verschaffte angegriffenen Personen in der Regel Zeit, Deckung zu suchen, und sei sie noch so gering. Wie unter solchen Bedingungen Personen von Tieffliegern über eine nennenswerte Strecke gejagt worden sein sollen, ist nicht vorstellbar. Im übrigen zeigen die von der Luftwaffe erbeuteten Zielphotos im Anhang 9, ein wie winziges und schwieriges Ziel Einzelpersonen im Gelände für Tiefflieger dargestellt hätten.

Luftschutzmäßiges Verhalten für Personen war daher, beim Auftauchen von Tieffliegern sich nicht mehr zu bewegen und sich möglichst klein zu machen, sofern nicht  Hecken, einzelne Bäume, Gebäude, Kapellen, Bildstöcke, Straßengräben, Waldstücke usw. sich als Deckung anboten. Und das taten die Menschen  instinktiv in solchen Fällen. Im Westen des Reiches gab es zudem an den Straßenrändern in kurzen Abständen Deckungsgräben.135

Weiter ist dabei zu bedenken, daß Tiefflieger beim Anflug schon aus größerer Entfernung mit ihren starken 2000-PS-Motoren zu hören  waren – sie warnten gewissermaßen selbst vor sich. So war meistens Zeit genug, Deckung zu suchen.

Die Norm war denn auch, daß der übliche Fuß- und fahrende Verkehr nicht weiterging, sondern sofort erstarrte, sobald akute Tieffliegergefahr bestand. Nur wenn Tiefflieger in Fahrzeugen wegen deren Eigengeräuschen überhört wurden, bestand die Chance der Überraschung.

Aus diesem Grund war es üblich, bei Tieffliegergefahr einen der Mitfahrer als Luftspäher auf einen Kotflügel des Wagens zu setzen. Dieser warnte, sobald er Flugzeuge bemerkte, den Fahrer, dieser hielt und die Passagiere gingen sofort in Deckung.

 

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135 Hierzu auch William Wolf, American Fighter-Bombers in World War II. USAAF Jabos in the MTO and ETO, Atglen PA, 2033, S. 137: „Die allgemeinste Verteidigung war, Gestrüpp oder Zweige zur Personentarnung zu schneiden, oder einfach so schnell und so weit wie möglich vor den anrauschenden Jabos wegzurennen. Wenn Beobachter sich nähernde Flugzeuge hörten oder sahen, wurde die Kolonne alarmiert, sich unter Bäumen oder Hecken in der Hoffnung zu verbergen, um nicht gesehen zu werden und, falls nicht, sich Schutz vor Angriffen zu verschaffen.“ Wolf bezieht sich auf Truppen, aber die Bevölkerung lernte in den Operationsgebieten, sich ebenso zu verhalten.


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Eine immer wiederkehrende Aussage ist, daß die Zeitzeugen von Tiefangriffen die Piloten in den Kanzel deutlich erkannt haben wollen. Entweder haben sie die Fliegerbrille gesehen, oder den Gesichtsausdruck – haßerfüllt oder hämisch – oder auch, daß der Pilot ein „Neger“ war.

Hier einige Beispiele:

„Im Februar des Jahres 1945 war ich 12jähriger Schüler eines Internates in Klotzsche bei Dresden. … Es ging schon auf Mittag zu, als einige Jagdbomber aus allen Rohren feuernd sich förmlich auf die Flüchtlinge stürzten. … Die Angreifer flogen so tief, daß man ihre bebrillten Köpfe in der Kanzel sah; d. h. sie mußten ebenfalls sehen, worauf sie mit ihren Bordkanonen und Maschinengewehren feuerten.“136

Eine junge Lehrerin aus Nordhausen berichtet über einen der beiden schweren Bombenangriffe des Bomber Command der RAF im April 1945: „Da ich unbedingt nach Hause wollte, fuhr ich bis zur Heizungsanlage der Boelcke-Kaserne. Auf mich zu hasteten Menschen. Deutlich sehe ich zwei Mütter mit einem alten, hochbeinigen Kinderwagen, in  dem vier Kinder saßen. Da! Ein Dröhnen und Krachen über uns. Im Tiefflug saust eine Maschine über uns hinweg. Ich schaue nach oben. Für Sekunden sehe ich das Weiße im Auge des Bordschützen. Er richtet seine Geschosse auf den Kinderwagen, der fliegt hoch

… Ich werfe mein Rad hin, springe auf und lege mich genau am Schornstein in den toten Winkel, das Gesicht in die Erde gedrückt. Leuchtspurmunition schlägt über mir ein. … Da saust schon das nächste Flugzeug heran. Bomben fielen, eine Bombe direkt auf den  Eingang der Halle ....“137

Wie oben erwähnt, mußte ein Tiefflieger eine Geschwindigkeit von mindestens 280 km/h einhalten, um nicht abzustürzen. Er durfte eine Entfernung von wenigstens 30 bis 100 Metern nicht unterschreiten und er saß nicht in einem offenen Sitz, sondern in einem geschlossenen Cockpit hinter gewölbten, also reflektierenden Plexiglasscheiben. Seine Wahrnehmung hätte ohnehin nur Sekundenbruchteile dauern können. Was die Zeugin beschreibt, war im übrigen ein Hochangriff von viermotorigen Bombern.

Zudem ist zu bedenken, daß die Sichtungen von Pilotenköpfen in der Regel nur so berichtet werden, daß die Augenzeugen sie von vorne beim Anflug wahrgenommen haben wollen. Die Sichtbedingungen, die sich dabei ergeben, werden aus den beigefügten Abbildungen in Anhang 8 deutlich.

Eine simple und alltäglich zu machende Beobachtung aus dem Straßenverkehr zeigt, was von solchen Aussagen zu halten ist: was nehmen Autofahrer voneinander wahr, die mit je 150 Kilometern aufeinander zu rasen ? Nichts!

„Ich war <Anfang 1945, HS> mit Freunden auf den Feldern unterwegs, als wir von einer Lightning im Tiefflug überrascht wurden. Die Maschine flog dicht über uns hinweg, kein Schuß fiel, ich hob meinen Kopf und blickte in das grinsende Gesicht eines Farbigen in der Heckkanzel. … Ich war damals zehn Jahre alt, mit den Eltern von Saarlouis (Saarlautern) nach Eitzweiler evakuiert und wohl in einem Alter, in dem man meine Beobachtung nicht als kindliche Phantasie abtun kann. Ich habe ein fotografisches Gedächtnis.“138

„Örtlichkeit: Ecke Robert Dietz-Str., Schwebeseilbahn,

Flugrichtung: von Kriegelstr. In Richtung Rißweg

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136 Dieter Haubold, Zerstörung Dresdens, www.dhm.de/lemo/forum/kollektives-gedaechtnis, gesichtet 8.2. 2005, 10:49.

137 Wolfgang Bönitz, Feindliche Bomberverbände im Anflug. Zivilbevölkerung im Luftkrieg, 1. Aufl. Berlin 2003, S. 143. Die Aussage ist zugleich auch ein weiteres Beispiel dafür, wie Hochangriffe als Tiefangriffe gedeutet  wurden.  

138 Schreiben von Karlheinz Kunz, Saarlouis vom 17. 09. 2002 an Verfasser.


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Kam ein Flugzeug den Hang herunter.

Flughöhe knapp über den Häusern,

Zwei Piloten saßen nebeneinander

Der zweite Mann hatte eine MP in der Hand und war ein Neger.“139

Neger im Cockpit? Die US-Luftwaffe war eine rein weiße Streitkraft. Es gab in ihr nur eine einzige Fighter Group, die 332., in der schwarze Piloten dienten.  Sie gehörte zu der taktischen 12. US Air Force in Italien und war über dem Reich nicht im Einsatz.140 Schwarze US-Piloten, die deutschen Zivilisten beschossen, existierten nur in der Karikatur des Dritten Reiches.

Abb. 2: Ansicht einer P-51 Mustang von vorne aus nächster Nähe. Der Pilot ist trotz der  für einen Beobachter günstigen Fluglage und Nähe nicht erkennbar. (Gray, Waverly, Ohio).

 

 

Die große Menge von Berichten über die  (in Wirklichkeit unmöglichen)  Sichtungen von Piloten in ihren Kanzeln wirft im übrigen ein bezeichnendes Licht auf das Argument, wenn so viele Augenzeugen Tiefflieger bezeugten, müsse doch an der Sache etwas daran sein. Es handelt sich offenbar um eine Kanonisierung von geglaubten Erinnerungen.

 

Inzwischen  haben  sich  auch  Sozialpsychologie und  Hirnforschung  mit  der Materie  befaßt.

So kommentiert Harald Welzer den turbulenten Verlauf der Präsentation des Buches „Tiefflieger über Dresden?“: „Der Umstand, daß der durch den Bombenangriff erzeugte Feuersturm es britischen Tieffliegern unmöglich gemacht hätte, in die brennende Innenstadt zu fliegen, überzeugte  die Zuhörer so wenig  wie die akribische Analyse von Flugeinsatzplänen und Logbüchern, die keinerlei Beleg für die Richtigkeit der Dresdener (sic) Erinnerungen lieferten. Das wurde von den versammelten Zeitzeugen als Angriff auf ihre persönliche Erinnerung an silbrig schimmernde Mustangjäger’ und verzweifelt fliehende Menschen verstanden und löste beträchtliche Empörung aus.

Mittlerweile findet sich einige Evidenz dafür, daß zum Beispiel Spielfilmszenen in autobiographische Erinnerungen montiert werden, ohne daß den Erzählern diese Adaptierungen bewußt wären. Insgesamt muß man wohl zusammenfassen, daß die scheinbar unmittelbare Erinnerung an biographische Erlebnisse und Ereignisse als Produkte subtiler Interaktionen all jener Prozesse zu verstehen ist, die am Werke sind, wenn unser Gehirn Erinnerungsarbeit leistet: Interaktionen, also zwischen den Erinnerungsspuren an Ereignisse, dem Wiedererwecken von Emotionen, dem Import ‚fremder’ Erinnerungen, affektiven Kongruenzen  und ganz generell  den sozialen Umständen der Situationen, in  denen über Vergangenes erzählt wird.“141

 

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139 Zeugenaussage von Ruth S., damals 21 Jahre alt, Email Gert Bürgel an Verf. vom 31. Dezember 2007. Bürgel bezeichnet die Aussage als „ideales Beispiel für Tieffliegerleugner“.

140 Martin M. Bowman, USAF Handbook 1939 – 1945, Phoenix Mill 1997, S. 160 f.

141 Harald Welzer, Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung, München 2002, S. 39 f. Siehe

hierzu auch: Harm-Hinrich Brandt, Vom Nutzen und Nachteil der Erinnerung für die Geschichtswissenschaft. In:

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Die oben erwähnte Beobachtung des farbigen, in der Heckkanzel einer P-38 Lightning sitzenden Fliegers ist ein klassisches Beispiel für solche Vorgänge. Der Augenzeuge war nicht einmal durch den Hinweis, daß dieser Flugzeugtyp einsitzig war, überhaupt keine Heckkanzel hatte und über Deutschland auch keine farbigen Flieger der US-Luftwaffe eingesetzt waren, von seiner Aussage abzubringen: „Ich habe ein photographisches Gedächtnis.“ In diesem Fall traten zu den Spielfilmszenen offenbar noch NS- Propagandalügen aus der Tagespresse, daß in den US-Flugzeugen Schwarze säßen, hinzu.

 

Abb. 3: Kopf eines  Bordschützen in dem Buch „Flieger, Funker, Kanoniere“ (auch Bildarchiv  Preußischer Kulturbesitz, Berlin).

Zu dem Stichwort Spielfilmszenen ist im übrigen daran zu erinnern, daß es in den ersten

Abb. 4: Der Schauspieler Carl Raddatz als Luftwaffenpilot in der Kanzel einer JU 87 im Film „Stukas“. (Film-Museum Berlin)

 

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Günther Bittner (Hg.), Ich bin mein Erinnern. Über autobiographisches und kollektives Gedächtnis, Würzburg 2006.

 

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Kriegsjahren etliche  Fliegerfilme gab, die bewußt zeitnah konzipiert waren. So bemerkt  Rainer Rother zu dem Film  „Stukas“: „Szenen auf dem Feldflughafen wechseln mit solchen in den Pilotenkapseln ab…“142

Zu nennen wären hierbei auch „D III 88“,  „Kampfgeschwader Lützow“, „Besatzung Dora“, aber auch ein Film aus dem zivilen Milieu wie der beliebte Heinz-Rühmann-Film „Quax der Bruchpilot.“  Außerdem gab es bereits vor und dann während des Krieges eine Reihe von  rund 20 Kulturfilmen der Luftwaffe, die als Vorfilme zusammen mit Spielfilmen in den Filmtheatern gezeigt wurden.143 Auch das NSFK stellte „eine unübersehbare Menge“ von Kurzfilmen über die fliegerische Ausbildung her.144 In solchen Filmen erschienen immer wieder, geradezu als graphische Topoi, Bilder von Köpfen der Piloten in ihren Cockpits, die sich dem Publikum einprägten. In den Tieffliegererzählungen tauchen sie dann wieder als Erinnerungen auf (Siehe auch Anhang 7).

Martin Rikli, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Regisseur der Ufa-Kulturabteilung, gewährt in seinem Begleitbuch zu dem Film „Flieger, Funker, Kanoniere“ einen Blick hinter die Kulissen. Wie er schreibt, war die Devise bei den Aufnahmearbeiten immer wieder: „Dicht an die Flugzeuge ran, denn der Beschauer will die Maschine möglichst  groß auf der Leinwand sehen und die Besatzung bei ihrem Dienst in der Luft genau erkennen.“145 Rikli erwähnt in diesem Zusammenhang einen Extremfall, bei dem ein Kameramann auf die irrwitzige Idee kam, während des Fluges aus seinem Sitz auf die Tragfläche einer Schulmaschine (Doppeldecker) zu klettern, um von hier aus möglichst nächster Entfernung den Piloten mit einer Kumuluswolke als plakativem Hintergrund zu filmen – ein Unternehmen, das um Haaresbreite mit dem Verlust der Kamera und einem unfreiwilligen Fallschirmabsprung geendet hätte.146

In einem abgedruckten Auszug aus dem Drehbuch zu „Flieger, Funker, Kanoniere“ läßt Rikli die Sequenz eines Luftkampfs zwischen Bombern und Jägern effektvoll enden: „Großaufnahme des Flugzeugführers im Jagdflugzeug. Alle Sinne sind angespannt.“147

In  einer Zeit, in der es noch kein Fernsehen gab, bedeutete der  Besuch des Kinotheaters eine zwar quantitativ geringere, qualitativ aber umso intensivere Rezeption solcher inszenierter Bilder. Es ist dann nicht verwunderlich, daß in der Endphase des zweiten Weltkrieges, als die US-Jagdflieger über dem Reich  zeitlich und räumlich überall  die deutsche Luftwaffe an die Wand gedrückt hatten, sich die im kollektiven Bewußtsein gespeicherten deutschen Pilotenköpfe in solche von Amerikanern verwandelten.

Welzer zieht aus seiner Untersuchung den Schluß: „Ausgehend von solchen Überlegungen, wird nicht nur einsichtig, wieso die besonders in Geschichtssendungen neuerdings sehr beliebten ‚Zeitzeugen’ meist kunstvolle Montagen aus Landsergeschichten, Filmausschnitten und biographischen Versatzstücken zum besten geben und nicht historische Wirklichkeiten, sondern auch, wieso es regelmäßig zu empörten Reaktionen von Zeitzeugen kommt, wenn sie – wie zum Beispiel im Zusammenhang mit der Wehrmachtsausstellung - mit historischen Befunden konfrontiert werden, die mit ihrer Erinnerung subjektiv nichts zu tun haben. Ein prominentes Beispiel hierfür liefert etwa der Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt, wenn er in einer Expertenrunde den anwesenden Historikern empört entgegenhält: ‚Sie müssen anerkennen, wenn Sie hier im Ernst Gespräche führen, daß andere Leute anderes erlebt haben, als was Sie aus Ihren Dokumenten generell herauslesen. Sonst muß ich aufstehen und  den  Raum  verlassen,  wenn  Sie  mich für einen Lügner halten!’  Wichtig scheint mir an

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142 Rainer Rother: Stukas – Zeitnaher Film unter Kriegsbedingungen. In Bernhard Chiari,/Matthias Rogg/ Wolfgang Schmidt (Hg.), Krieg und Militär im Film des 20. Jahrhunderts München 2003, S. 355.

143 Jan Kindler: „Wo wir sind, da ist immer oben“ – Die Luftwaffe im NS-Kulturfilm, ebd. S. 404 und passim.

144 Ebd. S. 404, Anmerk. 14.

145 Martin Rikli (Hg.) Flieger, Funker, Kanoniere, Berlin 1938, S. 18

146 Ebd. S. 20 f.

147 Ebd. S. 16.

 

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solchen Phänomenen zu sein, daß die erzählte Erinnerung gerade in der unmittelbaren sozialen Interaktion emotional wirksam wird und Sichtweisen auf die Geschichte erzeugt, gegen die eine auch noch so fundierte historische Faktendarstellung wenig ausrichten kann, weil diese emotional nicht in gleicher Weise besetzt sein kann.“148

Welzer zeigt darüber hinaus an einigen Beispielen aus Schweden und den USA, wie sich Zeitzeugenerinnerungen bereits nach kurzer Zeit verändern, ohne daß die betreffenden Personen sich dessen bewußt gewesen wären. Er verweist auf Phänomene wie die sogenannte Quellenamnesie und  Konfabulation.  Vor allem letztere dürfte für das hier erörterte Problem von großer Bedeutung sein: „Ein der Quellenamnesie verwandtes Phänomen ist das der Konfabulation, also des Nachdichtens und Ausschmückens von Geschichten im Zuge ihres wiederholten Erzählens, was mit keinerlei bewußter Absicht des Erzählers verbunden sein muß. Im Gegenteil: Gerade die ‚falsch’ konfigurierte, aus unterschiedlichen Zusammenhängen kombinierte und aus Gründen des Unterhaltungswertes aufgepeppte, aber durch Wiederholung und erfolgreiche Kommunikation stabilisierte Geschichte kann für den Erzähler die ganz unbezweifelbare subjektive Gewißheit besitzen, eine Erinnerung zu sein, die ihm ‚noch genau vor Augen steht’“.149

Der leider 1988 verstorbene Bamberger Historiker Karl-Heinz Mistele hat bereits 1980 in einem kleinen Aufsatz für solche – überall anzutreffenden - Erzählungen aus einem volkskundlichen Ansatz heraus den Begriff der „Kriegssage“ bzw. des „Wandermotivs“ geprägt und dazu ausgeführt: „ Dabei handelt es sich nun keineswegs um Geschichten, die individuell oder irgendwie ‚gesteuert’ entstehen, sondern um an Kriegsfolgen und an Kriegsereignisse aufgehängte Erzählungen des Volkes, die nicht von Einzelpersonen hervorgebracht werden, sondern in der Gruppe wuchern. Das Gerücht entsteht unmittelbar gleichzeitig mit dem auslösenden Ereignis, unmittelbar an dieses anknüpfend, wird aber von Anfang an, wie erwähnt, unter Verwendung fester Wandermotive erzählt.“150

Massierte Tiefangriffe hat es im Raum Dresden-Chemnitz zwischen dem 13. und dem 20. April 1945 gegeben, wie die Zusammenstellung im Anhang 6 zeigt, als die Amerikaner die Mulde erreicht hatten und dort mit ihrem Vormarsch innehielten. Einige dieser Attacken liefen auch in der unmittelbaren Nachbarschaft von Dresden bzw. in Außenbezirken der Stadt ab. Die Kartierung dieser Tiefangriffe ergibt, daß sie sich fast ausnahmslos entlang den Straßen und Eisenbahnlinien ereigneten, Straßen- und  Eisenbahnjagd eben. Die bewaffnete Aufklärung durch  die Jagdverbände des  amerikanischen XIX. Tactical   Air  Command machte der bis dahin noch einigermaßen ruhigen Luftlage in Sachsen ein abruptes Ende und Tiefangriffe traten gehäuft auf. Es muß für die sächsische Bevölkerung ein Schock gewesen sein, daß von heute auf morgen plötzlich von frühmorgens bis in die späten Nachmittagsstunden und einen Tag nach dem anderen Jagdbomber permanent am Himmel operierten und Ziele angriffen.

Bereits Bergander hat in seiner Arbeit über Dresden deshalb schon früh vermutet, daß mancher sächsische  Zeitzeuge  die Tiefangriffe der Verbände des  XIX. Tactical Air Command im April 1945 in späterer Erinnerung auf die Jagdverbände der 8. US-Air  Force über Dresden im Februar 1945 übertrug.151 Dem ist zuzustimmen.

 

 

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148 Ebd. S. 43 f. Siehe hierzu auch: Harald Welzer: Kriege der Erinnerung, in: Gehirn & Geist, 5/2005, Hans Joachim Markowitsch, Die Sache mit dem geblümten Kleid, ebd.; Jochen Paulus: Gefährliche Zeugen.  In: Bild der Wissenschaft, 12/2002; Elizabeth F. Loftus: Falsche Erinnerungen, in: Spektrum der Wissenschaft, 1/1998.

149  Welzer, Das kommunikative Gedächtnis, S. 43.

150 Karl-Heinz Mistele: Kriegsgerüchte, in: Lebendige Volkskultur, Festgabe für Elisabeth Roth zum 60. Geburtstag, Bamberg 1980, S. 153.

151  Götz Bergander: Dresden im Luftkrieg, 2. Aufl. 1994, S. 207.

 

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 Tiefangriffe in Dresden im Licht deutscher Akten und Verlautbarungen

Ein immer wiederkehrendes Argument zur Begründung von angeblich stattgehabten Tieffliegerangriffen auf zivile Ziele ist, diese seien in den alliierten Akten verschwiegen, verschleiert oder getilgt worden, weil man etwas zu verbergen gehabt haben sollte. Wer das unterstellt, ist in  der Pflicht, den Beweis für eine Säuberung der Unterlagen anzutreten. Diesen aber bleibt man schuldig.

Tatsächlich finden sich in den Mission Summaries der Fighter Groups aber auch darüber Meldungen. So meldete am 14. Februar 1945 die  479.  FG als getötet  „horses <Pferde)>“ und „2 krauts <Deutsche, Zivilisten?>“,152 am 17. Februar 1945 die 353. FG „2 civilians“,153 am 22. Februar 1945 die 56. FG „2 kraut farmers“,154 ebenfalls am 22. Februar 1945 die 78. FG „1 German civilian“155 (siehe auch Anhang 5). Man wird demnach davon ausgehen können, daß es so etwas wie ein Schweigegebot über solche Fälle nicht gegeben hat, aber es geht auch aus den  Berichten nicht hervor,  unter  welchen Umständen  diese  abgelaufen sind. Rein quantitativ gesehen, handelt es sich um Einzelfälle.

Nach dem Erlaß Himmlers vom 7. Februar 1945 – veröffentlicht im  Befehlsblatt des Chefs der Ordnungspolizei Nr. 6 vom 17. Februar 1945 - waren alle Polizeibehörden und – Dienststellen berichtspflichtig über solche Fälle, also auch der Höhere SS- und Polizeiführer Elbe in seiner Eigenschaft als Befehlshaber der Ordnungspolizei (Dresden).156 Unter dem Datum des 15. März 1945 erscheint in  der bei  Weidauer veröffentlichten Schlußmeldung  des BdO Dresden die Angabe: „Bei allen Angriffen war Bordwaffenbeschuß festzustellen.“157   Dies war aber nicht das letzte Wort, denn am 22. März 1945 erstattete der BdO Dresden noch einmal eine umfangreiche Nachmeldung über die Anzahl  der  Abwurfmittel, Schäden und Personenverluste für die Lagemeldungen der Ordnungspolizei über Luftangriffe auf das Reichsgebiet. Hierin wurden noch einmal exakt die vier Luftangriffe vom 13., 14. und 15. Februar 1945 mit genauen Uhrzeiten und der (geschätzten) Anzahl  der abgeworfenen Spreng- und  Brandbomben aufgeführt.  Außerdem  Details wie der  Abwurf einer  erheblichen  Anzahl von LZZ. (Langzeitzünder, Hervorheb. d. Verf.) und die Angabe, daß 1/3 der abgeworfenen Stabbrandbomben Sprengsätze gehabt habe.158 Über Tiefangriffe oder Bordwaffenbeschuß aber diesmal kein Wort mehr.

Sicherlich wäre eine so detaillierte Meldung über Tiefangriffe,  wie sie im Erlaß  vom 7. Februar 1945 verlangt wurde, gesondert ergangen,  aber aus Gründen der Vollständigkeit hätte die Nachtragsmeldung vom 22. März unbedingt einen Hinweis enthalten müssen.

Am 22. März war das  angeführte Befehlsblatt des Chefs der Ordnungspolizei bereits seit  über fünf Wochen publiziert, und trotz der bereits fühlbaren Einschränkungen bei Post und Bahn dürfte das Blatt bei dem Höheren SS- und Polizeiführer und BdO ab Ende Februar/Anfang März bekannt gewesen sein,  zumal solche führenden Stellen des Regimes zu diesem Zeitpunkt ja auch noch durch Kuriere mit Berlin in Verbindung standen.

Himmlers Erlaß enthielt den nachdrücklichen Hinweis: „Berichte über derartige Kriegsverbrechen  (Tiefangriffe auf die  Bevölkerung)  stellen ein politisch wertvolles  Material _____________________________

152 Mission Summary der 479 FG, 14. Februar 1945 (AFHRA Microfilm B 5018).

153 66th Fighter Wing Consolidatet Mission Summary Report 8 AF F.O. 1634A, 17th February (AFHRA Microfilm  B 5018).

154 65 Fighter Wing Consolidated Mission Summary Report 22 February 1945 (AFHRA Microfilm B 5019).

155 66 Fighter Wing Consolidatet Mission Summary Report 22 Feb 1945 (AFHRA Microfilm B 5019).

156 Befehlsblatt des Chefs der Ordnungspolizei, 2. Jahrg., 17. Februar 1945, Völkerrechtswidrige Angriffe auf die deutsche Zivilbevölkerung, RdErl. d. RFSSuChdDtPol v. 7. 2. 1945, O-Kdo I Org/Ia Nr. 108/45 (BArrch R 19/3).

157 Der Höhere SS- und Polizeiführer Elbe, Schlußmeldung über die vier Luftangriffe auf den LS-Ort Dresden am 13., 14. und 15. Februar 1945, Eilenburg, den 15. März 1945, bei Walter Weidauer: Inferno Dresden, Über Lügen und Legenden um die Aktion Donnerschlag, 6. Aufl. Berlin 1987, S. 208.

158 Luftangriffe auf das Reichsgebiet. Lagemeldung Nr. 1.404, 22. 3. 45, BdO. Dresden – Nachtrag (BArch R 19/341).

 

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dar und sind vor allem für Maßnahmen des Auswärtigen Amtes von hoher Bedeutung.“ Dem BdO in Dresden mußte also rechtzeitig vor Abfassung seines Nachtrags vom 22. März 1945 klar sein, welchen politischen Stellenwert Meldungen über Tiefangriffe auf die  Zivilbevölkerung    nach   den    Bombenwürfen   gehabt    hätten,   zumal    die   internationale Diskussion und die Propagandakampagne Goebbels’ über den Fall Dresden im März 1945  längst im Gang war. Solche Angriffe wären als neuer Höhepunkt des Terrors eine cause célèbre gewesen. Warum also ließ der  BdO  Dresden die Gelegenheit der Nachmeldung ohne ein Wort über Tiefangriffe in Dresden vorübergehen und enthielt dem Propagandaminister eine Trumpfkarte vor?

Es  sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, daß das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda  z. B.  in so spektakulären Fällen wie Freiburg,  Nemmersdorf und Katyn sich durchaus nicht zurückhielt, sondern sofort – und wirkungsvoll! -seine Propagandamaschine anlaufen ließ, sobald die ermordeten Polen und Deutschen entdeckt worden waren, und im Fall der angeblichen Bombardierung von Freiburg durch die Alliierten schreckte die NS-Propaganda auch nicht vor handfesten Lügen zurück.159

In der Abendmeldung des Luftwaffenführungsstabes Ic, Meldewesen, vom 14. Februar 1945 heißt es lediglich:

„Jagdtätigkeit: 07.50 – 18.00 insgesamt etwa 200 Jagdflugzeuge, einzeln und in kleineren Verbänden fliegend, im nw-, w-, und sw-deutschen Raum. Schwerpunkte Münsterland – Ruhrgebiet (500), Rhein-Main-Gebiet (350)“.

Zum 15. Februar lautet die Meldung:

„Mittelstarke Jagdtätigkeit über W- und SW-Deutschland, insgesamt etwa  600 Flugzeuge, mit

Schwerpunkt Oberrhein (300) und Mittelrhein (150).“160

Auch im Kriegstagebuch des OKW werden Tiefangriffe in Dresden nicht erwähnt.161

Der Wehrmachtsbericht zum 14. Februar 1945, der „Völkische Beobachter“, die Auslandspropaganda der deutschen Gesandtschaft in Bern schweigen sich ebenfalls über Tiefangriffe in Dresden aus.162 Letzteres ist besonders auffallend,  weil in den Anweisungen an die Gesandtschaft in Bern zur Propaganda in der neutralen Schweiz bereits alle anderen Motive angesprochen werden, die bis heute die Diskussion um die Luftangriffe auf Dresden prägen. Auch von Goebbels ist nicht bekannt, daß er Tiefangriffe auf Flüchtende in Dresden öffentlich angeprangert hätte. Wie bereits erwähnt, bleibt auch der Interministerielle Luftkriegsschäden-Ausschuß stumm zu der Behauptung von Tiefangriffen auf Dresden im Februar 1945. Hätte es sich mit den angeblichen Tiefangriffen so verhalten, wie David Irving suggeriert, nämlich daß sie ein Merkmal der Luftangriffe auf deutsche Städte für den Rest  der Kriegszeit wurden, dann hätte  sich der dramatische Auftakt in  Dresden unbedingt doch in den Mitteilungen des Ausschusses niederschlagen müssen.

Hierbei ist  ein Detail besonders vielsagend.  Am 28. Februar 1945 sandte das  Auswärtige Amt der Deutschen Gesandtschaft Bern zwei Bilder zu. Im Begleitschreiben heißt es: „Eines der wichtigsten Themata des Auslandsinformationsdienstes ist zur Zeit der Terrorangriff auf Dresden, worüber bereits Erlaß ergangen ist. In der Anlage wird Fotokopie von 2 Bildern übersandt, die Kinder darstellen, die beim Terrorangriff auf Dresden durch Phosphor verletzt wurden. Diese Fotos mit dem in der Anlage übersandten Text sind in größeren Auflagen an der Westfront bereits eingesetzt worden. Es wird gebeten, dasjenige Bild, auf dem 2 Kinder dargestellt sind, besonders stark im Auslandsinformationsdienst herauszustellen und überall zu  verbreiten,  wobei  der  geeignete  Text  aus  dem  Flugblatt  betreffend Doolittle oder aus    

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159 Freiburg wurde am 10. Mai 1940 versehentlich durch drei Bombenflugzeuge der deutschen Luftwaffe bombardiert, was Goebbels sofort der britischen Luftwaffe in die Schuhe schob, in Nemmersdorf/Ostpreußen – und anderswo – brachten Soldaten der Sowjet-Armee im Oktober 1944 Frauen, Kinder und alte Leute nach Folterungen und Vergewaltigungen auf bestialische Weise zu Tode.

160 BArch-MArch Freiburg, RL 2 II/388.

161 Kriegstagebuch des OKW 1944-1945, Bd. 8, Augsburg 2002, S. 1097.

162 Wehrmachtbericht, siehe Anhang 4; Gesandtschaft Bern, Materialsammlung über Luftkrieg (Bd. 3400, Auswärtiges Amt, Politisches Archiv).

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der oben erwähnten Anlage entnommen werden kann. Es soll versucht werden, dieses Bild überall in der Welt so herauszustellen, daß es zu einem Begriff für die grausame Kriegsführung der Westmächte wird.“163

Im Reich selbst versuchte die Führung durch Mundpropaganda und, als diese nicht wirkte, später auch über die Presse der Bevölkerung immer wieder klar zu machen, daß kein Phosphor abgeregnet wurde und kein Grund zur Panik wegen dieses Brandstiftungsmittels bestehe.164 In der schon angeführten Lagemeldung Nr. 1.404 des Chefs der Ordnungspolizei wurden als Abwurfmittel zur Brandtstiftung nur Stabbrandbomben und – übrigens fälschlicherweise – „Flammstrahlbomben“ genannt.165 In den zuständigen Ämtern und Gremien – also auch in  dem Interministeriellen Luftkriegsschäden-Ausschuß unter Goebbels – wußte man, daß diese  Bombentypen keinen Phosphor enthielten. Trotzdem wurde über das Auswärtige Amt diese eindeutige Desinformation im Ausland verbreitet.

Am 8. März 1945 erhielt die Gesandtschaft aus Berlin ein Telegramm, in der sie angewiesen wurde, in  einem von  ihr zu erstellenden Flugblatt mit dem Titel „Dresden – Flüchtlingssterben“ ein Interview aus dem Svenska Dagbladet zu übernehmen, das die Annahme von eher 200 000 als von 100 000 Toten suggerierte.166

Auch hier fragt man sich: wenn das NS-Regime sich nicht scheute, das Ausland mit solchen exorbitanten Totenzahlen und falschen Informationen über Phosphor zu desinformieren, warum nahm es dann nicht auch die Chance wahr, „anglo-amerikanische“ Brutalität wie die Niedermetzelung von traumatisierten Zivilisten mit Maschinengewehren anzuprangern, wenn es diese gegeben hätte?

Warum ließ sich Goebbels diese einmalige Chance zu einer wirkungsvollen Greuelpropaganda  entgehen,  wenn  am 13., 14. und 15. Februar 1945  tatsächlich Tiefangriffe auf die Bevölkerung geflogen worden sind?

Ist hieraus auch der Schluß zu ziehen, daß auch die maßgebenden deutschen Stellen und Personen ein Interesse (aber welches?) hatten, die angeblichen Tiefangriffe in Dresden zu verschweigen wie angeblich auch die Alliierten?  Doch eher der, daß die deutsche Propaganda nicht einmal auf den Einfall, Tiefangriffe  wenigstens zu erfinden,  gekommen war.

Es ist in diesem Zusammenhang nicht ohne eine gewisse Pikanterie, daß auch der DDR offenbar die Verbreitung der Tieffliegergeschichten nicht mehr geheuer war, nachdem Götz Bergander erstmals 1977 ihre Wahrheit in Zweifel gezogen hatte. Im Sommer des Jahres 2002 machte nämlich Günther Krause, Dresden, uns beide darauf aufmerksam, daß bereits 1982 in der 7. und letzten Auflage von Seydewitz „Die unbesiegbare Stadt“, herausgegeben von der Bezirksleitung Dresden der SED unter Hans Modrow, alle Hinweise auf Tieffliegerangriffe in Dresden am 13. und 14. Februar 1945 getilgt waren. Die Einsicht in die Unterlagen des VEB Verlages Brockhaus Leipzig ergab, daß dies von der herausgebenden SED-Bezirksleitung Dresden nach einer Anfrage bei Professor Olaf Groehler, Zentralinstitut für Geschichte bei der Akademie der Wissenschaften, angeordnet worden war. Groehler war der führende Luftkriegshistoriker der DDR, der auch im Westen anerkannt war. In einer Aktennotiz des Verlages vom 16. 06. 82 hieß es: „Prof. Gröhler <sic> zu den Tieffliegerangriffen  (Telefonat  am  16.6.82):  Mit Berufung  auf  die  Quelle  Bergander  sowie

 

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163  Ebd.

164 Siehe hierzu Bergander: Dresden im Luftkrieg, 2. Aufl. 1994 S. 190 ff.; siehe auch die Beschreibung der britischen Phosphorbrandbombe 14 Kg in der Zeitschrift des Reichsluftschutzbundes „Die Sirene“ Nr. 13, 1944

165 Dass Stabbrandbomben keinen Phosphor enthielten, sollte inzwischen allgemeine Kenntnis sein, zur Flammstrahlbombe „Die Sirene“, Nr. 16, 1944.

166  Materialsammlung (Ausw. Amt, Pol. Arch, Bd. 3400).


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eigene Studien englischer Quellen, die Berganders Recherchen bestätigen, meint er, daß derartige Tieffliegerangriffe nicht  geflogen wurden.“167

In seinem 1990 erschienen Buch „Bombenkrieg gegen Deutschland“ stellte er allerdings die Behauptung von Tiefangriffen wieder auf mit einer Polemik gegen Bergander, indem er sich auf die Vielzahl der Augenzeugen berief und die Verschweigung der Angriffe durch die amerikanischen Piloten unterstellte.168

Die Luftkämpfe des 14. Februar 1945 über Sachsen

Inzwischen hat der Kampfmittelräumdienst des Landes Sachsen nach Geschossen auf den Elbwiesen gesucht –ohne Erfolg.169

Schließlich sei noch auf ein weiteres Detail hingewiesen, das in die Untersuchung „Tiefflieger über Dresden?“ noch keinen Eingang gefunden hatte. Wie der amerikanische Autor William Wolf in einer systematischen Darstellung über US-Jagdflieger und – Jagdbomber im Zweiten Weltkrieg ausführt, war die Voraussetzung für  die Tiefangriffe der Jagdflugzeuge und Jagdbomber mit Bordwaffen eine Wolkenuntergrenze von rund 1000 Metern.170

In der Abendmeldung des Luftwaffenführungsstabes Ic lautet die Wettermeldung für den Raum Dresden – Chemnitz: “8 – 10/10 <Bewölkung>, U<nter>gr<enze> 4 – 500 m, O<ber>gr<enze> 1500 m, Sicht 10 km.“171 Eine solche Wetterlage, zusammen mit der starken Verqualmung über dem Ziel, war für Tiefangriffe also die denkbar ungünstigste Situation, zumal für eine  größere Anzahl von Angreifern. Am 15. Februar lag die Wolkenuntergrenze um 200 Meter, die Obergrenze um 3000 Meter, d. h. daß die Wetterlage für Tiefangriffe noch ungünstiger war als am Vortag.172

In  der Untersuchung „Tiefflieger über Dresden?  Legenden und Wirklichkeit“ hat  der Verfasser dieses Beitrages die  Wahrnehmung von Tiefangriffen durch die  Augenzeugen mit der Beobachtung einer Verfolgungsjagd durch das Elbtal im Zusammenhang mit den Luftkämpfen über Sachsen vor, während und nach dem amerikanischen Bombenangriff auf Dresden am 14. Februar 1945 erklärt. Als Belege dafür, daß solche Luftkämpfe tatsächlich und in unmittelbarer Umgebung von Dresden stattgefunden haben, sind im Text u. a. auch Aufschlag- bzw. Notlandungsorte von abgeschossenen deutschen Jagdflugzeugen benannt, so in dem näheren Umkreis Dresdens z. B. Oberbobritsch und Freiberg.173

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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167 Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, VEB Brockhaus Verlag Lpz. 58.

168 Olaf Groehler: Bombenkrieg gegen Deutschland, Berlin 1990, S. 414.

169 Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, Dresden, Tieffliegerangriffe auf Dresden am 13. und 14. Februar 1945. Abschlußbericht vom 24. 06. 2008.

170 William Wolf, American Fighter-Bombers, S. 107.

171 Luftwaffenführungsstab Ic, Meldewesen, Abendmeldung vom 14. 2. 45 (BArch-MArch RL 2 II/388).

172 Luftwaffenführungsstab Ic, Meldewesen, Abendmeldung vom 15. 2. 45, ebd.

173Die deutsche Seite bestätigt diese Luftkämpfe mit der Angabe von 20 eigenen Verlusten, Kriegstagebuch des OKW, Bd. 8, S. 1097; insgesamt 17 Verluste meldet Luftwaffenführungsstab Ic, Nachtrag zur Abendmeldung vom 14. 2. 45 (BArch-MArch RL 2 II/388).

 

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Abb. 5. Orte, an denen bei den Luftkämpfen am 14. 2. 1945 deutsche  Jagdflugzeuge aufgeschlagen  oder notgelandet sind.

Zum Erscheinungszeitpunkt des Buches war für einen der  gefallenen deutschen Piloten,  den Gefreiten Heino Krause, nur allgemein der Raum Dresden als Verlustraum bekannt. Inzwischen hat sich Waltersdorf im Kreis Pirna als Verlustort herausgestellt174 Dort wurde im Oktober 2006 eine FW 190 mit Überresten des Piloten ausgegraben, der inzwischen zweifelsfrei als Heino Krause (JG 301) identifiziert werden konnte.175

Waltersdorf liegt in der Luftlinie nur ca. 25 Km vom Stadtzentrum Dresdens entfernt , das sind bei  einer  Geschwindigkeit von 500 - 600 km/h,  wie  sie in Luftkämpfen üblich waren, nur etwa zwei bis drei Flugminuten. Von Oberbobritsch, wo Leutnant Krasorsky (JG 300) mit seinem Flugzeug aufschlug, sind es bei dieser Geschwindigkeit nur etwa drei bis vier, von dem Absturzort Bronkow/Niederlausitz (NN, JG 301?) etwa sechs bis acht Flugminuten.176 Weitere Verlustorte sind Obersaida (Lt. Stoll, JG 300) ca fünf bis sechs, Langenau bei Freiberg (Ogfr Dorsch, JG 300, Bauchlandung) ca. vier bis fünf und Dahlen bei Oschatz (Lt. Achard, JG 300) ca. sieben bis acht Flugminuten zum Stadtzentrum Dresdens (hierzu siehe Anhang 1).177

Aus den Verlustorten geht mit hinreichender Sicherheit hervor, daß es westlich und im engeren Raum Dresden Überflüge von Jagdfliegern gegeben hat, die sich auch auf das eigentliche Stadtgebiet erstreckt haben können und bei denen es zu Überflügen von deutschen Jagdfliegern gekommen sein kann, die sich im Tiefflug Richtung Osten, also über Dresdner Stadtgebiet hinweg, ihren Gegnern zu entziehen versuchten. Dabei kann auch geschossen worden sein, aber eben nicht bei Tiefangriffen auf Bodenziele. Als zeitgenössischer  Augenzeugenbeleg  dafür  sei hier  auf  die  beiden  Briefe vom 20. Februar

 

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174 Horst Giegling/Geising/Erzgeb., Aktennotiz. Ich danke ihm für eine Kopie.

175 Schreiben der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht an Verfasser vom 23. 04. 2007. Krause ist beigesetzt auf dem Friedhof in Döbra.

176  Eberhardt Kretschel, Niederbobritsch, Brief an Verfasser vom 5. 3. 1996.

177 Mitteilung von Alfred Dorsch, Bamberg, vom 11. 1. 2007.

 

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und vom 17. März 1945 von Julius Arthur Rietschel verwiesen, der tieffliegende Maschinen bezeugt, aber keinen Beschuß.178   Hätte es Tiefangriffe im Stadtgebiet von Dresden gegeben, hätte er, der sich in seinen beiden Briefen detailliert über die Bombenangriffe verbreitet, sie sicher auch erwähnt.

Ebenso gut ist denkbar, daß ein oder mehrere deutsche Flugzeuge nach einem Luftkampf nach unten durch die niedrige Wolkendecke durchstießen, der oder die Piloten sich dann orientieren wollten, wo sie sich befanden und dabei durch aggressive Flugbewegungen den Anschein von Tiefangriffen erweckten. Immerhin gab es am 26. Februar 1945 folgenden Befehl des Luftwaffenführungsstabes an die Luftflotten: „Die fl. Verbände, insbes. Jagd- und Schlachtverbände sind erneut zu belehren, daß Entlangfliegen an Reichsautobahnen und Fernverkehrsstraßen in niedriger Höhe verboten ist.  Eigene Transportbewegungen, besonders auch die Trecks der Zivilbevölkerung, sind durch dieses Verhalten ins Stocken geraten und unnötig beunruhigt worden.

Lediglich bei Schlechtwetter können Tiefflüge entlang der Hauptverkehrswege, jedoch mehrere hundert Meter abgesetzt, durchgeführt werden.“179

Solche  mißverstandene Tiefflüge können auch  in Dresden am 14. Februar 1945 sehr gut   der Fall gewesen sein, wobei die Wirkung der entsprach, die in dem Befehl erwähnt ist.

Wie schnell es zu Aussagen über den Beschuß von Personen und Sachen kommen konnte, während es sich in Wirklichkeit um Luftkämpfe handelte, demonstrieren die folgenden, gut belegten Fälle:

1. In der Lagemeldung Nr. 879 des Chefs der Ordnungspolizei zum 17. August 1943 tauchen

folgende Meldungen auf:

 

„Hartenfels <Westerwald, H.S.>

Kreis Miltenberg <Main, H.S.>

 

Rankenthal <Frankenthal? H.S.>

Messmehrin, Kr. Mühldorf  

 

 

Erlabrunn <bei Würzburg, H.S.>

 

Kirchzell <bei Amorbach, H.S.>

 

Amorbach <Odenwald, H.S.>

 

Weißbach <bei Künzelsau, H.S.>

Tüngersheim <b. Karlstadt, H.S.>

 

1 Frau durch Bordwaffenbeschuß verwundet.

Bevölkerung wurde auf dem Felde im Tiefflug beschossen.

Bordwaffenbeschuß auf Feldarbeiter.

In den Landkreisen Rosenheim und Mühldorf wurden  einzelne Personen mit Bordwaffen beschossen. Bisher keine Verwundungen festgestellt.

Die  Ortschaft wurde mit  Bordwaffen beschossen.  Kein

Schaden.

Die Ortschaft und einzelne Personen auf freiem Feld mit Bordwaffen beschossen.

Einzelne Personen auf freiem Feld mit Bordwaffen beschossen.

Personen auf freiem Feld mit Bordwaffen beschossen.

1  Mädchen durch Ziegelsplitter, verursacht durch Bordwaffenbeschuß, leicht verwundet."180

Am 17. August 1943 drangen zum erstenmal amerikanische viermotorige Bomber bei Tage tief in den Luftraum im Südwesten des Reiches ein. Ein Verband flog nach Regensburg, bombardierte dort die Messerschmidt-Werke und flog über die Alpen nach Nordafrika ab. Ein zweiter Verband griff in Schweinfurt Kugellagerfabriken an und kehrte nach England zurück.

Aber: zu diesem Zeitpunkt waren die alliierten Jäger noch gar nicht in der Lage, weiter als bis zur westlichen Reichsgrenze zu fliegen,  bei Aachen mußten sie kehrtmachen und die Bomber alleine weiterfliegen lassen. Die Bordwaffenbeschüsse konnten also auf keinen Fall von amerikanischen Jägern stammen.  Über  dem  Rheinland  und  Süddeutschland  spielten _____________________________

178 Julius Arthur Rietschel, Briefe an seine Kinder vom 20. Februar und 17. März 1945, im Besitz seiner Enkelin Nanna Hürter,  Koblenz-Metternich (Kopien auch im Stadtarchiv Dresden, Zeitzeugenarchiv für Dresden,15 - 12)

179 Fernschreiben des OKL Fü. St. (Rob.) Nr. 10136/45 geheim (op 1) (BArch-MArch RL 2 II/107).

180 Der Chef der Ordnungspolizei, Betr.:Luftangriffe auf das Reichsgebiet und besetzte Gebiete, Lagemeldung  Nr. 879, (BArch-MArch) RL 4/406.


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sich aber lang andauernde, heftige Luftkämpfe mit der deutschen Jagdabwehr ab, bei denen allein mehr als 60 US-Bomber verloren  gingen.  Die Bordwaffenbeschüsse waren Feuerstöße, die bei den Luftkämpfen in größeren Höhen abgegeben worden waren.

Diese Situation war in Deutschland ganz neu, und so ist es kein Wunder, daß die Polizeidienststellen, die die Fälle aufnahmen, zunächst das meldeten, was die Betroffenen glaubten, erlebt zu haben, nämlich Bordwaffenbeschuß auf sich selbst.

2. Zu dem gleichen Einflug vermerkt die Schulchronik von St. Goar am  Rhein: „Am 17. August, nachmittags etwa 15 Uhr 30 konnte man über dem Rheintal einen Luftkampf beobachten. Etwa 120 feindliche Flugzeuge zogen rheinaufwärts, gefolgt von deutschen Jägern. Groß und klein war auf den Straßen und beobachtete die Vorgänge in der Luft, bis  am Rhein einschlagende Geschosse dazu mahnten, Deckung zu nehmen und den Luftschutzkeller aufzusuchen. Die Mädchen der 4. Klasse hatten eben Unterricht auf dem Sportplatz und begaben sich schleunigst in den Keller.“181

3. Unter dem 9. August 1944 vermerkt das Kriegstagebuch des Luftgaukommandos VII:

„F.H. Schongau: Bei Luftkämpfen über Fl<ug> Pl<atz>, nicht durch Tieffliegerangriff wurden

durch Bordwaffenbeschuss am Boden beschädigt:

2 Bf 410          15%

1 AR 96           5%

1 Bf 109           5%

1 Fw 190         5%“182

 

4. Unter dem 25. Dezember 1944 notiert der Stadtarchivar von Koblenz in seinem Tagebuch: „Luftkämpfe: Frau B. wird nachmittags auf der Straße durch ein deutsches Sprengstück getroffen. Schlag auf die Brust, Mantel zerrissen.“183

5. Am 13. Februar 1945 kam es bei  Montabaur/Westerwald zu einem Luftkampf zwischen FW 190 des Jagdgeschwaders 2 und P-47 der 36. FG.184 Zeugen des Gefechts wurden einige junge Mädchen aus Bladernheim: „Wir standen gerade auf dem Flachdach der alten Schmiede, als plötzlich … einige ‚Jabos‘ auftauchten. Wir sind sofort in den leeren Wasserkessel gesprungen, in dem sonst die Eisen gekühlt wurden. …  Zuerst dachten wir, die schießen auf uns, doch dann erschienen aus der entgegengesetzten Richtung zwei weitere Flugzeuge. Die haben sich fürchterlich beballert. Die Splitter flogen nur so um uns herum.“185

Bei der derzeitigen Quellenlage besteht also keine Veranlassung, von der Erklärung, daß Luftkämpfe als Tiefangriffe wahrgenommen wurden, abzugehen.

Eine neue Version der Tieffliegererzählungen: Tiefangriffe am Vormittag des

14. Februar 1945

 

Indessen ist in Dresden eine neue Version der  Erzählungen über die angeblichen Tieffliegerangriffe am 14. Februar 1945 aufgetaucht. So veröffentlichte die SÄCHSISCHE ZEITUNG vom 19. März 2007 einen Artikel „Tiefflieger kamen am Vormittag“  von  Gert  Bürgel,  Dresden, in dem sie Aussagen präsentierte, die dieser auf  dem  Geschichtsmarkt in  Dresden am 17. März 2007 in einem Vortrag referiert hatte.186

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181 Mitteilung der Stadtverwaltung St. Goar/Rhein an Verf. vom 5. August 1975.

182 Luftgaukommando VII, Kriegstagebuch (BArch-MArch RL 19/88).

183 Hans Bellinghausen, Aufzeichnungen aus dem Kriegsjahr 1944. In: Jahrbuch für Geschichte und Kunst des

Mittelrheins und seiner Nachbahrgebiete, 22./23. Jahrg. 1970/1971.

184 Ninth Air Force Summary of Operations No 44, 13 February 1945, (NA at College Park RG 243, Entry 25, file

2. f. (5) ).; (BArch-MArch RL 2 III/1197).

185 „Splitter flogen nur so um uns herum“, von Luzia Ferdinand, Rhein-Zeitung Koblenz, 27. 8. 1986.

186 Gert Bürgel, Tiefflieger Dresden 1945. Motivation, Recherche, Analyse, erste Ergebnisse. Ein Beitrag zur Lösung des Historikerstreits. Vortrag am 17. März 2007, Geschichtsmarkt  Dresden. Ich habe Gert Bürgel dafür


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Einleitend legte Bürgel dabei als Beleg für Tiefangriffe in Dresden eine Zeichnung des Dresdner Malers Otto Griebel aus dessen Zyklus „Die sterbende Stadt“ vor. Sie zeigt Menschen, die vor zwei niedrig anfliegenden Jagdflugzeugen auf dem Trinitatisfriedhof zwischen Grabsteinen Deckung suchen. Er fragt hierzu, „wie es möglich sein kann, einen solchen Tiefangriff auf Zivilisten künstlerisch darzustellen, wenn es solche Erinnerungen in Dresden nicht gegeben haben soll?“187

Hierzu ist einmal zu sagen, daß eine künstlerische Darstellung nicht unbedingt auf einer tatsächlichen Begebenheit beruhen muß, sondern auch einen allgemeinen Topos in künstlerischer Freiheit wiedergeben kann. Weite Strecken der Ikonographie in der bildenden Kunst beruhen auf diesem Prinzip. Datiert ist die Zeichnung auf den 10. August 1945.

Sodann ist festzustellen, daß in dem Erinnerungsbuch von Griebel, das aus dem Nachlaß 1986 herausgegeben wurde,  mit keinem Wort von Tieffliegerangriffen am 14. Februar 1945 die Rede ist. Das, obwohl der Bericht Griebels über seine Erlebnisse und Beobachtungen vom 13. bis zum 15. Februar 1945 bemerkenswert dicht und plastisch ist.188 Lediglich zum 15. Februar erwähnt er,  daß er beim Anflug der Bomberverbände aus Vorsicht  einen sicheren Platz vor Tieffliegern gesucht habe – ein allgemeines und verständliches Verhalten.189

Über den Angriff vom 2. März 1945 berichtet er, im Poisenwald vor Tieffliegern rasche Deckung genommen zu haben, aber da er zur gleichen Zeit die (Bomben)Einschläge im Gebiet des Alberthafens, der Kasernen und der Neustädter Wohngebiete beobachtete, ist es mehr als fraglich, ob er einen wirklichen Tieffliegerangriff und nicht wieder eher einen befürchteten gemeint haben kann.190 Der Angriff vom 2. März steht im übrigen hier nicht zur Debatte.

 

Bürgels Ausführungen sind darüber hinaus im wesentlichen folgende:

  • Die „Thesen-Historiker“ bzw. „Tieffliegerleugner“ (gemeint Bergander und Schnatz, 

H.S.) mißachteten die zahlreichen Zeugenaussagen und stützten sich statt dessen

„hauptsächlich“ auf „Dokumente in den Archiven der Alliierten“;

  • er selbst sammele Zeitzeugenberichte, in denen eine „nicht zu unterschätzende

Anzahl von Zeitzeugen auf der Vormittagszeit“ beharre;

  • die Tiefangriffe amerikanischer „Jagdbomber“ hätten demnach am Vormittag des 14. Februar 1945 zwischen 10.00 Uhr und 11.00 Uhr stattgefunden.

  • diese Tieffliegerangriffe seien keine Hypothese, sondern eine nachprüfbare (!)

Schlußfolgerung anhand übereinstimmender Aussagen zahlreicher Zeitzeugen;

  • Schnatz habe daher „zu einem großen Teil am Sachverhalt vorbei recherchiert.

  • Folglich ist seine Aussage als wissenschaftliches Gesamt-Resultat nicht brauchbar“;

  • es müsse nach einer alliierten Jagdstaffel gesucht werden, die für diesen

Vormittagseinsatz in Frage komme. „Wenn es logischerweise keine Begleitjäger der

Bomberstaffeln waren, dann vielleicht Jagdflugzeuge in üblichen ‚Daily Strafing’,

      Long Range Patrols’ oder ‚Scouting Missions’.“191

 

______________________________________________________________________________________

zu danken, dass er mir den Text des Vortrags zur Verfügung gestellt hat. Einen weiteren Vortrag hat Bürgel als Manuskript vervielfältigt und auf dem Geschichtsmarkt in Dresden am 28. und 29. März 2009 verteilt.

187 Für die Zusendung einer Kopie habe ich Gert Bürgel ebenfalls zu danken.

188 Otto Griebel: Ich war ein Mann der Straße. Lebenserinnerungen eines Dresdner Malers, Halle-Leipzig 1986, S. 425 – 463.

189 Ebd. S. 448.

190 Ebd. S. 457

191 Diese von Bürgel zitierten Begriffe tauchen in den amerikanischen Luftwaffenakten als Bezeichnung von Einsatzarten nicht auf. Was er offenbar meint, wird dort als Sweep, Free Lance oder auch Armed Reconnaissance bezeichnet. Es liegt hier zudem eine Verwechslung von Einsatzarten mit Einsatzverbänden vor.

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Als Fazit stellt Bürgel (ausdrücklich noch als These) die Überlegung auf: „Wenn laut übereinstimmenden Zeugenaussagen am Vormittag des 14. Februar 1945 eine bis jetzt unbekannte Jagdstaffel in Dresden operiert hat, warum könnten es nicht eine oder mehrere unbekannte Staffeln auch zur Mittagszeit gewesen sein?“

Die neuen Behauptungen Bürgels müssen – unabhängig davon, ob man praktisch nur Zeitzeugenaussagen als unanfechtbare Wahrheiten und als einzige zuverlässig verwertbare Quellen ansieht oder nicht - ernst genommen werden. Allerdings ist die Konsequenz aus seinen neuen Vorbringungen, daß er damit nun selbst allen bisherigen Augenzeugen, Literatur- und Presseveröffentlichungen  über Tiefangriffe in Dresden aus den vergangenen  60 Jahren Unglaubwürdigkeit bescheinigt.

Des weiteren ist dabei auf einen merkwürdigen Widerspruch in seinen Gedankengängen hinzuweisen: für die Einsätze der alliierten Jagdverbände im Zusammenhang mit dem Bombenangriff zwischen 12.17 Uhr und 12.32 Uhr mißtraut er den alliierten Aktenbeständen, für die Suche nach den unbekannten Jagdstaffeln, die nach seiner Ansicht am Vormittag vor dem Bombenangriff über Dresden operiert haben sollen, soll dies offenbar nicht zutreffen.

Immerhin geht Bürgel nunmehr davon aus, daß es nicht mehr als drei oder vier Flugzeuge waren, die Tiefangriffe geflogen haben sollen.

Demnach ist nun zu fragen:

1. Welche alliierten Jagdeinheiten kann Bürgel gemeint haben, nach deren Einsätzen am Vormittag des 14. Februar 1945 zu suchen wäre? Laut einem Artikel der SÄCHSISCHEN ZEITUNG vom 30. März 2009  (also zwei Jahre nach seiner  Behauptung  von Tiefangriffen  am Vormittag) wußte er “bis heute nicht, wo die Flugzeuge herkamen und ob es englische oder amerikanische Piloten waren.192

2. Welche Quellen – außer Augenzeugenaussagen - geben hierüber Auskunft?

3. Welche Jagdverbände hätten der Royal Air Force und den United States Army Air Forces für einen Einsatz am Vormittag des 14. Februar 1945 über  Dresden  tatsächlich zur Verfügung gestanden?

4. Wann operierten sie?

5. Wo operierten sie? Wo liegen die Grenzen der von ihnen am 14. Februar 1945 beflogenen Einsatzräume?

Die Westalliierten verfügten am 14. Februar 1945 über folgende Jagdkräfte:

1. Fighter Groups der 8. Air Force (US),

2. (Fighter) Groups der 2nd Tactical Air Force (britisch),

3. Fighter Groups der 9. Air Force (US),

4. Fighter Groups der 1st Tactical Air Force (Provisional) (amerikanisch-französisch),

5. Fighter Groups des britischen Fighter Command der RAF.

6. Fighter Groups der  alliierten Luftstreitkräfte im Mittelmeerraum, das waren die Verbände der Mediterranian Allied Air Forces mit der 12. und 15. Air Force. Diese scheiden in diesem Fall von vornherein aus, da ihre taktischen Einheiten am 14. Februar 1945 die Alpen nicht überquerten und die strategischen nur in der Ostmark (Österreich) Angriffe flogen und mitteldeutsches Gebiet nicht berührten.193

 

 

_____________________________

192 “Hobbyforscher liefert Zeugen für Tiefflieger”.

193 Kit C. Carter/Robert Mueller: The Army Air Forces in World War II. ComBArcht Chronology 1941 – 1945, Washington 1973, S. 571.

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Die 8. Air Force war eine strategische Luftstreitkraft der Alliierten, die in der Tiefe des deutschen Luftraums operierte.  Ihr waren insgesamt 15 Fighter Groups unterstellt.  Alle waren am 14. Februar 1945 zum Begleitschutz der Bomber kommandiert und zwar:

die 20., 356., 359., 364. und 352. FG zur 1. Air Division (Ziel: Dresden);

die 78., 339., 353., und 357. FG zur 3. Air Division (Ziel Chemnitz);

die 355., 55., 479., 4., 361. und 56. FG zur 2. Air Division (Ziel Magdeburg).194

Damit scheiden die Fighter Groups der 8. Air Force für Tiefangriffe am Vormittag in Dresden aus. Da diese erst zwischen 09.40 Uhr und 10.44 Uhr in England gestartet sind, können sie zudem nicht zwischen 10.00 Uhr und 11.00 Uhr über Dresden gewesen sein.195

 

 Die drei anderen Air Forces umfaßten die taktischen Luftstreitkräfte, die an der Westfront die alliierten Bodentruppen während des gesamten Tageslichtes direkt unterstützten und das Hinterland der Westfront von seinen rückwärtigen Verbindungen abzuriegeln hatten.196 Nach Lage der Dinge kommen nur noch ihre Fighter Groups für die Vermutung Bürgels über vormittägliche Tiefangriffe „unabhängiger Jagdbomberstaffeln“ in Betracht.

Zur 2nd  TAF gehörten u. a.  die folgenden Jagdverbände:  83. und 84. Group mit  insgesamt 52 Jagdstaffeln (Squadrons). Jede bestand aus bis zu 16 Maschinen. Sie flogen die verschiedensten Versionen der Typen Mustang, Spitfire, Tempest,  Typhoon sowie Mosquito in der Jagdbomberversion.197 Zu dieser Air Force gehörten auch polnische, tschechische, niederländische, französische, norwegische, belgische und kanadische Squadrons. Das Operationsgebiet der 2. TAF war auf dem linken, britischen Flügel der alliierten Expeditionsstreitkräfte, also über dem Niederrhein, Westfalen, den Niederlanden und Nordwestdeutschland.

Aus den Angaben von Koordinaten und Zielräumen in den Daily Logs der 2. TAF ergibt sich für den 14. Februar 1945,198 daß  ihre Jäger  und Jagdbomber bei  Ihren  Einsätzen in bewaffneter Aufklärung die Linie Bremen – Braunschweig – Kassel nach Osten nicht überflogen haben, mit anderen Worten, sie blieben in der Luftlinie ca. 250 bis 300 Kilometer von Dresden entfernt. Dabei ist festzuhalten, daß diese äußerste Grenze von der weit überwiegenden  Mehrheit der Verbände nicht  erreicht wurde,  weil sie als taktische Einheiten in Frontnähe eingesetzt waren.

Die 2. TAF verfügte über P-51s im übrigen nur noch in der 268. (Aufklärungs)Squadron mit Anfangsmodellen dieses Typs. Sie waren praktisch veraltet und flogen am 14. Februar 1945 vormittags taktische, d. h. frontnahe Aufklärung, Artillerie- und Photo-Aufklärung zwischen 07.38 Uhr und 13.27 Uhr.199

Flugzeuge der 2. TAF scheiden damit für Tiefangriffe am Vormittag des 14. Februar 1945 aus.

Die 9. Air Force war den amerikanischen Bodentruppen der 1., 9. und 3. US Army zugeteilt und besaß 17 Fighter Groups. Deren Flugzeugbestand umfaßte im Februar 1945 durchweg P-47 Thunderbolt, ein Flugzeugmuster, das ursprünglich auch für den Begleitschutz der strategischen  Bomber  der  8.  AF eingesetzt,  aber  aus  dieser  Aufgabe  im  Februar  1945


 

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194 Plan „B“ to F.O. 1622A, 14/0210 Feb 45 (AFHRA Microfilm B 5018).

195 Fighter Advanced Information Operation No. 830 Field Order 1622A (AFHRA Microfilm B 5018).

196 In der Miltärsprache der alliierten Air Forces als “Interdiction” bezeichnet.

197 Christopher F. Shores: 2nd TAF, Reading 1970, S. 281 ff.; Order of BArchttle 2nd TAF, Mitte Februar 1945, in: Gerrit J. Zwanenburg: En nooit was het still. Kroenik van een luchtorlog. Aanvallen op doelen in Nederland, Deel 2: 1 juni 1943 - 9 mei 1945, Koninklijke Luchtmacht/Bureau Drukwerk en Formulierenbeheer DMKLu, 1993, S. 47f.

198 2nd TAF, Daily Logs (National Archives at Kew, Air 37/718). Ich danke Gerrit Zwanenburg, Barn/Niederlande

dafür, dass er die entsprechenden Daten zur Verfügung gestellt hat.

199 Order of BArchttle; Daily Logs, 14. Februar 1945.

 

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bereits zurückgezogen  war. Zwei  Fighter Groups der 9. AF  flogen noch mit  P-38 Lightning.  In der 9. AF flog nur die 354. Fighter Group mit P-51.200

 

Das Operationsgebiet der 9. Air Force reichte vom Niederrhein bis zum Elsaß. Ihren Jagdbombern wäre am ehesten ein Unternehmen, wie es Bürgel vorschwebt, zuzutrauen.

 

Die Revision der Summaries of  Operations der 9. Air Force ergibt, daß sie am 14. Februar die Linie Siegen – Frankfurt – Stuttgart nicht nach Osten überflogen haben.201

 

 Aufschlußreich sind zum anderen auch die dort angegebenen Einsatzzeiten für den  Vormittag des 14. Februar 1945. Zugrunde zu legen ist dabei eine durchschnittliche  Entfernung der Flugplätze dieser Jagdverbände von Dresden. Sie lagen in Nordostfrankreich und Südbelgien, von Dresden ungefähr 650 -700 Kilometer in der Luftlinie entfernt. Für den Hin- und Rückflug hätten die Jagdbomber (mit Zusatztanks!) bei einer Reisegeschwindigkeit von durchschnittlich 400 km/h ca. vier bis fünf Stunden Flugzeit gebraucht.202 Der längste Einsatzflug der Jagdbomber der 9. Air Force am Vormittag des 14. Februar 1945 dauerte dagegen mit 12 P-38 Lightning der 367. FG nur drei Stunden und 7 Minuten. Er begann um 09.38 Uhr und endete um 12.45 Uhr.

 

Die P-51 der 354. FG waren am 14. Februar 1945 nicht im Einsatz.203

 

Damit kommen auch die Jagdbomber der 9. AF für ein Tiefangriffsunternehmen gegen die Dresdner Zivilbevölkerung nicht in Betracht.

 

Den rechten Flügel der alliierten Expeditionsstreitkräfte bildeten die amerikanische 7. Army und die französische 1. Armée. Ihnen war seit Dezember 1944 die amerikanisch- französische First Tactical Air Force (Provisional) unterstellt. Operativ unterstand sie der Kontrolle der 9. AF und die Jagdbomberkomponente dieser Air Force bestand aus sechs amerikanischen und vier französischen Fighter Groups. Ihr Einsatzraum war die Pfalz, Baden, Württemberg und teilweise Bayern.204

 

Ihre Einsätze, und zwar die der amerikanischen wie auch der französischen Fighter Groups, führten am 14. Februar 1945 nach Osten nicht über die Linie Koblenz – Frankfurt – Ulm hinaus. Die längste Einsatzdauer betrug bei den amerikanischen Fighter Groups für einen Verband der 358. FG 2 Stunden, 55 Minuten. Es ergibt sich damit der gleiche Befund wie für die anderen taktischen Air Forces.205

 

Bei den taktischen Jagdbombergruppen der französischen Armée de l’Air in der 1st Tactical Air Force war der erste Start um 10.45 Uhr, was bedeutet, daß auch von diesen Einheiten keine zwischen 10.00 Uhr und 11.00 Uhr über Dresden hätte sein können.206

 

Die amerikanischen und französischen Verbände der 1. Tactical Air Force (Provisional) verfügten im übrigen über keine Verbände mit P-51 Mustang.207

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200 Zu dieser Air Force: Kenn C. Rust: The 9th Air Force in World War II, Revised Second Printing, Fallbrook/California 1970; John F. Hamlin: Support and Strike. A concise History of the Ninth Air Force in Europe, Peterborough 1991; Helmut Schnatz: Die vergessene Air Force. Einsätze der 9. amerikanischen Luftflotte im Mittelrhein- und Moselraum im zweiten Weltkrieg. In: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 27. Jg. 2001.

201 Ninth Air Force Summary of Operations No 45, 14 Februar 1945  (NA at College Park, RG 243, Records of the USSBS, Entry 25, file 2. f. (5) ).

202 Spezifikationen für die P-47 D nach Roger A. Freeman: Mighty Eighth War Manual, London 1984, S. 191.

203 Summary of Operations No 45, (NA at College Park, RG 243, Entry 25, file 2. f. (5) ).

204 Hierzu Victor C. Tannehill: First Tactical Air Force in World War II. Arvada/Colorado 1998.

205 Email von Hubert Bläsi, Heilbronn, 2. April 2007, dem ich für die Aufstellung der Einsatzzeiten und -räume zu danken habe. Die Angaben sind entnommen aus, Mission Reports of 50th, 324th, 358th Fighter Groups, XII TAC, 1st TACAF       (AFHRA Microfilm A-6354).

206 Daniel Decot : Pilotes francais sur l’Alsace et l’Allemagne, Paris 1990, S. 352 ff.

207 Tannehill, First Tactical Air Force S. 147; Decot, Pilotes francais, S. 677.

 

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Hauptaufgabe des Fighter Command der  RAF war die Luftverteidigung der britischen Insel. Ab Mitte Januar 1945 wurden verschiedene Squadrons  dieses Command auf  P-51 Mustang III umgerüstet und zwar die 64., 118., 122., 126., 129. und die 165.

Zu den Aufgaben dieser Squadrons gehörten auch Einsätze als long-range escort für die Viermotorigen des Bomber Command, das zu  diesem Zeitpunkt begann,  Angriffe gegen Ziele in  Deutschland nun  auch  am Tag zu fliegen. Allerdings  drangen sie damit  nicht  bis zur Elbe vor.

Am 14. Februar 1945 waren die Ziele des Bomber Command die Eisenbahnviadukte in Bielefeld-Schildesche und Altenbeken bei Bad Lippspringe. Der Einsatz wurde aber wegen des ungünstigen Wetters abgebrochen und die britischen Verbände kehrten unverrichteter Dinge wieder um.208

Auch diese Einheiten, die am entgegengesetzten Ende des Reiches operierten, kommen demnach für Tiefangriffe in Dresden nicht in Betracht.

 

Festzuhalten ist demnach, daß keiner der westalliierten taktischen Großverbände, Jagdflugzeuge im üblichen „Daily Strafing“,  in „Long Range Patrols“ oder „Scouting Missions“, wie Bürgel sich ausdrückt, über Dresden im Einsatz gehabt hat.209

 

Eine Rolle als Jagdbomber hätten die taktischen alliierten Fighter Groups in Dresden auch nicht übernehmen können. Weil ihre Reichweite für einen Flug von Belgien, der Bourgogne und Lothringen nach Dresden nicht ausreichte, hätten sie statt  Bomben Zusatztanks mitführen müssen. Daher wäre ihre Rolle auf  den MG-Beschuß der  Dresdner Zivilbevölkerung beschränkt gewesen.

Wenn Bürgel nach einer taktischen Jagdstaffel sucht, die für seine Version der Tiefangriffe in Frage kommt, so müßte er konsequenterweise auch nach einem alliierten Kommandeur der taktischen Luftstreitkräfte suchen, der, lediglich auf die vage Chance hin, einige Zivilisten im Tiefflug beschießen zu können, einige wenige Flugzeuge an ein Hunderte von Kilometern entferntes Ziel in unbekannter Topographie geschickt hat, über das er für eine Einsatzbesprechung seiner Besatzungen  keine aktuellen Informationen besaß und von dem er bestenfalls wußte, daß dort  nach einem unmittelbar vorangegangenen schweren Flächenangriff wahrscheinlich mit starken Verqualmungen und somit schweren Sichtbehinderungen, also schlechtesten Einsatzbedingungen zu rechnen war. Mit anderen Worten, ein solches Unternehmen wäre nicht nur vom Aufwand her unsinnig, sondern nicht einmal erfolgversprechend gewesen. Dafür setzt ein Kommandeur seine wertvollen Flugzeuge und Besatzungen nicht aufs Spiel.

 

Interessanterweise gab es für den 15. Februar 1945 bei der 8. Air Force einen Plan „Smudgepot“ (Schmierpott), der Bürgels Überlegungen wenigstens nahekommt. Die Primärziele dieses Tages für die Bomber waren Hydrierwerke für synthetisches Benzin in Magdeburg, Böhlen und Ruhland. Nach dem Einsatzbefehl  für  dieses Unternehmen sollten P-47 Thunderbolt der 56. FG ungefähr 45 Minuten vor dem Eintreffen der Bomberverbände Brände in den Zielgebieten verursachen.210 Die 4. und die 353. FG sollten hierbei Höhenschutz geben.

 

Gedacht war, daß vier bis acht P-47 in zwei Wellen aus Baumwipfelhöhe Öltanks in Brand schießen sollten, die aufsteigenden Rauchwolken sollten dann den Bomberbesatzungen, im Fall von Schwierigkeiten bei der Identifizierung der Ziele, deren Erkennung erleichtern. 211

 

 

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208 Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force, Air Staff, Summary of Operations 24 hours ending Sunset th 14 February, 1945, No 121 (AFHRA Microfilm B 5693)

209 Autor hat diesen Befund Bürgel bereits in knapper Form am 26. März 2007 mitgeteilt, indessen interessierte er sich nicht weiter für diese grundlegenden Fakten.

210 Field Order 1628, 15 Feb., 1945 (AFHRA Microfilm B 5018).

211 3rd Air Division Field Order No. 584 (AFHRA Microfilm B 5018).

 

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Kurz vor Beginn der Operation wurde das Unternehmen „Smudgepot“ jedoch abgesagt und die Fighter Groups übernahmen statt dessen normale Begleitschutzaufgaben.212 Es ist zu vermuten, daß den Operationsoffizieren das Tiefflug-Unternehmen über den großen, stark flakgeschützten Werk-Komplexen doch zu heikel erschien.

 

Ergänzend folgt nunmehr eine Betrachtung der neuen Theorie von Tiefangriffen Vormittag aus deutscher Perspektive.

 

Zunächst ist festzuhalten, daß die deutsche Luftraumüberwachung und der Flugmeldedienst über und in Mittel- und Ostdeutschland im Februar 1945 noch intakt war. Selbst einzelne Flugzeuge wurden erfaßt und ihr Flugweg verfolgt.213  Auch das Warnsystem war in Mittel- und Ostdeutschland noch funktionsfähig.  Im Unterschied dazu war über Westdeutschland der alliierte Flugbetrieb so intensiv, daß der Flugmeldedienst hier mit rechtzeitigen Durchgaben meistens nicht mehr nachkam, und es herrschte hier praktisch Daueralarm.

 

Für einen Anflug nach Dresden hätte eine von den „Bomberverbänden unabhängige Jagdstaffel“, wie erwähnt, jedoch das Reichsgebiet über mehrere hundert Kilometer im Hin- und Rückflug überqueren müssen.  Selbst  bei  einem Überlandflug in  niedriger Höhe wäre der Verband sehr bald von der Auge- und Ohr-Beobachtung der Flugmeldestellen und den deutschen Funkmeßgeräten (Radar) aufgefaßt und verfolgt worden und es hätte nach den geltenden Alarmvorschriften entlang seinem Einflugweg alarmiert werden müssen. Nach Lage der Dinge also zwischen 08.00 Uhr und 11.30 Uhr.

 

Die weiträumige Luftlage ist in der Luftschutzwarnstelle von Langenberg/Gera sorgfältig aufgenommen und schriftlich dokumentiert worden.214  Deren Luftwarnjournal hat die Zeitläufte glücklicherweise überstanden und ist eine äußerst wichtige deutsche Geschichtsquelle für den Luftkrieg im mitteldeutschen Raum.

 

Demnach wurde am 14. 2. 45 um 03.46 Uhr in Gera der Warnbefehl „Verdunkelungserleichterung“ gegeben und es gingen in der Warnstelle keine Meldungen mehr ein bis zum Vormittag.  Dann  wurden um 10.30 Uhr einfliegende  Bomberverbände  mit Spitze bei Bad Wildungen und der Abflug dieser Verbände nach Westen um 11.12 Uhr gemeldet.215

 

Um 11.19 Uhr wurden erneut einfliegende Bomberverbände über Gronau und Münster angesagt, dies waren die amerikanischen schweren Bomberverbände, die  Dresden  und Ziele in Chemnitz und Magdeburg angreifen sollten.216 Sie wurden in den fortlaufenden Luftlagemeldungen kontinuierlich verfolgt.

Um 11.44 Uhr wurde in Gera Öffentliche Luftwarnung gegeben, um 11.46  Uhr und 11.47  Uhr, also nach der von Bürgel angegebenen Zeit der Tiefangriffe in Dresden, wurden jeweils ein Jagdverband bei Lichtenfels und Zella-Mehlis gemeldet.217 Das war der vorausfliegende Weitschutz für die Bomber.

 

Um 12.01 Uhr werden erstmals Flugzeuge über Gera erwähnt., um 12.03 Uhr ein Bomberverband südlich Plauen mit Ostkurs. 218

 

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212 Fernschreiben der 8. Air Force von 07.55 Uhr, 15. Februar 1945. Die Kopfzeile des Dokuments ist leider   durch Ausriß beschädigt und seine Kennzeichnung unleserlich (AFHRA Microfilm B 5018)

213 Dies geht aus den erhaltenen Luftlagemeldungen eindeutig hervor.

214 Gemeinde Langenberg, Luftwarnjournal 1944-45 (Stadtarchiv Gera, III D/1 1139). Die Luftlagemeldungen und Warnbefehle für die Zeit vom 13. 2. 45, 20.04 Uhr bis 14. 2. 45, 15.58 Uhr vollständig abgedruckt in: Helmut Schnatz: Tiefflieger über Dresden? Legenden und Wirklichkeit, Köln 2000, S. 167 ff.

215 14. 2. 45, W(arn)B(efehl) 3.46 und L(uftlage)m(eldung) 1 und Lm 10, ebd.

216 14. 2. 45, Lm 13, ebd.

217 14. 2. 45, Lm 22 und 23, ebd.

218 14. 2. 45, Lm 33 und Lm 35, ebd.

 

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Demnach war der Luftraum über Sachsen am 14. Februar 1945 von 03.46 Uhr bis ca. 11.45

Uhr feindfrei.

 

Dieses Luftlagebild wird bestätigt durch die Alarmzeiten. Nach den Warnvorschriften war beim Einflug eines Jagdverbandes das Signal „Öffentliche Luftwarnung“ zu geben.219 Diese hätte beim Einflug eines Jagdverbandes, der zwischen 10.00 Uhr und 11.00 Uhr über Dresden gewesen sein soll, im ostthüringisch-vogtländisch-sächsischen Raum ca. 09.30 Uhr bis 09.50 Uhr gegeben werden müssen, Entwarnung etwa ab 11.10 Uhr bis 11.20 Uhr. Wie die Aufstellung zeigt, liegen die  <Öffentlichen Luftwarnungen und Fliegeralarme zeitlich aber alle nach den hypothetischen Aufenthaltszeiten des von Bürgel postulierten „unabhängigen Jagdverbandes“ über Dresden.

Die tatsächlich gegebenen Alarme beziehen sich dagegen eindeutig auf die später anfliegenden US-Bomberverbände der 1. und 3. Air Division.

 

In Dresden war in der Angriffsnacht um 02.15 Uhr entwarnt worden, Fliegeralarm erging erst

wieder am 14. 2. 1945 um 12.00 Uhr. Weitere erstmalige Alarmzeiten von diesem Vormittag:

 

Oelsnitz/Vogtl.                            11.30 Uhr Öffentliche Luftwarnung

                                        11.42 Uhr Fliegeralarm220

Hof                                              11.43 Uhr Fliegeralarm221

Reichenbach/Vogtland               11.30 Uhr Fliegeralarm222

Auerbach/Vogtland                     11.38 Öffentliche Luftwarnung223

Plauen                                        11.42 Uhr Fliegeralarm

                                       11.38 Öffentliche Luftwarnung224

Chemnitz                                   11.42 Uhr Fliegeralarm

                                                   11.45 Uhr Fliegeralarm225

 

Die Luftlagemeldungen der Warndienststelle Langenberg sowie die Alarmzeiten von Gera, Dresden, Oelsnitz/Vogtl., Hof, Reichenbach/Vogtl., Auerbach/Vogtl., Plauen und Chemnitz belegen als deutsche Quellen eindeutig, daß der Luftraum Dresdens bis zum Beginn des Bombenangriffs um 12.17 Uhr feindfrei gewesen ist.

 

Mit anderen Worten: deutsche, britische und amerikanische Dokumente aus den verschiedensten Provenienzen ergänzen und bestätigen sich gegenseitig und unabhängig voneinander in der Aussage, daß es am Vormittag des 14. Februar 1945 zwischen 09.00 Uhr und 12.17 Uhr keine britischen oder amerikanischen Flugzeuge über Dresden gegeben hat. Damit kann es am Vormittag des 14. Februar 1945 entgegen der Behauptung Bürgels auch keine Tiefangriffe gegeben haben. Die Wahrnehmungen der Augenzeugen müssen daher auf andere Weise erklärt werden.

 

Damit erledigt sich auch, abgesehen von den technischen Möglichkeiten, die Frage, ob es nicht am Nachmittag „unabhängige Staffeln über Dresden“ gegeben haben kann. Nach der Entwarnung um 12.45 Uhr gab es den nächsten Alarm erst wieder um 20.25 Uhr.

 

Die vielen Zeugenaussagen über Tiefangriffe, um die  Bürgel sich bemüht hat, veranlaßten ihn,  dem   Verfasser   gegenüber   „einen   Qualitätsumschlag    in   der   wissenschaftlichen 

 

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219 Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda - Interministerieller Luftkriegsschädenausschuß, LK- Mitteilung Nr. 125, 15. 5. 44, (BArch R55/447).

220 Teppich und Heimatmuseum „Schloß Voigtsberg“ an Stadtverwaltung Oelsnitz/Vogtland vom 12. 04. 1996, weitergeleitet an Verf.

221 Luftwarnmeldungen der Luftwarnzentrale Hof, Stadtarchiv Hof vom 16. 4. 1996 an Verf.

222 Stadtverwaltung Reichenbach/Vogtl. vom 11. 04. 1996 an Verf.

223 Wachdienstplan der Schutzpolizei-Dienstabteilung Auerbach vom 01. 01. bis 30. 06. 1945, (StA Auerbach Abt. III).

224 Ebd.

225 Stadtarchiv Chemnitz vom 20. 03. 1996 an Verf.

 

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Betrachtungsweise“ zu fordern.226 Gemeint ist offenbar, daß die Quantität der „vielen  Gleichen und voneinander unabhängigen ‚Truggespinste’ <ironisch, gemeint: Tieffliegerwahrnehmungen> von Zeitzeugen“ in  die  Qualität der Aussage umschlagen  müßte, daß es, unabhängig  von entgegenstehenden, wissenschaftlich nachprüfbaren Fakten, Tiefangriffe wenigstens am Vormittag  des 14.  Februar 1945  in Dresden gegeben hat.

 

Dazu ist folgendes zu sagen:

 

1. Bürgels Gedankengang ist offensichtlich folgender: unbestreitbares Faktum ist, daß in Dresden Tiefangriffe stattgefunden haben. Beweis dafür sind „Tausende, und heute immer noch Hunderte von Zeitzeugen“. Weil die Zeitzeugen so aussagen, muß es also die Tiefangriffe gegeben haben – ein echter Zirkelschluß. Diesen mit zu vollziehen postuliert allerdings den Ausschluß aller übrigen zeitgenössischen Quellen und die Preisgabe aller bisher gewonnenen quellengestützten Erkenntnisse.227

 

2. Wem ist im Zweifelsfall der Vorzug zu geben? Den Zeitzeugen, deren Wahrnehmungen, Erinnerungen und Interpretation der Erlebnisse in mehr als einem halben Jahrhundert einer Vielzahl von Eindrücken, Beeinflussungen, Überlagerungen, Erinnerungslücken, Trübungen, Anlagerungen von Topoi unterlagen und noch unterliegen? Oder der Menge der Dokumente aller Seiten, die unabhängig voneinander und an den verschiedensten Orten während der Geschehnisse entstanden sind,  sich in ihrem Informationsgehalt seitdem nicht mehr verändert haben und technischen und naturwissenschaftlichen Bedingungen, die nicht veränderbar sind?

 

3. Es ist nicht einzusehen, warum von den Zeitzeugen nicht akzeptiert werden kann, was an anderer Stelle  in diesem Beitrag ausgeführt wurde, daß nämlich die Tiefangriffe sich zwanglos mit  zweifelsfrei stattgehabten und auch eindeutig belegbaren Luftgefechten erklären, einschließlich dabei eingetretener möglicher Todes- und Verwundungsfälle am Boden durch dabei abgefeuerte MG-Salven aus einer Überhöhung. Die andere plausible Erklärung wäre die  Übertragung von Tiefangriffserlebnissen aus den Tagen des April 1945, als der Raum Chemnitz-Dresden Frontgebiet war, auf den 14. Februar 1945.

 

Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, daß Bürgel den Eindruck erweckt, von ihm gesammelten Zeugenaussagen recht unkritisch gegenüberzustehen. So kam ihm die Idee zu den vormittäglichen Tiefangriffen „bei der  Aussage eines Zeitzeugen, der  vormittags zwischen 10 und 11 Uhr an den Elbwiesen von Tieffliegern durch  einen  Streifschuß am Oberschenkel verletzt wurde und dann mit einem Militär-LKW bis  Riesa mitgenommen wurde, wo er Mittags angekommen war und dort die  Bomberstaffeln Richtung Dresden ziehen sah.“228

 

Eine Aussage, die zunächst plausibel klingt. Bei näherer Betrachtung kommen allerdings Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussagen auf: Man kann davon ausgehen, daß der Zeuge auf dem LKW günstigstenfalls ca. 11.15 Uhr aufsitzen konnte. Zu diesem Zeitpunkt brannte Dresden noch überall, die Straßen waren mit Trümmern übersät und noch nicht freigeräumt, wahrscheinlich auch durch Bombentrichter zusätzlich schwer  passierbar. Schneller als im Schritt  konnte das Fahrzeug vorsichtig  bis zur Grenze des bombardierten Areals nicht fahren. Das waren ca. zwei Kilometer, Zeitbedarf mindestens eine halbe Stunde, wahrscheinlich aber mehr. Demnach wäre der LKW um 11.45 Uhr immer noch im Stadtbereich Dresden gewesen. Ab etwa 12.00 Uhr, d. h. etwa eine Viertelstunde später will der Zeuge bereits von Riesa aus die anfliegenden Bomber beobachtet haben.

 

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226 Siehe Vortragsmanuskript.

227 Seinen nur auf Augenzeugenberichten basierten Gedankengang hat Bürgel inzwischen einem größeren Publikum zugänglich gemacht in: Wolfgang Schaarschmidt, Dresden 1945. Daten, Fakten, Opfer. Völlig überarbeitete und aktualisierte Neuauflage Graz 2010, VII. Anhang.

228 So im Vortragsmanuskript.

 

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Von der Stadtgrenze Dresden sind es bis Riesa linkselbisch ca. 55 Kilometer mit Ortsdurchfahrten durch kleine Orte. Wahrscheinlich waren die Reichsstraßen 6 und 169 damals auch gepflastert und noch nicht asphaltiert, also nicht schnell befahrbar. Nach der Darstellung des Zeugen müßte der LKW die Strecke von Dresden bis Riesa jedenfalls mit ca.120 km/h gefahren sein, was ein Ding der Unmöglichkeit ist, schon allein, weil die Lastfahrzeuge der Kriegszeit schneller als 80 km/h nicht fuhren, bei Tieffliegergefahr zudem langsam gefahren werden mußte, um allen Passagieren ein schnelles Aussteigen möglich zu machen. Wesentlich wäre in diesem Zusammenhang auch zu wissen, ob es sich um ein Fahrzeug gehandelt hat, das mit Diesel oder mit Holzgas betrieben wurde.

 

Von Riesa aus will der Zeitzeuge dann die Bomberstaffeln nach Dresden haben fliegen sehen. Das bedeutet, daß er die Verbände über eine Entfernung von etwa 40 Kilometer (in der Luftlinie) optisch wahrgenommen haben will, und das bei einer geschlossenen Wolkendecke!

 

Konfrontiert mit diesen Überlegungen, korrigierten der Zeitzeuge und Bürgel in einer Email an den Verfasser nun die Abfahrtszeit aus Dresden „nach Gefühl“ auf 10.45 Uhr. Damit verschiebt sich allerdings der behauptete Zeitraum für Tiefangriffe nochmals weiter in die frühen Vormittagsstunden zurück, also auf etwa 09.30 Uhr bis 10.30 Uhr. An der Unmöglichkeit der Zeitstellung für einen Einsatz der alliierten taktischen Jagdkräfte ändert dies allerdings nichts.

 

Als Fahrtstrecke im Stadtgebiet Dresden geben der angeführte Zeitzeuge und Bürgel jetzt an: Schillerplatz – Blaues Wunder – Körnerplatz – Bautzener Straße – Albert-Platz - Königsbrücker Straße – Leipziger Straße. Von hier konnte die Fahrt über die Autobahnbrücke dann linkselbisch über Meissen nach Riesa zeitlich so weitergehen, daß eine Ankunft gegen 12.00 Uhr in Riesa im Bereich des Möglichen liegt.

 

Zu den von dem Zeugen dann angeblich beobachteten, nach Dresden fliegenden Verbänden lautet die Aussage jetzt: „Die Beobachtung der Bomberstaffeln, in östliche <!> Richtung fliegend, erfolgte ‚kurz vor’ Riesa. Die geschätzte Höhenangabe laut Hofmann: 4000 m. Entsprechend des Luftwarnjournals Langenberg (Lm 54 vom 14. 2. 45) kreisten um 12.36 Uhr Bomberverbände im Raum Riesa.“229 Wenn der Zeuge dort wirklich durch eine Bewölkung von 8-9/10 Bedeckung Flugzeuge gesehen haben sollte, können dies nur in kleinen Wolkenlücken Kondensstreifen der 10 B-17 der B-Squadron, 303. BG gewesen sein, die, aus südöstlicher Richtung kommend, Dresden nach einem zweiten Anflug um 12.31 Uhr bombardiert hatten und in Richtung Meißen abflogen, dann mit südwestlichem Kurs Anschluß an den Bomberstrom über dem Erzgebirge suchten. Ihre Höhe war etwa 8 000 Meter.230

 

Es verwundert jedenfalls, daß Bürgel an den Zeugen nicht die gleichen rigiden Maßstäbe der Kritik angelegt hat, wie er das bei den Quellen seiner Kontrahenten zu tun pflegt und daß er seine Vormittagstheorie auf so vage Aussagen begründet.

 

Dem gegenüber steht jedenfalls die Aussage des Dresdners Michael Schnieber, der die Angriffe miterlebt hatte: „Auf dem Weg <am Vormittag des 14. Februar 1945> vom zerstörten Elternhaus (in der Eisenstuckstraße/Südvorstadt) nach Rochwitz im Nordosten der Stadt haben wir zwar den Großen Garten und die Elbwiesen umgangen. Aber immer hatten wir von der Südhöhe und mit dem Ziel ‚Blaues Wunder’ die Stadt im Blickfeld. Auf dem stundenlangen Fußmarsch zur Elbe hatten wir keinerlei Flugbewegungen, geschweige denn Tiefflieger-Angriffe oder Bordwaffen-Beschuß wahrgenommen, bevor uns der Tagesangriff der US-Luftflotte an der  Grundstraße in die Schutzräume zwang.“231  Als Luftwaffenhelfer mit

 

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229  Schnatz, Tiefflieger über Dresden?, S. 175. Richtig: im Raum Riesa, Bautzen, Chemnitz, Bodenbach.

230  Ebd. S. 110 f.; 1st AD Report of Operations 14 February 1945, Bombing Data (AFHRA Microfilm B 5018).

231  Michael Schnieber, Wenn ich mich recht erinnere … Geschichte und Geschichten eines 28er’s,   Privatdruck 2008. Schnieber war Redakteur und lebt heute in Leutkirch/Schwarzwald.

 

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einschlägigen Tiefangriffserfahrungen  ist   Schnieber jedenfalls ein kompetenter  Augenzeuge.

 

Bislang scheint Bürgel auch keinen Erfolg gehabt zu haben, die von ihm postulierte „unabhängige taktische“ Jagdstaffel zu identifizieren, die am Vormittag zwischen 10.00 und 11.00 Uhr vor den Bombern über Dresden gewesen sein soll. Genau dies ist jedoch der springende Punkt bei der Klärung der Frage.  Bei den beiden Veranstaltungen der Kommission zur Ermittlung der Totenzahlen auf dem Historikertag in Dresden am 1. Oktober 2008 hat er es jedenfalls hierzu keine Erklärung abgegeben. Auch auf dem Geschichtsmarkt am 28. und 29. März 2009 war dies so.

 

Ein Satz gleich zu Beginn seines Vortrages vom 17. März 2007 ist allerdings aufschlußreich: „Die Lösung des Historikerstreites, zumindest der entscheidende Lösungsansatz, kann nur aus unserer Stadt, also von uns Dresdnern selbst kommen.“232

 

Mit anderen Worten: Bürgel  nimmt für sich und die Anhänger seiner Theorie die Deutungshoheit in  Anspruch und spricht  den nicht aus  Dresden  stammenden oder dort nicht ansässigen Historikern schlichtweg die Kompetenz ab, fachlich begründete Urteile abzugeben. Spätestens hier wird deutlich, daß die Frage der angeblichen Tiefangriffe auf Dresden für Teile der  Öffentlichkeit  sehr stark den  Charakter einer Glaubensfrage hat. Gegen Dogmatismus ist, wie man weiß, mit Sachargumenten nicht anzukommen.

 

Die Menge der Zeitzeugenaussagen über Tiefangriffe in Dresden am 14. Februar 1945 hatte bereits früher Wolfgang Schaarschmidt zu einer Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen aus „Tiefflieger über Dresden?“ veranlaßt233. Ihre Qualität sei hier exemplarisch an einem Beispiel demonstriert. So konstatiert Schaarschmidt  als  Einwand gegen die Aussage, daß die Alarmzeiten in Dresden keinen zeitlichen Raum für Tiefangriffe zuließen234:  „Der  Zeitpunkt der Entwarnung in Dresden mußte nicht den Abflug der Jäger mit umfassen <Hervorh. d. Verf.>. Die LDV 401 Ziff. 32 gibt folgende Richtlinie: ‚Bei Tage werden durch einzeln erscheinende, als solche einwandfrei erkannte feindliche Aufklärungsflugzeuge und Jagdverbände Warnmeldungen im allgemeinen nicht ausgelöst’ ".235

 

Diese Aussage ist erstaunlich. Schaarschmidt hat dabei übersehen, daß die Vorschrift aus dem Vorkriegsjahr 1937 stammt236 und 1945 inzwischen durch andere, den Realitäten des Luftkrieges entsprechende Warnvorschriften längst ersetzt war.

 

Die Warnvorschriften vom 15. 5. 1944237 schreiben für Jagdverbände folgende Warnbefehle bei Rückflügen vor: Öffentliche Luftwarnung, Entwarnung (Vorentwarnung und endgültige) nach Überfliegung des Schutzobjektes und im übrigen, wenn das Warngebiet feindfrei ist.

 

Das heißt nichts anderes, als daß im Augenblick der sehr frühen Entwarnung sich keine Feindflugzeuge in einer Umgebung von etwa 40 Kilometern um Dresden befunden haben. Diese Regelung entsprach den Gefährdungen, die, wie sich zu diesem Zeitpunkt längst herausgestellt hatte, von alliierten Jagdverbänden ausgehen konnten. Für den 14. Februar 1945 bedeutete das, daß die Begleitjäger zusammen mit den Bombern abgeflogen waren.238

 

 

 

 

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232 Siehe Vortragsmanuskript, erste Seite.

233 Wolfgang Schaarschmidt: Dresden 1945. Daten – Fakten – Opfer, München 2005, S. 53 ff.

234Tiefflieger über Dresden?, S. 115 f.

235 Dresden 1945, S. 59.

236 LDV 401, Anweisung für den Luftschutzwarndienst im Reichsgebiet, (Entwurf) vom 1. Februar 1935, Berlin

1937, (BArch-MArch RLD 19/401).

237 LK-Mitteilung Nr. 125, 15. 5. 44 (BArch R55/447).

238 Schnatz, Tiefflieger über Dresden?, S. 114 ff.


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Tiefangriffe am 15. Februar 1945?

Gelegentlich wird von Zeitzeugen als Datum für Tieffliegerangriffe in Dresden auch der 15. Februar 1945 genannt. Allerdings scheinen diese Aussagen eher auf eine versehentliche Falschdatierung hinzudeuten, wie sie bei Zeitzeugenaussagen häufig vorkommt, aber es ist damit zu rechnen, daß die unbeugsamen Verfechter der Tieffliegererzählungen auf dieses Datum ausweichen werden, wenn sich selbst in ihren Augen der 14. Februar auch mit den unmöglichsten Konstruktionen nicht mehr halten lassen sollte.

 

Deshalb sei an dieser Stelle noch einmal kurz auf den dritten Tag der Bombardierung Dresdens eingegangen werden.

 

Ziele der 8. Air Force waren am 15. Februar die Hydrierwerke der Braunkohle-Benzin AG (Brabag) zur Herstellung von synthetischem Benzin:

a)   für die 2 Air Division in Magdeburg,

b)  für die 3. Air Division in Ruhland (Schwarzheide) zwischen Dresden und Cottbus. (Zweitziel Cottbus, Verkehrsanlagen),

c) für die 1. Air Division in Böhlen bei Leipzig (Zweitziel Dresden, Verkehrsanlagen).239

 

Die Möglichkeit von  Tiefangriffen wurde diesmal im  Einsatzbefehl  nicht erwähnt. Es ist davon auszugehen, daß diese routinemäßig entlang den Rückfugrouten geflogen werden durften.

 

Der Einsatz war im übrigen nach Anlage und Durchführung ganz von der schlechten Wetterlage her bestimmt. So konnten in England die amerikanischen Bombardment und Fighter Groups ihre Maschinen nur zum Teil, bzw. gar nicht in die Luft bringen. Der Jagdschutz fiel daher schwächer aus, so wurde die  1. AD am Ende nur von drei,  (der 20., der 356. und der 359.) und die 3. AD ebenfalls nur von drei,  (der 55., 353. und der 357.) Fighter Groups geschützt.

 

Über Ostdeutschland lag eine dichte Wolkendecke von 8 – 10/10 zwischen 200 und 3000 Metern,240 womit den schweren Bomberverbänden eine Bombardierung nach Sicht verwehrt war. Ihre Einsatzführer entschlossen sich daher, die Zweitziele durch Führung nach dem Bodenradar H2X anzugreifen.

 

Erschwert wurde die Unternehmung zusätzlich durch die komplizierte Anlage der Kurse:

Die 3. AD sollte den Bomberstrom anführen und südlich und östlich an Dresden vorbei mit einem nordwestlichen Kurs Ruhland, die 1. AD südlich und östlich um Chemnitz herum mit Nordwestkurs Böhlen anfliegen.

 

Tatsächlich bog die 3. AD östlich Pirna nicht nach Ruhland ab, sondern nach Cottbus, während die 1 AD über Annaberg nach Dresden eindrehte. Zwischen 11.51 Uhr und 12.26 Uhr fielen die Bombenteppiche auf Cottbus, von 11.51 Uhr bis 12.02 Uhr auf Dresden.241

 

Diesmal ließ hier die Entwarnung länger auf sich warten, Der Entwarnungszeitpunkt war 12.30 Uhr. Erklärbar wird dies dadurch, daß die 1. AD diesmal zum Abflug weiter nach Osten ausholte als am Vortag und mit südlichem, dann westlichen Kurs abflog, was Zeit kosten mußte.242 Dazu streifte 3. AD auf ihrem Rückflug östlich an der Stadt vorbei, diesmal mit Südkurs,  das Warngebiet.  Ihre  letzten  Maschinen  müssen  gegen 12.45 Uhr  einen  Punkt

 

 

 

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239 Field Order No 1628, 15 Feb 1945 (AFHRA Microfilm B 5018)

240 Luftwaffenführungsstab Ic, Abendmeldung vom 15. 2. 45 (BArch-MArch RL 2/II 388).

241 Headquarters 3d Air Division, Tactical Report of Mission - Ruhland, Wesel -15 February 1945; Headquarters

1st Air Division, Report of Operations, Bohlen, 15 February 1945, (AFHRA Microflim B 5018).

242 Leider ist die Flugskizze im Film schwer lesbar, sodass genaueres über den geflogenen Kurs nicht gesagt werden kann.


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östlich Decin (Tetschen) passiert haben, von wo aus sie den Wendepunkt zwischen Podborany und Rakovnik ansteuerten, den sie bis 12.55 Uhr durchflogen hatte.243

 

Aus den Claims der Jagdgruppen beider Divisionen, also den Erfolgsmeldungen, geht folgendes hervor.

 

Jagdschutz der 1. AD:

nach 13.30 Uhr eine Lokomotive beschädigt bei Darmstadt durch die 20. FG, zerstört drei Lokomotiven und zwei beschädigt, außerdem beschädigt zwei Tankwagen, 26 Güterwagen und eine (Radar? Bahn?)-Station im  Raum Frankfurt – Fulda – Schweinfurt durch die 356. FG. Die 359. FG beanspruchte keine Erfolge durch Tiefangriffe.244

 

Jagdschutz der 3. AD:

Zerstört  24  Lokomotiven, ein Tankwagen, ein Radar-Turm, drei Lastwagen, beschädigt sechs Lokomotiven, 12 Tankwagen, drei Güterwagen, eine Station, zwei Lastwagen, ein Transformator durch die 55. FG. Erzielt wurden die Claims im Raum Karlsbad – Eger – Kulmbach. Hart östlich Dresden sichtete ein Flight der 55. FG eine deutsche HS 129 in 2 600 Metern Höhe und schoß sie ab.245

Die 353. FG meldete Tiefangriffe nur mit einem Teil ihrer hierfür eingeteilten A-Gruppe und zwar auf Verkehrsziele in den Räumen Böhm.Leipa/Niemes und Brus/Saaz.246 Ihre Claims waren: zerstört sieben Lokomotiven, ein Tankwagen, ein Güterwagen, beschädigt 33 Tankwagen, 10 Güterwagen, ein Boot. Bemerkenswerterweise meldeten die Piloten dieser Group, im Raum Böhm.Leipa/Niemes mit Hausrat beladene Fuhrwerke mit Flüchtlingen gesichtet zu haben, wahrscheinlich kamen sie aus Schlesien. Aus der Claims-Meldung geht nicht hervor, daß sie diese angegriffen hätten.

Die 357. FG meldete keine Erfolge.247 Sie war allerdings auch nicht in eine A- und B-Gruppe unterteilt, für Tiefangriffe also wohl von vornherein nicht vorgesehen.

 

Die 20. FG brach ihren „Escort“-Einsatz um 13.10 Uhr nördlich Frankfurt  in 9 500 Metern Höhe ab,  die 356. FG um 13.50 Uhr ohne Ortsangabe in 6 600 Metern Höhe und die 359.    FG um 13.18 Uhr bei Wiesbaden in etwa 7 000 Metern Höhe.

 

Die 55. Fighter Group meldete den  Abbruch des Begleitschutzes durch ihre Tiefangriffsgruppe für 12.48 Uhr in 7 900 Meter Höhe bei Coburg.248 Die B-Gruppe und der Rest der A-Gruppe der 353. FG beendete ihren Begleitschutz südöstlich Koblenz um 14.00 Uhr in ca. 7 000 Metern Höhe, die 357. FG um 14.10 Uhr nordöstlich Frankfurt, 8 000 Meter hoch.

 

Der INTOPS Summary No. 291 der 8. Air Force zum 15. Februar 1945 vermerkt zwar zum Jagdschutz der 3. Air Division:  „Strafed transportation … in Karlsbad-Eger Area and northeast of Dresden.“249 Vermutlich hat  der  Berichterstatter mit der  Angabe „nordöstlich Dresden“ den Abschuß der HS 129 mitgemeint.

 

 

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243 Die Zeitpunkte ergeben sich aus den Abwurfzeiten in Cottbus, den ungefähren Rückflugstrecken und den nach dem ursprünglichen Flugplan vorgesehenen Abfluggeschwindigkeiten nach dem Angriff.

244 Mission Summary Reports 20th, 357th und 359th Fighter Group (AFHRA Microfilm B 5018).

245 Mission Summary 55th Fighter Group (AFHRA Microfilm B 5018). Die Henschel HS 129 war ein zweimotoriges Schlachtflugzeug, das die Luftwaffe an der Ostfront einsetzte. Offenbar kehrte die Maschine von einem Einsatz gegen die Sowjet-Armee zurück.

246 353th Fighter Group, Mission Summary Report 15 Ferbruary 1945 (AFHRA Microfilm B 5018). Brus ist offenbar eine Verballhornung von Brüx.

247 Mission Summary 357th Fighter Group (AFHRA Microfilm B 5018).

248 Mission Summary Report 55 Fighter Group (AFHRA Microfilm B 5018).49

249 Intops = Intelligence of Operations. Es handelt sich um einen statistisch-nachrichtendienstlichen Einsatzbericht, der nach jeder Operation erstellt wurde. Der Intops Summary No. 291 in: AFHRA Microfilm B 5018.

 

60

 


 

 

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß keine der Angaben für Tiefangriffe der amerikanischen Jäger in Dresden paßt.

 

Die Verfechter der Tiefangrifferzählungen werden auch hier wieder vortragen, daß die amerikanischen Einsatzakten einen völkerrechtswidrigen Angriff auf die Bevölkerung unterdrücken, aber dem sei entgegengehalten, daß diese Behauptung hier so wenig verfängt wie bei den anderen genannten Daten und aus den gleichen übrigen Gründen.

 

Auch aus deutscher Sicht ergibt sich der gleiche Befund. Diesmal dauerte es vom letzten Bombenabwurf bis zur Entwarnung 28 statt 16 Minuten. Die Luftlagemeldungen (Lm)  und der Warnbefehl (W.B.) der Luftwarnstelle Langenberg bei Gera zeigen, warum das so war.250

Vor dem Hintergrund der Luftlageentwicklung wird man aber konstatieren, daß auch diesmal

die Entwarnung eher zeitig gegeben worden ist.

 

Lm 36 

11.55 (Uhr)

… Im Raum Dresden Bombenabwurf.

Lm 39

12.03

Zwischen Freiberg u. Annaberg Bomberv(erbände) im Rückfl(ug)K(urs) W(est) u. S(üdwest)

Lm  42

12.16

Bomberv. Im Abflug südl. Dresden …

Lm  43

12.19

Bomberv. nordostw. Dresden K.S.W. …

 

Die Luftlagemeldungen 36, 39 und 42 geben Flugbewegungen der 1. Air Division wieder, Luftlagemeldung 43 solche der 3. Air Division, die von Cottbus herunterkam. Um 12.30 Uhr wurde in Dresden entwarnt, sodaß der Abflug der letzten Maschinen aus dem Luftraum über der Stadt spätestens um 12.20 Uhr begonnen haben muß. Obwohl zu diesem Zeitpunkt immer noch US-Verbände südöstlich Dresden, wenn auch knapp außerhalb des Warngebietes auf dem Rückflug waren, hat der Flugmelde- und der LS-Warndienst die Luftlage für das Warngebiet Dresden offensichtlich  als nicht mehr sehr bedrohlich angesehen. Das nach den furchtbaren Erfahrungen unmittelbar nach der Zerstörung der Stadt!

Diese Einschätzung der Situation bestätigt auch Lm 47, zieht man die räumliche Lage von Annaberg und Görlitz zu Dresden in Betracht.

 

Lm 45

12.26

… Rückflüge von Bomberv. aus Raum Cottbus, Görlitz sind zu erwarten.

Lm 47

12.42

Weitere Rückflüge von Bomberv. bei Görlitz und Annaberg K(urs) S(üd)W(est)…

Lm 49

12.48

Rückwärtige Begrenzung der Rückflüge bei Aussig u. Leitmeritz K.W.

Lm 53

13.03

Bei Schwarzenberg und Comotau die letzten Verbände im Abflug K.W. L(uftgefahr) 8.

W.B.

13.35

Entw(arnung)

 

Über Tieffliegeraktivitäten im Raum Dresden berichten die Luftlagemeldungen für den fraglichen Zeitraum nichts.

Das bedeutet: bei einer grundsätzlich anderen und komplizierteren Luftlage legen die deutschen Luftlagemeldungen einen zügigen Abflug von Dresden nahe. Das heißt: auch am 15. Februar 1945: keine Tiefangriffe in Dresden.

 

Im übrigen schweigen auch zum Datum des 15. Februar 1945 nicht nur die amerikanischen sondern auch die bereits erwähnten deutschen Unterlagen über Tiefangriffe  in Dresden. Auch hier gilt abermals die schlichte Frage: Warum ließ sich Goebbels eine solche Gelegenheit zu einer wirkungsvollen Greuelpropaganda im In- und Ausland entgehen?

 

 

______________________________

250 Gemeinde Langenberg, Luftwarnjournal 1944-45 (Stadtarchiv Gera, III D/1 1139).

 

 61

 


 

 

Schlußfolgerungen

 

Als Fazit ergibt sich:

 

1. Die vielfältigen Behauptungen, daß alliierte Jäger systematische und massenhafte Völkerrechtsverletzungen dadurch begangen hätten, daß sie zahllose Einzelpersonen beschossen, getötet und verletzt hätten, lassen sich aus der Menge der Bezüge in Akten, in Tagebucheintragungen Goebbels’, in der Presse, in regionalgeschichtlichen Untersuchungen und unter technischen und naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten so nicht halten. Den unzähligen deutschen und alliierten Luftlage- Schadens- und Gefechtsmeldungen über Tiefangriffe auf militärisch wichtige Ziele stehen nur wenige gegenüber, die konkret völkerrechtswidrigen Beschuß von Zivilpersonen erwähnen.

 

2. Das Unternehmen Chattanooga I am 21. Mai 1945 löste eine zügellose Propagandakampagne des Reichsministeriums für Volksaufklärung  und Propaganda  aus, bei der der Reichspropagandaminister mit unwahren Behauptungen aus Einzelfällen eine maßlose Hetze gegen alliierte Flieger inszenierte, um die Bevölkerung zu Lynchmorden zu animieren. Ziel dabei war, dieser ein Ventil für die Emotionen zu öffnen, die der einseitige Verlauf des Luftkriegs über dem Reich hatte wachsen lassen. Das Ergebnis war eine bis heute wirksame Dämonisierung der alliierten Jagdflieger in der Bevölkerung.

 

3. Wie in jeder Armee der Welt, gab es auch in den Cockpits der alliierten Jagdflugzeuge vereinzelte Schwarze Schafe, die ihre gesamte Waffengattung durch völkerrechtswidrige Angriffe in Verruf brachten.

 

4. Viele Einzelpersonen, die durch Tieffliegerbeschuß zu Schaden kamen, wurden dies, weil sie in den Beschuß von  legitimen Zielen gerieten.  In  den amerikanischen Mission Summaries der Jagdgruppen wird z. B. immer wieder der Beschuß von Leitungen der Stromversorgung,  von  Schalt- und Radarstationen erwähnt.  Daß hierbei z. B. Bauern  bei der Feldarbeit ins Feuer geraten konnten, ist leicht einsehbar.

 

5. Tiefangriffe in Dresden am 13. und 14. Februar 1945 müßten sich irgendwo in den deutschen Akten niedergeschlagen haben. Aus dem Mosaik der deutschen Unterlagen verschiedenster Provenienzen lassen sich aber keine belastbaren Belege dafür finden, daß sie stattgefunden haben. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, daß sie von den Alliierten, als sie  sich teilweise in deren Gewahrsam befanden,  nach dem Krieg „bereinigt“ worden sind. Auch die zeitgenössische NS-Presse hat  nach der  Kampagne im  Zusammenhang  mit dem  21.  Mai   1944  keine weiteren Berichte  über Tiefangriffe  auf  Zivilpersonen  im  Reichsgebiet veröffentlicht.

 

6. Die deutschen Polizeidienststellen erhielten nach dem 21. Mai 1944 zwar Anweisungen, u. a. auf direktes Betreiben von Himmler, völkerrechtswidrige Tiefangriffe auf zivile Ziele, gegebenenfalls unter Vereidigung der Zeugen, zu protokollieren. Dies zu Zwecken der Propaganda und für diplomatische Proteste bei den Kriegsgegnern über die Schutzmacht Schweiz. Bezeichnenderweise hat es zwar zwei deutsche Protestnoten wegen Beschießungen von Rot-Kreuz-Einrichtungen der Wehrmacht gegeben, aber keine wegen Tiefangriffen  auf  Nichtkombattanten.  Offenbar  reichte  das  Material  sowohl  allgemein  als auch speziell im Fall Dresden nicht aus.  Die Goebbels’sche Auslandspropaganda schweigt zu Tiefangriffen in Dresden.

 

7. Die systematische Nachsuche nach verschossener Bordwaffenmunition durch eine Projektgruppe des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden auf durch Zeugenaussagen ermittelten Verdachtsflächen erbrachte kein Ergebnis.

 

 

62

 


 

 

8. Zu den Vorgängen in Dresden am 14. Februar 1945 gibt es Augenzeugen, die Flugzeuge mit Bordwaffenbeschuß wahrgenommen, solche die Flugzeuge, aber keinen Bordwaffenbeschuß bemerkt und solche, die keine Flugzeuge gesehen haben wollen. Dieser Befund ist nur erklärbar mit einem blitzschnellen Überflug. Das ist die Situation eines Luftkampfs mit einer Verfolgungsjagd dicht über dem Boden. Feuerstöße in solchen Situationen dauerten eine bis drei Sekunden, konnten wegen der zeitlichen Kürze gehört und überhört werden. Durch fehlgegangene Geschosse und ausgeworfene Geschoßhülsen kann es dabei einzelne Tote und Verletzte gegeben haben.

 

9. Die erneute Zusammenstellung  von  zahlreichen deutschen Personal- und Materialverlusten bei den Luftkämpfen am 14. Februar 1945  und  deren Kartierung bestärkt die zwanglose Erklärung der angeblichen Tiefangriffe in Dresden als Wahrnehmung und Fehldeutung von Luftkämpfen zwischen amerikanischen und deutschen Jagdflugzeugen durch Zeitzeugen.

 

10. Die neu in Dresden aufgetauchte und verbreitete Version, die angeblichen Tiefangriffe hätten nicht nach dem amerikanischen Hochangriff nach 12.00 Uhr, sondern bereits am Vormittag des 14. Februar zwischen 10.00 Uhr und 11.00 Uhr stattgefunden, erweist sich als tatsächlich unhaltbare Konstruktion mit dem Ziel, die als unverbrüchlich beanspruchte Richtigkeit der Zeitzeugenaussagen um jeden Preis zu rechtfertigen.

 

11. Auch am 15. Februar scheiden  Tiefangriffe in Dresden aus Gründen der Auftragslage,  der Zeitstellung und der Wetterlage aus.

 

12. Zwischen  dem 13. und 20. April 1945  fand  im  Raum  Dresden  - Meißen – Chemnitz eine intensive Tätigkeit der Jagdbomberverbände des XIX Tactical Air Command, 9. US-Air Force statt, die selbst Stadtgebiet von Dresden berührten (siehe Anhang 6). Es ist nicht auszuschließen, daß Augenzeugen diese in den Jahren nach dem Krieg auf die Bombenangriffe des 13. und 14. Februar 1945 übertrugen.

 

13. Die  Erzählungen von Tiefangriffen in Dresden sind der Sache nach aber auch ein Nachhall der intensiven einschlägigen Goebbels’schen Kriegspropaganda im Kalten Krieg nach 1945.

 

14. Das individuelle und kollektive  Gedächtnis der Betroffenen ist keine statische, sondern eine dynamische Größe, die sich fortwährend verändert und die Fähigkeit hat, Wahrnehmungen aus Erzählungen anderer, Presseberichten, Filmszenen, Fernsehsendungen u.a. als eigene, zeitgenössische zu integrieren und für unumstößlich wahr zu halten.

 

Damit sind die Verfechter  der Tieffliegererzählungen in  Dresden nicht als Lügner entlarvt. Das muß betont werden. Sie berichten das, was sie subjektiv für wahr halten, wie sie Erlebnisse aus ihrem individuellen Wissensstand heraus interpretiert haben und noch interpretieren und verarbeiten.  Eine vorsätzlich Irreführung ihrer  Zuhörer intendieren sie sicher nicht, sind aber andererseits gegen eine Überprüfung ihrer Aussagen durch Erkenntnisse aus einer Vielzahl von Primärquellen und gegen eine Konfrontation mit Fakten aus der Wirklichkeit des Luftkrieges ausgesprochen resistent. Der vielfach auch sonst zu beobachtende Dissens zwischen Zeitzeugen und Fachwissenschaft scheint unaufhebbar.

 

 

 

 

 

 

 

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Zur Quellenlage

 


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Textstellen

mit der für Schnatz typischen Ausdrucksweise habe ich

farbig unterlegt.


Kurzvisite

Wer sich nicht mühsam durch nebenstehende 33 Seiten hindurcharbeiten will, findet nachfolgend eine Auswahl zumeist mit Kommentaren versehener Textstellen.

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Stereotype Konformität

 

Seite 33

Victor Klemperer

 

Seite 34

Erzählmotiv "Hetzjagd"

 

Seite 37

"Reflektierende Plexiglasscheiben"

 

Seite 38

Wie Schnatz argumentiert:

Stichwort "Tieffliegerleugner"

 

Seite 41

Abenteuerliche Spekulation

Augenzeugen sollen April mit Februar verwechselt haben.

 

Seite 45

Tiefangriffe und Wolkenuntergrenze

 

Seite 48 ff.

Schnatz ab hier

in direkter Auseinandersetzung

mit Bürgel

 

 Seite 49

Otto Griebel

 

Seite 50

Schnatz mit nicht

mehr nachvollziehbaren

Argumenten

 

Seite 56

Schnatz weiterhin außerhalb jeder Diskussionsebene

 

Seite 57

Bürgel's "Vormittagstheorie" aufgrund "vager Aussagen".

Mit notwendigem Kommentar.

 

Seite 59

Bemerkenswert!

Die "unmöglichsten Konstruktionen" der "Verfechter der Tieffliegererzählungen"

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
 

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