Zu den
Ergebnissen der Dresdner
Historikerkommission, gehören auch Einzelbeiträge von
Kommissionsmitgliedern.
Unter "Ergänzende Beiträge" befindet
sich die Ausarbeitung von Helmut Schnatz:
Nachträge
zum Komplex Tiefflieger über Dresden
Darin setzt er sich auch
mit den Ergebnissen meiner Tiefflieger-Forschung
auseinander. Sein
Beitrag widerspiegelt
seine fachliche Kompetenz in Sachen Aktenrecherche. Der
interessierte Leser erhält dabei einen Einblick in seine
akribische Arbeitsweise, seine kritische Einstellung zu
Augenzeugen, seine kompromißlose Denk- und
Streitfähigkeit, mithin auch einen Eindruck von
seiner Persönlichkeit.
Der weiter unten wiedergegebene Text
beschränkt sich auf die Seiten 30 - 63.
Immer wo notwendig, habe ich ihn mit Kommentaren
versehen.
Helmut Schnatz
Nachträge zum Komplex Tiefflieger über
Dresden
(Seiten 30 - 63)
Tiefangriffe
auf die Bevölkerung in amerikanischer Sicht
Es ist
interessant, zu dem Thema Tieffliegerangriffe noch einen Blick auf
die andere Seite zu werfen. Dort fanden, wie der amerikanische
Historiker Ronald Schaffer berichtet, im Winter 1944/45 intensive
Diskussionen darüber statt, wie der Luftkrieg gegen Deutschland zu
führen sei, wobei auch das Motiv der Terrorisierung der
Zivilbevölkerung aus der Luft eine Rolle spielte.114
Schaffer führte dazu
aus: „Während Psychologen in den Vereinigten Staaten sich bemühten
zu bestimmen, ob die deutsche Moral gebrochen werden könnte, fuhren
die Planer im Hauptquartier der USSTAF fort, Pläne zu entwickeln, um
sie zu brechen. Im Dezember 1944 kamen sie mit einem Entwurf für die
Operation CLARION heraus, einem Vorschlag für systematische
Terrorangriffe unter dem Titel ‚Generalplan für einen Angriff
größten Ausmaßes gegen Transportziele’. Er sah eine große Serie von
Angriffen durch kleine Gruppen von Flugzeugen in niedrigen Höhen
vor, um Ziele überall in Deutschland zu bombardieren und zu
beschießen <strafe>.
AAF-Führer hatten
keine Schwierigkeiten zu verstehen, was CLARION wirklich war, und
einige von ihnen protestierten vehement.
General Doolittle warnte Spaatz, daß weiträumige
Beschießungen (strafing) von Zivilisten hinter den Frontlinien eine
in Wut geratene Bevölkerung aufstacheln könnte, sich an alliierten
Kriegsgefangenen zu rächen. Deutsche Propagandisten konnten CLARION
dazu nutzen, Nazi-Brutalität zu rechtfertigen.“115
Aus den Ausführungen
Schaffers geht hervor, daß es in den USAAF durchaus auch Offiziere
und Berater gab, die dem Gedanken, die Luftwaffe - und damit auch
die Jagd- und Jagdbomberverbände - zur Terrorisierung der deutschen
Zivilbevölkerung einzusetzen, aber auch, daß es hiergegen massiven
und letztlich erfolgreichen Widerstand gab. Dieser speiste sich aus
ethischen, vor allem aber aus praktischen Überlegungen, so die von
Schaffer erwähnte Warnung des Generals Doolittle vor der Wirkung
weiträumiger Beschießung von Zivilisten. Jedenfalls spricht sie
dagegen, daß die US-Luftwaffe Tiefangriffe gegen diese allgemein als
Methode ihrer Luftkriegsführung akzeptiert und praktiziert hat.
Wie die erwähnte
Anweisung an die Kommandanten der Kriegsgefangenenlager Oberursel
und Wetzlar zeigt, wurde das auch von der deutschen Luftwaffe so
gesehen.
Es gibt in jeder Armee
der Welt und in jedem Krieg Fälle, in denen Soldaten sich über die
anerkannten Regeln und Gebräuche der Kriegsführung hinwegsetzen und
Kriegsverbrechen begehen. Auch die amerikanischen Streitkräfte
waren im Zweiten Weltkrieg nicht frei davon. Das heißt nicht, daß
ihre gesamte Kriegsführung oder Teile ihrer Streitkräfte pauschal
kriminell gehandelt haben. Daß den Jagdpiloten dies pauschal
nachgesagt wird, ist ein später Nachhall der Goebbels’schen
Greuel-Propaganda und zeigt, wie wirksam diese war.
Übrigens scheint
man auch nach dem Krieg in den USA bei der Auswertung der erbeuteten
deutschen Akten an dem Problem Tieffliegerbeschuß von Zivilisten
nicht vorbeigegangen zu sein. Dort wurde der Vernehmungsbericht der
Auswertestelle West als Auszug aus einer Akte des OKL entnommen und
mit folgendem Kommentar gesondert geführt: „The report contains
abstracts of statements made by captured American fighter pilots …
relating to their low-level attacks on German targets, May 1944.
Some information concerns the strafing of civilians and private
housing <Der Bericht enthält Kurzfassungen von Aussagen
gefangengenommener amerikanischer Piloten über ihre Tiefangriffe im
Mai 1944. Einige Informationen betreffen Tiefangriffe auf Zivilisten
und Privathäuser>.“116
____________________________
114
Ronald Schaffer, Wings of Judgement.
American Bombing
in World War II, New York, New York 1985, S. 91f.
115
(Schaffer Fußnote
29): 15.AF, Kopie des Plans der Operation CLARION, 17.
Dez.
1944, file 670.430-3, Febr. 1945, AFSHRA (=AFHRA, Air Force
Historical Research Agency, Maxwell, Alabama).
116
BArch-MArch
RL 2 II/1395.
30
Wie aus den vorstehenden Ausführungen hervorgeht, ist das Thema Tiefangriffe
im Zweiten Weltkrieg in Deutschland also äußerst komplex und
vielschichtig.
Tiefangriffe im Licht von Zeitzeugenerinnerungen
Die Berichte der
betroffenen Zeitzeugen zeichnen sich durch
große stereotype Konformität aus. Am Beginn der Ausarbeitung
habe ich darauf hingewiesen, daß sie meist aus austauschbaren
Versatzstücken zusammengesetzt sind. Auch wenn sie nicht aus
historischen Quellen angreifbar wären, so sind sie es dagegen oft,
wenn man sie an Hand technischer oder naturwissenschaftlicher
Bedingungen überprüft. Ich verweise in diesem Zusammenhang allgemein
auf meine Untersuchung „Tiefflieger über Dresden?“117
Ergänzend zu
dieser Studie soll an dieser Stelle nunmehr exemplarisch auf
einige Aussagen, Tiefangriffe in Dresden am 14. Februar 1945
betreffend, einzugegangen werden. Sie tauchten auf, nachdem unter
stürmischem Protest das Buch im April 2000 in Dresden präsentiert
worden war.118
Dazu sollen zunächst
einige Tiefflieger-Erzählungen
von Zeitzeugen als Beispiele aufgeführt und kommentiert werden.
In seinem Artikel über
die Veranstaltung im Stadtmuseum Dresden erwähnte Friedrich Karl
Fromme, sein Vater hätte nach den drei Luftangriffen auch
Schußverletzungen behandelt. Das muß selbstverständlich ernst
genommen werden, auch wenn es die Erklärung, bei den
angeblichen
Tiefangriffen habe es sich in Wirklichkeit um Luftkämpfe
gehandelt, nicht aufhebt. Denn bei diesen konnten sehr wohl
Geschosse Personen am Boden treffen – auch wenn diese nicht die
Ziele waren. Siehe hierzu den Hinweis weiter unten auf
angeblichen
Bordwaffenbeschuß am Rhein, im Westerwald und Franken am 17. August
1943 sowie im Februar 1945, ebenfalls im Westerwald.
Hasso Graf Vitzhum zu Eckstädt teilt mit: „Ich suchte mit meiner
Mutter etwa zwölf Tage
nach
den Angriffen in der Trümmerwüste nach Spuren von Angehörigen. Im
‚Großen Garten‘ stießen wir – die Winterkälte bremste die Verwesung
– auf buchstäblich kleingehackte <Hervorheb. d. Verf.>
Menschen. Für den trotz seiner Jugend (leider) hinreichend
erfahrenen
Soldaten ließ sich die Metzelei kaum als Folge von
‚Bombenteppichen’, sondern eher als das Ergebnis von Beschuß mit
Bordwaffen erklären.“119
Buchstäblich durch
Maschinengewehrbeschuß „kleingehackte“ Menschen, das setzt voraus,
daß die beschossenen Körper einem Dauerfeuer ausgesetzt gewesen sein
müssen, bei dem sie von Geschossen in mindestens zweistelliger
Größenordnung, wenn nicht mehr, getroffen wurden. Das ist natürlich
zunächst einmal denkbar, zumal wenn man sich vorstellt, daß eine
P-51 D sechs 12,7 mm MG besaß, deren Schußfolge zusammen 75 Schuß
pro Sekunde betrug. Aber das setzt dann auch voraus, daß die Piloten
freies Schußfeld hatten (der Große Garten hat einen dichten Bestand
mit alten Bäumen) und die getroffenen Personen regungslos und in
einer Entfernung von 400 Meter genau im Kreuzungswinkel von allen
sechs Waffen stehn. Außerdem durften diese dafür nicht mit einer
Geschwindigkeit von mindestens 280 km/h wandern, sondern sie mußten
fest installiert sein. Das wiederum heißt, daß die Mustangs in der
Luft hätten stillgestanden, also mit nach unten geneigten Nasen wie
Hubschrauber über dem Großen Garten über einem Punkt stillstehend
geschwebt haben müssen und die Opfer, offenbar ohne Fluchtversuch
oder Deckung zu suchen, sich haben abschlachten lassen.
____________________________
117
Helmut
Schnatz, Tiefflieger über Dresden? Legenden und Wirklichkeit, Köln
2000.
118
Siehe
hierzu auch: Helmut Schnatz, Der Luftkrieg über Absurdistan.
Mythenbildung, Rezeption und Augenzeugenreaktionen in der
Luftkriegsgeschichte des Zweiten Weltkriegs. In: Informationen für
den Geschichts- und Gemeinschaftskundelehrer, Heft 70/2005.
119
Hasso Graf
Vitzhum, „ So gründlich vernichtet“, Rhein-Zeitung Koblenz, 10. 5.
2000.
31
Es ist erheblich
realistischer anzunehmen, daß Tote, wenn sie denn wirklich noch nach
zwölf Tagen im Großen Garten umhergelegen haben sollen, von
Bombensplittern zerrissen, einen schrecklichen Anblick geboten
haben.
Der Fall ist ein
Beispiel dafür, daß selbst ein „hinreichend erfahrener Soldat“ des
zweiten Weltkriegs im Abstand der Jahrzehnte seiner Erlebnisse
unreflektiert in Form tradierter stereotyper Bilder weitergeben
kann.
Der folgende Bericht
schildert einen Tiefangriff während des zweiten Bombardements in der
Nacht des 13./14. Februar 1945: „… es war taghell. Über uns waren
keine Bomber, sondern kleinere Maschinen. Direkt über uns – ganz
niedrig – kam eine Maschine, sodaß man die zwei Insassen deutlich
sehen konnte. Der Pilot nickte dem Mann hinter sich zu, der schaute
auf uns und schon sahen wir das Mündungsfeuer seiner MG. Es galt
uns, es war nach unten gerichtet. … ich war wie von Sinnen, stand da
und schrie nach oben: ‚Warum tut ihr das, ich habe euch doch nichts
getan!’
Ein alter Soldat
…, der sich auch auf unsere Wiese geflüchtet hatte, riß mich
herunter mit den Worten: ‚Dein Gesicht dient denen als Zielscheibe!’
und warf mir eine Decke über.“120
Die Schilderung
wirkt sehr konkret und damit authentisch. Nur: während des
geschilderten Angriffs operierten über Dresden keine kleinen
zweisitzigen Maschinen, sondern nur die schweren viermotorigen
Lancaster mit sieben Mann Besatzung; es gab in diesem Stadium des
Krieges keine leichten britischen Flugzeuge, bei denen die beiden
Besatzungsmitglieder hintereinander saßen und auch keine mehr, aus
denen man ein Maschinengewehr auf einem Drehkranz beweglich nach
unten richten konnte. Die
Erzählerin
gibt eine Szene als ihre eigene Erfahrung wieder, wie sie sie in den
zahlreichen Fliegerfilmen der Vorkriegszeit und in den ersten
Kriegsjahren gesehen haben konnte.121
Im übrigen: so wie der Vorgang geschildert wird, müßte das Flugzeug
in der Luft stillgestanden haben, um das Opfer beschießen zu können.
Und schließlich: bei dem zweiten Nachtangriff auf Dresden war die
niedrigste geflogene Höhe der Bomber 2 300 Meter.122
In der Sächsischen
Zeitung heißt es in einem Leserbrief, zitiert aus einem als
glaubwürdig bezeichneten Bericht: „… erlebten wir einen …
Tagesangriff. Die Bomben eines Tieffliegers schlugen so dicht bei
uns ein, daß wir die aufspritzenden, nicht zu kleinen Erdklumpen
abbekamen…“123
Der Vorgang als solcher
ist nicht zu bestreiten. Nur: es kann gar kein Tiefflieger gewesen
sein, dessen Bomben dicht neben der Gewährsperson einschlugen.
Die Flugzeuge, die in
Dresden Tiefangriffe geflogen haben sollen, waren Jagdeinsitzer des
Typs P-51 Mustang. Dies wird von vielen Augenzeugen auch nicht
bestritten. Es hat aber erhebliche Konsequenzen für die Aussage.
Nach dieser müßte die Bombe von einer P-51 abgeworfen worden sein.
Die P-51 Mustang war ein
einmotoriges Flugzeug und hatte keinen Bombenschacht im Rumpf, aus
dem Bomben, ausgelöst, herausfallen konnten. Wenn dieser Flugzeugtyp
solche mitführte, also in einer Rolle als Jagdbomber, dann trug er
sie, und zwar zwei, in einer Außenaufhängung unter den Tragflächen.
Als einmotoriges
Flugzeug hatte die P-51 Mustang eine normale Reichweite, die es ihr
nicht gestattete, bis nach Dresden und zurück nach England, bzw.
Belgien zu fliegen, schon gar
_____________________________
120
Brief von Jutta Zwahr, Dresden, an die
Sächsische Zeitung, 15. 2. 2000.
121
Siehe hierzu die Bilder in Anhang 7.
122
Interceptions/Tactics No 35/45, Night 13/14 February 1945 (National
Archives at Kew, Air 24/307).
123
Dr. Gerhard
Heres, Tiefflieger-Angriff im Großen Garten, Sächsische Zeitung
Dresden vom 20.4.2000. Eine vergleichbare Aussage in „Tiefflieger
über Dresden?“, S. 32; hierhin gehört auch der Bericht Victor
Klemperers in: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher
1942-1945, Berlin 2. Aufl. 1995, S. 669.
32
nicht mit einer
Bombenlast. Vielmehr brauchte diese Maschine hierfür abwerfbare
Langstrecken-Zusatztanks. Diese mußten für den Angriff auf Dresden
am 14. Februar 1945 unter den Tragflächen an der gleichen
Vorrichtung aufgehängt werden, an der vor Jagdbombereinsätzen die
Bomben eingeklinkt wurden. Die Begleitjäger konnten also gar keine
Tiefangriffe mit Bombenabwurf in Dresden an diesem Tag durchführen.
Es ist der Augenzeugin
für ihren Text kein Vorwurf der Falschaussage zu machen, solche
wesentlichen technischen Einzelheiten sind, wenn überhaupt,
für die meisten Zeitzeugen erst Nachkriegswissen gewesen. Nur: aus
ihnen wird im nachhinein klar, daß es der Luftangriff der
viermotorigen Bomber aus großer Höhe war, den sie als Tiefangriff
beschreibt, und damit scheidet er als Beweis für die behaupteten
Tiefangriffe automatisch aus. Tatsächlich waren am 14. Februar 1945
alle Bomben durch viermotorige B-17 Flying Fortress aus einer Höhe
um 7 000 Meter abgeworfen worden. Diese wiederum konnten
keine Tiefangriffe
fliegen.
Daß tatsächliche
Hochangriffe als Tieffliegerangriffe erlebt und gedeutet wurden,
läßt sich auch anderswo feststellen. Offenbar handelt es sich dabei
auch um ein sprachliches Problem insofern, als Tiefflieger als
Allgemeinbegriff zur Bezeichnung für alle Arten von Luftangriffen
diente, bei denen starker Motorenlärm den Eindruck von Tiefflügen
vermittelte. Daneben ist in Erzählungen auch festzustellen, daß die
Flughöhen visuell wahrgenommener Flugzeuge weit unterschätzt wurden.
Offenbar bewirken panische Angst und das Gefühl der Hilflosigkeit,
die dabei immer mitspielen, verzerrte Wahrnehmungen.
In diesen
Zusammenhang gehört auch die Darstellung des amerikanischen
Bombenangriffs am 14. Februar von
Viktor Klemperer. Sie wird verschiedentlich als Beleg für
Tiefangriffe angeführt. Klemperer beschreibt zunächst, wie ein
Sanitäter seine von den Rauchgasen gereizten Augen behandelt und
fährt dann fort: „Ich ging, ein wenig erleichtert, langsam zurück;
nach wenigen Schritten höre ich über mir das bösartig stärker
werdende Summen eines rasch näher kommenden Flugzeugs. Ich lief
rasch auf die Mauer <der Brühlterrasse> zu, es lagen schon mehr
Menschen dort, warf mich zu Boden, den Kopf gegen die Mauer, das
Gesicht in die Arme gelegt, schon krachte es, und Kieselgeröll
rieselte auf mich herab. Ich lag noch eine Weile, ich dachte: ‚Nur
jetzt nicht noch nachträglich krepieren!’ Es gab noch einige
entferntere Einschläge, dann wurde es still.“124
Nimmt man
Klemperer wörtlich, so war an dem Angriff, gleich ob Bomben- oder
Tiefangriff, nur ein einziges Flugzeug beteiligt. Betrachtet man
Klemperers gesamten Text über die Zerstörung Dresdens insgesamt,125
fällt zum 13. Februar zunächst seine Bemerkung auf: „Wäre es nun bei
diesem ersten Angriff geblieben, er hätte sich mir als der bisher
schrecklichste eingeprägt, während er sich jetzt, von der späteren
Katastrophe überlagert, schon zu einem allgemeinen Umriß
verwischt. Man hörte sehr bald das immer tiefere und lautere
Summen nahender Geschwader, das Licht ging aus, ein Krachen in
der Nähe. … neues Herankommen, neue Beengung der Todesgefahr,
neuer Einschlag. Ich weiß nicht, wie oft sich das wiederholte. …
Es kamen neue Einschläge …“ Zum zweiten Angriff: „Wir kamen
in den Hausflur der Nr. 3. Indem ein schwerer, naher Einschlag.
Ich drückte mich kniend an die Wand … Ich rief mehrmals nach Eva.
Keine Antwort. Schwere Einschläge. … dann ein Schlag
am Fenster neben mir, etwas schlug heftig und glutheiß an meine
rechte Gesichtsseite. … Vor mir lag ein unkenntlicher großer freier
Platz, mitten in ihm ein ungeheurer Trichter. Krachen,
Taghelle, Einschläge. Ich dachte nichts, hatte nicht einmal
Angst … ich erwartete das Ende… Wir rannten in eine flammenumgebene,
aber fest aussehende Halle. Die Bombeneinschläge schienen für
hier vorüber.“126
Das ist das gleiche Vokabular, mit dem er den Vorgang vom 14. 2.
mittags beschreibt. Klemperer war immerhin Sprachwissenschaftler
und konnte, wie man aus seinen Texten ersieht, mit dem
Wort
____________________________
124
Victor Klemperer,
Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1942-1945,
Berlin 2. Aufl. 1995, Bd. 2, S. 669.
125
Ebd. ab S. 661f.
126
Ebd. S.
663.
33
umgehen. Und diesem Mann
sollte das Vokabular für Bordwaffenangriffe: aufheulende Motoren,
rattern, knattern, prasseln, rasseln, pfeifen, hämmern usw. nicht
zur Verfügung gestanden haben? Das heißt Klemperer bei aller Vagheit
in der Beschreibung des dritten Angriffs als Linguisten zu
unterschätzen. Das angeführte Rieseln betrifft Kalk- bzw.
Mörtelstaub nach einer heftigen Erschütterung durch einen
Bombeneinschlag.
Auch hierfür gibt
es weitere Belege. Auf S. 734 So beschreibt Klemperer eine gleiche
Situation auf dem Bahnhof in Ingolstadt am 10. April 1945: „Ich ging
sehr zufrieden die Bahnhofshalle … zurück, da hörte ich ein schweres
Sausen über mir, sprang in den Eßsaal und lag, während es krachte
und die Scheiben klirrten, kniend an einem Pfeiler. … Ich sagte mir
sogleich: ein einzelner Tiefflieger. Tatsächlich hatte sein
Abwurf einen Abort in der Nähe des Eßraumes getroffen. … ich
machte noch eine Zettelnotiz; da hieß es, jetzt fliege ein Verband
ein, man solle den Keller aufsuchen. …Man stand dicht gedrängt. Ein
schweres Krachen, Kalkstaub rieselte in die Augen, das Licht
ging aus…“127
Das es sich in diesem Fall tatsächlich zunächst um einen
bombenwerfenden Jagdbomber gehandelt hat, ist in diesem Fall
durchaus möglich, da zu diesem Zeitpunkt der bayerische Luftraum
durch US-Jabos von deutschen Flugplätzen aus beflogen wurde. Der
weitere Angriff ist auch belegt, es handelt sich um einen
Bombenteppich von zehn B-17 Flying Fortress, die das
Reichsbahngelände in Ingolstadt als Sekundärziel angriffen.128
Klemperer fährt
dann fort: „Das Ganze sah nicht allzu schlimm aus – wir hörten auch
später, als wir vor Tieffliegern in einem Haus am Wege
unterstanden, daß es nur einige verletzte, aber keine Toten gegeben
habe. ... Hierbei, wie gesagt, suchten wir zum erstenmal <10., bzw.
9. April 1945!> vor Tieffliegern Schutz, wie es uns seitdem zur
täglichen Gewohnheit geworden ist.“129
Seltsam,
daß er an dieser Stelle nichts über Dresden sagt.130
Und schließlich zum 25.
April 1945: „Von überall hörte man Frontfeuer,
Bombendetonationen, ziehende Verbände und avions de chasse
<Jagdflugzeuge, HS> in großer Höhe, herabstoßende Jäger, das Rattern
eines MG-Streifens…“ Der Unterschied zur Schilderung des 14. Februar
1945 ist markant.
Ein weiteres
Erzählmotiv
ist die
Hetzjagd, die alliierte Jagdpiloten auf einzelne Personen
veranstaltet haben
sollen: “ … ist Leopoldine Krüger selbst noch am 15. Februar
1945 von britischen Tieffliegern durch die Straßen gejagt worden.
‚Das habe ich selbst erlebt, da nehme ich kein Blatt vor den Mund.
Ob sie wirklich geschossen haben, weiß ich nicht. Aber sie hatten
erkennbar ihren Spaß daran, uns in Schrecken zu versetzen.’“131
Hierzu ist zu sagen, daß am 15. Februar 1945 keine englischen
Flugzeuge bei Tage im Luftraum Dresden operierten, schon gar nicht
Tiefflieger, deren Reichweite Flüge nach Dresden nicht erlaubt
hätte.
Vor der
Veranstaltung am 18. April 2000 im Stadtmuseum wurde dem
Oberbürgermeister von Dresden ein Brief zugestellt. Darin heißt es:
„Am Rande der Stadt Plauen jagten mich Tiefflieger über eine Wiese –
ich entkam ihnen – es traf einen Bauern mit seinen Pferden, der …
Feldarbeiten ausführte.“
132
____________________________
127
Ebd.
S. 734.
128
Nach
Roger A. Freeman, The Mighty Eighth War Diary, revised edition
London 1990, S. 484, hat sich der
Angriff allerdings schon am 9.
April 1945
zugetragen.
129
Klemperer,
Ich will Zeugnis ablegen, Bd. 2 S. 735.
130
In einer Email vom 31.Dezember 2007 an Verf. verweist Gert Bürgel
auf einen Artikel Klemperers in der „Sächsischen Zeitung“ vom 13. 2.
1950 „Der Höllentanz“ mit der Angabe „am Nachmittag, auf der Flucht
vor dem Tieffliegerangriff, mit dem die Amerikaner Nachlese
hielten.“ Offenbar hat er dabei übersehen, dass dies seine Version
von Tiefangriffen am Vormittag
über den Haufen wirft. Hierzu weiter
unten.
131
Artikel von Andreas Platthaus, Zeigt das Leben danach. Eine
Trümmerfrau in der Film-Premiere von „Dresden“,
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. Februar 2006.
132
Ursula Mann,
NPD-Mitglied, Winfried Petzold, NPD-Mitglied und Vorsitzender des LV
Sachsen der NPD, Schreiben an den
Oberbürgermeister der Stadt Dresden vom 18. 4. 00, Durchschlag im
Besitz des Verfassers.
34
Jemanden über
eine Wiese – oder auch stadtauswärts, wie in einem Leserbrief
ausgeführt wird133
- zu jagen, heißt doch, ihn über eine bestimmte Distanz vor sich her
hetzen, wobei der Hetzende immer hinter dem Gehetzten bleiben und,
als Flieger, außerdem in sehr geringer Höhe fliegen muß, weil er
sein Opfer ja sonst nicht vor sich hertreiben kann. Soll es sich
nicht um ein reines und schnelles Überfliegen handeln, muß ein
solcher Vorgang naturgemäß eine bestimmte Zeit andauern, aber wie
lange?
Die Schilderung einer
Hetzjagd von Personen, die von einem Flugzeug verfolgt werden,
impliziert in jedem Fall Todesangst der Gejagten, und das kann nur
bedeuten, daß sie so schnell wie möglich vor ihm hergerannt sein
müssen, denn sie wollten dem Jäger ja auf jeden Fall entkommen – so
wie die Briefschreiberin ja auch von sich behauptet, daß es ihr
schließlich gelungen sei.
Nicht zu bestreiten ist, daß
ein Jagdflugzeug und eine Person sich in sehr verschiedenen
Geschwindigkeiten bewegen. Diejenige von Personen kann differieren,
aber eine junge, untrainierte, in normaler Kleidung, mit normalem
Schuhwerk und auf normalem Untergrund, etwa einer Wiese, kann die
Strecke von 100 Metern schätzungsweise in ca. 25 Sekunden sprinten.
Ihre Geschwindigkeit beträgt dann ca. 4m/sec oder 14 km/h. Länger
als drei- oder vierhundert Meter und 100 Sekunden wird sie – auch
mit Todesangst im Nacken – dieses Tempo nicht durchhalten. Dann wird
sie automatisch langsamer, sofern sie nicht schon vorher völlig
außer Atem ist.
Das bedeutet
andererseits, daß eine P-51 D, deren Pilot
angeblich
Personen über eine gewisse Distanz vor sich her jagt, das erstens in
sehr geringer Höhe – etwa 30 – 50 Meter – und zweitens in extrem
langsamem Flug tun muß.
Das hetzende
Flugzeug hätte dann mit genau oder etwas weniger als 14 km/h hinter
ihr her fliegen müssen. Was aber wäre dann eingetreten?
Die P-51 hatte
ein Leergewicht von 3,232 Tonnen, voll beladen wog sie 5,262 Tonnen,
während eines Einsatzes über Ostdeutschland mochte sie aktuell 4,5
Tonnen gewogen haben. Um dieses Gewicht in der Luft zu halten,
benötigt ein Flugzeug eine Mindestgeschwindigkeit, die es nicht
unterschreiten darf, zumal nicht unmittelbar über dem Boden. Um die
Höhe halten zu können, muß dieses Minimum oberhalb der
Landegeschwindigkeit liegen. Der Sink- oder Landeanflug der P-51 D
begann mit einer Fahrt von 170 Meilen, das entspricht 272 km/h oder
75 m/sec, dann mußte sie Landeklappen und Räder ausfahren und hielt
dann noch etwa 184 bis 192 km/h (51 – 53 m/sec) bis zum Aufsetzen.134
Hält das Flugzeug
die Mindestgeschwindigkeit von rd. 175 Meilen (280 Km/h = 78 m/sec)
bei der Hetzjagd nicht ein, zerschellt es wegen der geringen
Flughöhe unweigerlich sofort am Boden.
Das bedeutet: das
hetzende Flugzeug muß, um in der Luft zu bleiben, mindestens eine um
das 19,5 fache höhere Geschwindigkeit haben als die vor ihm her
laufende Person. Konkret gesprochen entwickeln sich die Distanzen
folgendermaßen:
|
Sek.
Läufer:
Flugzeug:
1
4 m
78 m
2
8 m
156 m
3
12 m
234 m
4
16 m
312 m
5
20 m
390 |
_____________________________
133
Peter Hoffmann,
Vogelwiese entlang, Sächsische Zeitung vom 16.
2.
2000.
134
AAF
Manual 51-127-5, Pilot Training Manual for the P-51 Mustang.
Headquarters Army
Air Forces, Washington 1945, S. 58.
35
6 24
m
468
m
7
28 m
546
m
8 32
m
624
m
9 36
m
702
m
10 40
m
780
m
15 60
m 1170
m
25
100
m
1950
m
Wenn das Flugzeug
z. B. den Anflug aus einem halben Kilometer Entfernung ansetzt, ist
es schon in sechseinhalb Sekunden über das Ziel hinweg geschossen.
In der Zeit ist das Opfer ganze 24 Meter weit gelaufen.
Dabei ist zu
bedenken, daß Flughöhen und Geschwindigkeiten wie bei dem von der
Zeitzeugin geschilderten Vorgang es dem Piloten nicht erlauben
würden, in einen Bahnneigungsflug überzugehen, um die flüchtende
Person zu beschießen. Das hätte er aber tun müssen, weil er wegen
der starr eingebauten Maschinengewehre mit dem ganzen Flugzeug
zielen mußte. Mit anderen Worten, das Flugzeug wäre sofort am Boden
zerschellt.
Natürlich kann
der Pilot, sobald die angeflogene Person unter seinem Flugzeug
verschwunden ist, eine Kurve fliegen und einen neuen Anflug aus
der Gegenrichtung machen. Hierfür muß er aber erst einmal eine
hinreichend größere Strecke gewinnen, damit er genug Zeit hat, um
bei 280 km/h erneut nach seinem Ziel Ausschau halten zu können, d.
h., er muß sich erst einmal von der verfolgten Person entfernen und
sich neu orientieren. Das aber verschaffte angegriffenen Personen in
der Regel Zeit, Deckung zu suchen, und sei sie noch so gering. Wie
unter solchen Bedingungen Personen von Tieffliegern über eine
nennenswerte Strecke gejagt worden sein sollen, ist nicht
vorstellbar. Im übrigen zeigen die von der Luftwaffe erbeuteten
Zielphotos im Anhang 9, ein wie winziges und schwieriges Ziel
Einzelpersonen im Gelände für Tiefflieger dargestellt hätten.
Luftschutzmäßiges
Verhalten für Personen war daher, beim Auftauchen von Tieffliegern
sich nicht mehr zu bewegen und sich möglichst klein zu machen,
sofern nicht Hecken, einzelne Bäume, Gebäude, Kapellen, Bildstöcke,
Straßengräben, Waldstücke usw. sich als Deckung anboten. Und das
taten die Menschen instinktiv in solchen Fällen. Im Westen des
Reiches gab es zudem an den Straßenrändern in kurzen Abständen
Deckungsgräben.135
Weiter ist dabei
zu bedenken, daß Tiefflieger beim Anflug schon
aus größerer Entfernung mit ihren starken 2000-PS-Motoren
zu hören waren – sie warnten gewissermaßen selbst vor sich. So war
meistens Zeit genug, Deckung zu suchen.
Die Norm war denn
auch, daß der übliche Fuß- und fahrende Verkehr nicht weiterging,
sondern sofort erstarrte, sobald akute Tieffliegergefahr bestand.
Nur wenn Tiefflieger in Fahrzeugen wegen deren Eigengeräuschen
überhört wurden, bestand die Chance der Überraschung.
Aus diesem Grund
war es üblich, bei Tieffliegergefahr einen der Mitfahrer als
Luftspäher auf einen Kotflügel des Wagens zu setzen. Dieser warnte,
sobald er Flugzeuge bemerkte, den Fahrer, dieser hielt und die
Passagiere gingen sofort in Deckung.
____________________________
135
Hierzu auch William Wolf, American
Fighter-Bombers in World War II. USAAF Jabos in the MTO and ETO,
Atglen PA, 2033, S. 137: „Die allgemeinste Verteidigung war,
Gestrüpp oder Zweige zur Personentarnung zu schneiden, oder einfach
so schnell und so weit wie möglich vor den anrauschenden Jabos
wegzurennen. Wenn Beobachter sich nähernde Flugzeuge hörten oder
sahen, wurde die Kolonne alarmiert, sich unter Bäumen oder Hecken in
der Hoffnung zu verbergen, um nicht gesehen zu werden und, falls
nicht, sich Schutz vor Angriffen zu verschaffen.“ Wolf bezieht sich
auf Truppen, aber die Bevölkerung lernte in den Operationsgebieten,
sich ebenso zu verhalten.
36
Eine immer
wiederkehrende Aussage ist, daß die Zeitzeugen von Tiefangriffen die
Piloten in den Kanzel deutlich erkannt haben wollen. Entweder haben
sie die Fliegerbrille gesehen, oder den Gesichtsausdruck –
haßerfüllt oder hämisch – oder auch, daß der Pilot ein „Neger“ war.
Hier einige
Beispiele:
„Im Februar des
Jahres 1945 war ich 12jähriger Schüler eines Internates in Klotzsche
bei Dresden. … Es ging schon auf Mittag zu, als einige Jagdbomber
aus allen Rohren feuernd sich förmlich auf die Flüchtlinge stürzten.
… Die Angreifer flogen so tief, daß man ihre bebrillten Köpfe in der
Kanzel sah; d. h. sie mußten ebenfalls sehen, worauf sie mit ihren
Bordkanonen und Maschinengewehren feuerten.“136
Eine junge
Lehrerin aus Nordhausen berichtet über einen der beiden schweren
Bombenangriffe des Bomber Command der RAF im April 1945: „Da ich
unbedingt nach Hause wollte, fuhr ich bis zur Heizungsanlage der
Boelcke-Kaserne. Auf mich zu hasteten Menschen. Deutlich sehe ich
zwei Mütter mit einem alten, hochbeinigen Kinderwagen, in dem vier
Kinder saßen. Da! Ein Dröhnen und Krachen über uns. Im Tiefflug
saust eine Maschine über uns hinweg. Ich schaue nach oben. Für
Sekunden sehe ich das Weiße im Auge des Bordschützen. Er richtet
seine Geschosse auf den Kinderwagen, der fliegt hoch
… Ich werfe mein
Rad hin, springe auf und lege mich genau am Schornstein in den toten
Winkel, das Gesicht in die Erde gedrückt. Leuchtspurmunition schlägt
über mir ein. … Da saust schon das nächste Flugzeug heran. Bomben
fielen, eine Bombe direkt auf den Eingang der Halle ....“137
Wie oben erwähnt, mußte ein
Tiefflieger eine Geschwindigkeit von mindestens 280 km/h einhalten,
um nicht abzustürzen. Er durfte eine Entfernung von wenigstens 30
bis 100 Metern nicht unterschreiten und er saß nicht in einem
offenen Sitz, sondern in einem geschlossenen Cockpit hinter
gewölbten, also
reflektierenden Plexiglasscheiben. Seine Wahrnehmung
hätte ohnehin nur Sekundenbruchteile dauern können. Was die Zeugin
beschreibt, war im übrigen ein Hochangriff von viermotorigen
Bombern.
Zudem ist zu
bedenken, daß die Sichtungen von Pilotenköpfen in der Regel nur so
berichtet werden, daß die Augenzeugen sie von vorne beim Anflug
wahrgenommen haben wollen. Die Sichtbedingungen, die sich dabei
ergeben, werden aus den beigefügten Abbildungen in Anhang 8
deutlich.
Eine simple und
alltäglich zu machende Beobachtung aus dem Straßenverkehr zeigt, was
von solchen Aussagen zu halten ist: was nehmen Autofahrer
voneinander wahr, die mit je 150 Kilometern aufeinander zu rasen ?
Nichts!
„Ich war <Anfang
1945, HS> mit Freunden auf den Feldern unterwegs, als wir von einer
Lightning im Tiefflug überrascht wurden. Die Maschine flog dicht
über uns hinweg, kein Schuß fiel, ich hob meinen Kopf und blickte in
das grinsende Gesicht eines Farbigen in der Heckkanzel. … Ich war
damals zehn Jahre alt, mit den Eltern von Saarlouis (Saarlautern)
nach Eitzweiler evakuiert und wohl in einem Alter, in dem man meine
Beobachtung nicht als kindliche Phantasie abtun kann. Ich habe ein
fotografisches Gedächtnis.“138
„Örtlichkeit:
Ecke Robert Dietz-Str., Schwebeseilbahn,
Flugrichtung: von
Kriegelstr. In Richtung Rißweg
____________________________
136
Dieter
Haubold, Zerstörung Dresdens, www.dhm.de/lemo/forum/kollektives-gedaechtnis,
gesichtet 8.2. 2005, 10:49.
137
Wolfgang Bönitz, Feindliche Bomberverbände im Anflug.
Zivilbevölkerung im Luftkrieg, 1. Aufl. Berlin 2003, S. 143. Die
Aussage ist zugleich auch ein weiteres Beispiel dafür, wie
Hochangriffe als Tiefangriffe gedeutet wurden.
138
Schreiben von Karlheinz Kunz, Saarlouis vom 17. 09. 2002 an
Verfasser.
37
Kam ein Flugzeug
den Hang herunter.
Flughöhe knapp
über den Häusern,
Zwei Piloten
saßen nebeneinander
Der zweite Mann
hatte eine MP in der Hand und war ein Neger.“139
Neger im Cockpit?
Die US-Luftwaffe war eine rein weiße Streitkraft. Es gab in ihr nur
eine einzige Fighter Group, die 332., in der schwarze Piloten
dienten. Sie gehörte zu der taktischen 12. US Air Force in Italien
und war über dem Reich nicht im Einsatz.140
Schwarze US-Piloten, die deutschen Zivilisten beschossen,
existierten nur in der Karikatur des Dritten Reiches.
Abb. 2: Ansicht
einer P-51 Mustang von vorne aus nächster Nähe. Der Pilot ist trotz
der für einen Beobachter günstigen Fluglage und Nähe nicht
erkennbar. (Gray, Waverly, Ohio).
Die große Menge
von Berichten über die (in Wirklichkeit unmöglichen) Sichtungen
von Piloten in ihren Kanzeln wirft im übrigen ein bezeichnendes
Licht auf das Argument, wenn so viele Augenzeugen Tiefflieger
bezeugten, müsse doch an der Sache etwas daran sein. Es handelt sich
offenbar um eine
Kanonisierung von geglaubten Erinnerungen.
Inzwischen
haben sich auch Sozialpsychologie und Hirnforschung mit der
Materie befaßt.
So kommentiert
Harald Welzer den turbulenten Verlauf der Präsentation des Buches
„Tiefflieger über Dresden?“: „Der Umstand, daß der durch den
Bombenangriff erzeugte Feuersturm es britischen Tieffliegern
unmöglich gemacht hätte, in die brennende Innenstadt zu fliegen,
überzeugte die Zuhörer so wenig wie die akribische Analyse von
Flugeinsatzplänen und Logbüchern, die keinerlei Beleg für die
Richtigkeit der Dresdener (sic) Erinnerungen lieferten. Das wurde
von den versammelten Zeitzeugen als Angriff auf ihre persönliche
Erinnerung an silbrig schimmernde Mustangjäger’ und verzweifelt
fliehende Menschen verstanden und löste beträchtliche Empörung aus.
Mittlerweile
findet sich einige Evidenz dafür, daß zum Beispiel
Spielfilmszenen in autobiographische Erinnerungen montiert werden,
ohne daß den Erzählern diese Adaptierungen bewußt wären. Insgesamt
muß man wohl zusammenfassen, daß die scheinbar unmittelbare
Erinnerung an biographische Erlebnisse und Ereignisse als Produkte
subtiler Interaktionen all jener Prozesse zu verstehen ist, die am
Werke sind, wenn unser Gehirn Erinnerungsarbeit leistet:
Interaktionen, also zwischen den Erinnerungsspuren an Ereignisse,
dem Wiedererwecken von Emotionen, dem Import ‚fremder’ Erinnerungen,
affektiven Kongruenzen und ganz generell den sozialen Umständen
der Situationen, in denen über Vergangenes erzählt wird.“141
____________________________
139
Zeugenaussage von Ruth S., damals 21 Jahre alt, Email Gert Bürgel an
Verf. vom 31. Dezember 2007. Bürgel bezeichnet die Aussage als „ideales
Beispiel für Tieffliegerleugner“.
140
Martin M. Bowman, USAF Handbook 1939 – 1945, Phoenix Mill 1997, S.
160 f.
141
Harald Welzer, Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der
Erinnerung, München 2002, S. 39 f. Siehe
hierzu auch:
Harm-Hinrich Brandt, Vom Nutzen und Nachteil der Erinnerung für die
Geschichtswissenschaft. In:
38
Die oben erwähnte
Beobachtung des farbigen, in der Heckkanzel einer P-38 Lightning
sitzenden Fliegers ist ein klassisches Beispiel für solche Vorgänge.
Der Augenzeuge war nicht einmal durch den Hinweis, daß dieser
Flugzeugtyp einsitzig war, überhaupt keine Heckkanzel hatte und über
Deutschland auch keine farbigen Flieger der US-Luftwaffe eingesetzt
waren, von seiner Aussage abzubringen: „Ich habe ein
photographisches Gedächtnis.“ In diesem Fall traten zu den
Spielfilmszenen offenbar noch NS- Propagandalügen aus der
Tagespresse, daß in den US-Flugzeugen Schwarze säßen, hinzu.
Abb. 3: Kopf
eines Bordschützen in dem Buch „Flieger, Funker, Kanoniere“ (auch
Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin).
Zu dem Stichwort
Spielfilmszenen ist im übrigen daran zu erinnern, daß es in den
ersten
Abb. 4: Der
Schauspieler Carl Raddatz als Luftwaffenpilot in der Kanzel einer JU
87 im Film „Stukas“. (Film-Museum Berlin)
____________________________________________________________________________________
Günther Bittner
(Hg.), Ich bin mein Erinnern. Über autobiographisches und
kollektives Gedächtnis, Würzburg 2006.
39
Kriegsjahren
etliche Fliegerfilme gab, die bewußt zeitnah konzipiert waren. So
bemerkt Rainer Rother zu dem Film „Stukas“: „Szenen auf dem
Feldflughafen wechseln mit solchen in den Pilotenkapseln ab…“142
Zu nennen wären
hierbei auch „D III 88“, „Kampfgeschwader Lützow“, „Besatzung
Dora“, aber auch ein Film aus dem zivilen Milieu wie der beliebte
Heinz-Rühmann-Film „Quax der Bruchpilot.“ Außerdem gab es bereits
vor und dann während des Krieges eine Reihe von rund 20
Kulturfilmen der Luftwaffe, die als Vorfilme zusammen mit
Spielfilmen in den Filmtheatern gezeigt wurden.143
Auch das NSFK stellte „eine unübersehbare Menge“ von Kurzfilmen über
die fliegerische Ausbildung her.144
In solchen Filmen erschienen immer wieder, geradezu als graphische
Topoi, Bilder von Köpfen der Piloten in ihren Cockpits, die sich dem
Publikum einprägten. In den Tieffliegererzählungen tauchen sie dann
wieder als Erinnerungen auf (Siehe auch Anhang 7).
Martin Rikli,
wissenschaftlicher Mitarbeiter und Regisseur der
Ufa-Kulturabteilung, gewährt in seinem Begleitbuch zu dem Film
„Flieger, Funker, Kanoniere“ einen Blick hinter die Kulissen. Wie er
schreibt, war die Devise bei den Aufnahmearbeiten immer wieder:
„Dicht an die Flugzeuge ran, denn der Beschauer will die Maschine
möglichst groß auf der Leinwand sehen und die Besatzung bei ihrem
Dienst in der Luft genau erkennen.“145
Rikli erwähnt in diesem Zusammenhang einen Extremfall, bei dem ein
Kameramann auf die irrwitzige Idee kam, während des Fluges aus
seinem Sitz auf die Tragfläche einer Schulmaschine (Doppeldecker) zu
klettern, um von hier aus möglichst nächster Entfernung den Piloten
mit einer Kumuluswolke als plakativem Hintergrund zu filmen – ein
Unternehmen, das um Haaresbreite mit dem Verlust der Kamera und
einem unfreiwilligen Fallschirmabsprung geendet hätte.146
In einem
abgedruckten Auszug aus dem Drehbuch zu „Flieger, Funker, Kanoniere“
läßt Rikli die Sequenz eines Luftkampfs zwischen Bombern und Jägern
effektvoll enden: „Großaufnahme des Flugzeugführers im Jagdflugzeug.
Alle Sinne sind angespannt.“147
In einer Zeit,
in der es noch kein Fernsehen gab, bedeutete der Besuch des
Kinotheaters eine zwar quantitativ geringere, qualitativ aber umso
intensivere Rezeption solcher inszenierter Bilder. Es ist dann nicht
verwunderlich, daß in der Endphase des zweiten Weltkrieges, als die
US-Jagdflieger über dem Reich zeitlich und räumlich überall die
deutsche Luftwaffe an die Wand gedrückt hatten, sich die im
kollektiven Bewußtsein gespeicherten deutschen Pilotenköpfe in
solche von Amerikanern verwandelten.
Welzer zieht aus
seiner Untersuchung den Schluß: „Ausgehend von solchen Überlegungen,
wird nicht nur einsichtig, wieso die besonders in
Geschichtssendungen neuerdings sehr beliebten ‚Zeitzeugen’ meist
kunstvolle Montagen aus Landsergeschichten, Filmausschnitten und
biographischen Versatzstücken zum besten geben und nicht historische
Wirklichkeiten, sondern auch, wieso es regelmäßig zu empörten
Reaktionen von Zeitzeugen kommt, wenn sie – wie zum Beispiel im
Zusammenhang mit der Wehrmachtsausstellung - mit historischen
Befunden konfrontiert werden, die mit ihrer Erinnerung subjektiv
nichts zu tun haben. Ein prominentes Beispiel hierfür liefert etwa
der Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt, wenn er in einer Expertenrunde
den anwesenden Historikern empört entgegenhält: ‚Sie müssen
anerkennen, wenn Sie hier im Ernst Gespräche führen, daß andere
Leute anderes erlebt haben, als was Sie aus Ihren Dokumenten
generell herauslesen. Sonst muß ich aufstehen und den Raum
verlassen, wenn Sie mich für einen Lügner halten!’ Wichtig
scheint mir an
____________________________
142
Rainer Rother: Stukas – Zeitnaher Film unter Kriegsbedingungen. In
Bernhard Chiari,/Matthias Rogg/ Wolfgang Schmidt (Hg.), Krieg und
Militär im Film des 20. Jahrhunderts München 2003, S. 355.
143
Jan
Kindler: „Wo wir sind, da ist immer oben“ – Die Luftwaffe im
NS-Kulturfilm, ebd. S. 404 und passim.
144 Ebd.
S. 404, Anmerk. 14.
145
Martin Rikli (Hg.) Flieger, Funker, Kanoniere, Berlin 1938, S. 18
146 Ebd.
S. 20 f.
147
Ebd.
S. 16.
40
solchen
Phänomenen zu sein, daß die erzählte Erinnerung gerade in der
unmittelbaren sozialen Interaktion emotional wirksam wird und
Sichtweisen auf die Geschichte erzeugt, gegen die eine auch noch so
fundierte historische Faktendarstellung wenig ausrichten kann, weil
diese emotional nicht in gleicher Weise besetzt sein kann.“148
Welzer zeigt
darüber hinaus an einigen Beispielen aus Schweden und den USA, wie
sich Zeitzeugenerinnerungen bereits nach kurzer Zeit verändern, ohne
daß die betreffenden Personen sich dessen bewußt gewesen wären. Er
verweist auf Phänomene wie die sogenannte Quellenamnesie und
Konfabulation. Vor allem letztere dürfte für das hier erörterte
Problem von großer Bedeutung sein: „Ein der Quellenamnesie
verwandtes Phänomen ist das der Konfabulation, also des Nachdichtens
und Ausschmückens von Geschichten im Zuge ihres wiederholten
Erzählens, was mit keinerlei bewußter Absicht des Erzählers
verbunden sein muß. Im Gegenteil: Gerade die ‚falsch’ konfigurierte,
aus unterschiedlichen Zusammenhängen kombinierte und aus Gründen des
Unterhaltungswertes aufgepeppte, aber durch Wiederholung und
erfolgreiche Kommunikation stabilisierte Geschichte kann für den
Erzähler die ganz unbezweifelbare subjektive Gewißheit besitzen,
eine Erinnerung zu sein, die ihm ‚noch genau vor Augen steht’“.149
Der leider 1988
verstorbene Bamberger Historiker Karl-Heinz Mistele hat bereits 1980
in einem kleinen Aufsatz für solche – überall anzutreffenden -
Erzählungen
aus einem volkskundlichen Ansatz heraus den Begriff der „Kriegssage“
bzw. des „Wandermotivs“ geprägt und dazu ausgeführt: „ Dabei handelt
es sich nun keineswegs um Geschichten, die individuell oder
irgendwie ‚gesteuert’ entstehen, sondern um an Kriegsfolgen und an
Kriegsereignisse aufgehängte Erzählungen des Volkes, die nicht von
Einzelpersonen hervorgebracht werden, sondern in der Gruppe wuchern.
Das Gerücht entsteht unmittelbar gleichzeitig mit dem auslösenden
Ereignis, unmittelbar an dieses anknüpfend, wird aber von Anfang an,
wie erwähnt, unter Verwendung fester Wandermotive erzählt.“150
Massierte
Tiefangriffe hat es im Raum Dresden-Chemnitz zwischen dem 13. und
dem 20. April 1945 gegeben, wie die Zusammenstellung im Anhang 6
zeigt, als die Amerikaner die Mulde erreicht hatten und dort mit
ihrem Vormarsch innehielten. Einige dieser Attacken liefen auch in
der unmittelbaren Nachbarschaft von Dresden bzw. in Außenbezirken
der Stadt ab. Die Kartierung dieser Tiefangriffe ergibt, daß sie
sich fast ausnahmslos entlang den Straßen und Eisenbahnlinien
ereigneten, Straßen- und Eisenbahnjagd eben. Die bewaffnete
Aufklärung durch die Jagdverbände des amerikanischen XIX.
Tactical Air Command machte der bis dahin noch einigermaßen
ruhigen Luftlage in Sachsen ein abruptes Ende und Tiefangriffe
traten gehäuft auf. Es muß für die sächsische Bevölkerung ein Schock
gewesen sein, daß von heute auf morgen plötzlich von frühmorgens bis
in die späten Nachmittagsstunden und einen Tag nach dem anderen
Jagdbomber permanent am Himmel operierten und Ziele angriffen.
Bereits Bergander hat in seiner
Arbeit über Dresden deshalb schon früh vermutet, daß mancher
sächsische Zeitzeuge die Tiefangriffe der Verbände des XIX.
Tactical Air Command im April 1945 in späterer Erinnerung auf die
Jagdverbände der 8. US-Air Force über Dresden im Februar 1945
übertrug.151
Dem ist
zuzustimmen.
____________________________
148
Ebd.
S. 43 f. Siehe hierzu auch: Harald Welzer: Kriege der Erinnerung,
in: Gehirn & Geist, 5/2005, Hans Joachim Markowitsch, Die Sache mit
dem geblümten Kleid, ebd.; Jochen Paulus: Gefährliche Zeugen. In:
Bild der Wissenschaft, 12/2002; Elizabeth F. Loftus: Falsche
Erinnerungen, in: Spektrum der Wissenschaft, 1/1998.
149
Welzer, Das kommunikative Gedächtnis, S. 43.
150
Karl-Heinz Mistele: Kriegsgerüchte, in: Lebendige Volkskultur,
Festgabe für Elisabeth Roth zum 60. Geburtstag, Bamberg 1980, S.
153.
151
Götz Bergander: Dresden im Luftkrieg, 2. Aufl. 1994, S. 207.
41
Tiefangriffe
in Dresden im Licht deutscher Akten und Verlautbarungen
Ein immer
wiederkehrendes Argument zur Begründung von
angeblich
stattgehabten Tieffliegerangriffen auf zivile Ziele ist,
diese seien in den alliierten Akten verschwiegen, verschleiert oder
getilgt worden, weil man etwas zu verbergen gehabt haben sollte. Wer
das unterstellt, ist in der Pflicht, den Beweis für eine
Säuberung der Unterlagen
anzutreten. Diesen aber bleibt man schuldig.
Tatsächlich
finden sich in den Mission Summaries der Fighter Groups aber auch
darüber Meldungen. So meldete am 14. Februar 1945 die 479. FG als
getötet „horses <Pferde)>“ und „2 krauts <Deutsche, Zivilisten?>“,152
am 17. Februar 1945 die 353. FG „2 civilians“,153
am 22. Februar 1945 die 56. FG „2 kraut farmers“,154
ebenfalls am 22. Februar 1945 die 78. FG „1 German civilian“155
(siehe auch Anhang 5). Man wird demnach davon ausgehen können, daß
es so etwas wie ein Schweigegebot über solche Fälle nicht gegeben
hat, aber es geht auch aus den Berichten nicht hervor, unter
welchen Umständen diese abgelaufen sind. Rein quantitativ gesehen,
handelt es sich um Einzelfälle.
Nach dem Erlaß
Himmlers vom 7. Februar 1945 – veröffentlicht im Befehlsblatt des
Chefs der Ordnungspolizei Nr. 6 vom 17. Februar 1945 - waren alle
Polizeibehörden und – Dienststellen berichtspflichtig über solche
Fälle, also auch der Höhere SS- und Polizeiführer Elbe in seiner
Eigenschaft als Befehlshaber der Ordnungspolizei (Dresden).156
Unter dem Datum des 15. März 1945 erscheint in der bei Weidauer
veröffentlichten Schlußmeldung des BdO Dresden die Angabe: „Bei
allen Angriffen war Bordwaffenbeschuß festzustellen.“157
Dies war aber
nicht das letzte Wort, denn am 22. März 1945 erstattete der BdO
Dresden noch einmal eine umfangreiche Nachmeldung über die Anzahl
der
Abwurfmittel, Schäden und Personenverluste für die Lagemeldungen
der Ordnungspolizei über Luftangriffe auf das Reichsgebiet. Hierin
wurden noch einmal exakt die vier Luftangriffe vom 13., 14. und 15.
Februar 1945 mit genauen Uhrzeiten und der (geschätzten) Anzahl der
abgeworfenen Spreng- und Brandbomben aufgeführt. Außerdem Details
wie der Abwurf einer erheblichen Anzahl von LZZ.
(Langzeitzünder, Hervorheb. d. Verf.) und die Angabe, daß 1/3 der
abgeworfenen Stabbrandbomben Sprengsätze gehabt habe.158
Über Tiefangriffe oder Bordwaffenbeschuß aber diesmal kein Wort
mehr.
Sicherlich wäre
eine so detaillierte Meldung über Tiefangriffe, wie sie im Erlaß
vom 7. Februar 1945 verlangt wurde, gesondert ergangen, aber aus
Gründen der Vollständigkeit hätte die Nachtragsmeldung vom 22. März
unbedingt einen Hinweis enthalten müssen.
Am 22. März war
das angeführte Befehlsblatt des Chefs der Ordnungspolizei bereits
seit über
fünf Wochen publiziert, und trotz der bereits fühlbaren
Einschränkungen bei Post und Bahn dürfte das Blatt bei dem Höheren
SS- und Polizeiführer und BdO ab Ende Februar/Anfang März bekannt
gewesen sein, zumal solche führenden Stellen des Regimes zu diesem
Zeitpunkt ja auch noch durch Kuriere mit Berlin in Verbindung
standen.
Himmlers Erlaß
enthielt den nachdrücklichen Hinweis: „Berichte über derartige
Kriegsverbrechen (Tiefangriffe auf die Bevölkerung) stellen ein
politisch wertvolles Material
_____________________________
152
Mission Summary der 479 FG, 14. Februar 1945 (AFHRA Microfilm B
5018).
153
66th Fighter Wing Consolidatet Mission Summary Report 8 AF F.O.
1634A, 17th February (AFHRA Microfilm B 5018).
154
65 Fighter Wing Consolidated Mission Summary Report 22 February 1945
(AFHRA Microfilm B 5019).
155
66 Fighter Wing Consolidatet Mission Summary Report 22 Feb 1945
(AFHRA Microfilm B 5019).
156
Befehlsblatt des Chefs der Ordnungspolizei, 2. Jahrg., 17. Februar
1945, Völkerrechtswidrige Angriffe auf die deutsche
Zivilbevölkerung, RdErl. d. RFSSuChdDtPol v. 7.
2. 1945,
O-Kdo I Org/Ia Nr. 108/45 (BArrch R 19/3).
157
Der
Höhere SS- und Polizeiführer Elbe, Schlußmeldung über die vier
Luftangriffe auf den LS-Ort Dresden am 13., 14. und 15. Februar
1945, Eilenburg, den 15. März 1945, bei Walter Weidauer: Inferno
Dresden, Über Lügen und Legenden um die Aktion Donnerschlag, 6.
Aufl. Berlin 1987, S. 208.
158
Luftangriffe auf das Reichsgebiet. Lagemeldung Nr. 1.404, 22. 3. 45,
BdO. Dresden – Nachtrag (BArch R 19/341).
42
dar
und sind vor allem für Maßnahmen des Auswärtigen Amtes
von hoher Bedeutung.“ Dem BdO in Dresden mußte also
rechtzeitig vor Abfassung seines Nachtrags vom 22. März 1945 klar
sein, welchen politischen Stellenwert Meldungen über Tiefangriffe
auf die Zivilbevölkerung nach
den Bombenwürfen
gehabt hätten,
zumal die
internationale
Diskussion und die Propagandakampagne Goebbels’ über den Fall Dresden im
März 1945 längst im Gang war. Solche Angriffe wären als neuer Höhepunkt
des Terrors eine cause célèbre gewesen. Warum also ließ der BdO
Dresden die Gelegenheit der Nachmeldung ohne ein Wort über Tiefangriffe
in Dresden vorübergehen und enthielt dem Propagandaminister eine
Trumpfkarte vor?
Es sei in diesem
Zusammenhang daran erinnert, daß das Reichsministerium für
Volksaufklärung und Propaganda z. B. in so spektakulären Fällen wie
Freiburg, Nemmersdorf und Katyn sich durchaus nicht zurückhielt,
sondern sofort – und wirkungsvoll! -seine Propagandamaschine anlaufen
ließ, sobald die ermordeten Polen und Deutschen entdeckt worden waren,
und im Fall der angeblichen Bombardierung von Freiburg durch die
Alliierten schreckte die NS-Propaganda auch nicht vor handfesten Lügen
zurück.159
In der Abendmeldung
des Luftwaffenführungsstabes Ic, Meldewesen, vom 14. Februar 1945 heißt
es lediglich:
„Jagdtätigkeit: 07.50
– 18.00 insgesamt etwa 200 Jagdflugzeuge, einzeln und in kleineren
Verbänden fliegend, im nw-, w-, und sw-deutschen Raum. Schwerpunkte
Münsterland – Ruhrgebiet (500), Rhein-Main-Gebiet (350)“.
Zum 15. Februar
lautet die Meldung:
„Mittelstarke
Jagdtätigkeit über W- und SW-Deutschland, insgesamt etwa 600 Flugzeuge,
mit
Schwerpunkt Oberrhein
(300) und Mittelrhein (150).“160
Auch im
Kriegstagebuch des OKW werden Tiefangriffe in Dresden nicht erwähnt.161
Der Wehrmachtsbericht
zum 14. Februar 1945, der „Völkische Beobachter“, die Auslandspropaganda
der deutschen Gesandtschaft in Bern schweigen sich ebenfalls über
Tiefangriffe in Dresden aus.162
Letzteres ist besonders auffallend, weil in den Anweisungen an die
Gesandtschaft in Bern zur Propaganda in der neutralen Schweiz bereits
alle anderen Motive angesprochen werden, die bis heute die Diskussion um
die Luftangriffe auf Dresden prägen. Auch von Goebbels ist nicht
bekannt, daß er Tiefangriffe auf Flüchtende in Dresden öffentlich
angeprangert hätte. Wie bereits erwähnt, bleibt auch der
Interministerielle Luftkriegsschäden-Ausschuß stumm zu der Behauptung
von Tiefangriffen auf Dresden im Februar 1945. Hätte es sich mit den
angeblichen
Tiefangriffen so verhalten, wie David Irving suggeriert, nämlich daß sie
ein Merkmal der Luftangriffe auf deutsche Städte für den Rest
der
Kriegszeit wurden, dann hätte sich der dramatische Auftakt in Dresden
unbedingt doch in den Mitteilungen des Ausschusses niederschlagen
müssen.
Hierbei ist ein
Detail besonders vielsagend. Am 28. Februar 1945 sandte das Auswärtige
Amt der Deutschen Gesandtschaft Bern zwei Bilder zu. Im Begleitschreiben
heißt es: „Eines der wichtigsten Themata des
Auslandsinformationsdienstes ist zur Zeit der Terrorangriff auf Dresden,
worüber bereits Erlaß ergangen ist. In der Anlage wird Fotokopie von 2
Bildern übersandt, die Kinder darstellen, die beim Terrorangriff auf
Dresden durch Phosphor verletzt wurden. Diese Fotos mit dem in der
Anlage übersandten Text sind in größeren Auflagen an der Westfront
bereits eingesetzt worden. Es wird gebeten, dasjenige Bild, auf dem 2
Kinder dargestellt sind, besonders stark im Auslandsinformationsdienst
herauszustellen und überall zu verbreiten, wobei der geeignete Text
aus dem Flugblatt betreffend Doolittle oder aus
____________________________
159
Freiburg wurde am 10.
Mai 1940 versehentlich durch drei Bombenflugzeuge der deutschen
Luftwaffe bombardiert, was Goebbels sofort der britischen Luftwaffe in
die Schuhe schob, in Nemmersdorf/Ostpreußen – und anderswo – brachten
Soldaten der Sowjet-Armee im Oktober 1944 Frauen, Kinder und alte Leute
nach Folterungen und Vergewaltigungen auf bestialische Weise zu Tode.
160
BArch-MArch Freiburg, RL 2 II/388.
161
Kriegstagebuch des OKW 1944-1945, Bd. 8, Augsburg 2002, S. 1097.
162
Wehrmachtbericht, siehe Anhang 4; Gesandtschaft Bern, Materialsammlung
über Luftkrieg (Bd. 3400, Auswärtiges Amt, Politisches Archiv).
43
der oben
erwähnten Anlage entnommen werden kann. Es soll versucht werden,
dieses Bild überall in der Welt so herauszustellen, daß es zu einem
Begriff für die grausame Kriegsführung der Westmächte wird.“163
Im Reich selbst
versuchte die Führung durch Mundpropaganda und, als diese nicht
wirkte, später auch über die Presse der Bevölkerung immer wieder
klar zu machen, daß kein Phosphor abgeregnet wurde und kein Grund
zur Panik wegen dieses Brandstiftungsmittels bestehe.164
In der schon angeführten Lagemeldung Nr. 1.404 des Chefs der
Ordnungspolizei wurden als Abwurfmittel zur Brandtstiftung nur
Stabbrandbomben und – übrigens fälschlicherweise –
„Flammstrahlbomben“ genannt.165
In den zuständigen Ämtern und Gremien – also auch in dem
Interministeriellen Luftkriegsschäden-Ausschuß unter Goebbels –
wußte man, daß diese Bombentypen keinen Phosphor enthielten.
Trotzdem wurde über das Auswärtige Amt diese eindeutige
Desinformation im Ausland verbreitet.
Am 8. März 1945
erhielt die Gesandtschaft aus Berlin ein Telegramm, in der sie
angewiesen wurde, in einem von ihr zu erstellenden Flugblatt mit
dem Titel „Dresden – Flüchtlingssterben“ ein Interview aus dem
Svenska Dagbladet zu übernehmen, das die Annahme von eher 200 000
als von 100 000 Toten suggerierte.166
Auch hier fragt
man sich: wenn das NS-Regime sich nicht scheute, das Ausland mit
solchen exorbitanten Totenzahlen und falschen Informationen über
Phosphor zu desinformieren, warum nahm es dann nicht auch die Chance
wahr, „anglo-amerikanische“ Brutalität wie die Niedermetzelung von
traumatisierten
Zivilisten mit Maschinengewehren anzuprangern, wenn es diese
gegeben hätte?
Warum ließ sich
Goebbels diese einmalige Chance zu einer wirkungsvollen
Greuelpropaganda entgehen, wenn am 13., 14. und 15. Februar 1945
tatsächlich Tiefangriffe auf die Bevölkerung geflogen worden sind?
Ist hieraus auch
der Schluß zu ziehen, daß auch die maßgebenden deutschen Stellen und
Personen ein Interesse (aber welches?) hatten, die angeblichen
Tiefangriffe in Dresden zu verschweigen wie angeblich auch die
Alliierten? Doch eher der, daß die deutsche Propaganda nicht einmal
auf den Einfall, Tiefangriffe wenigstens zu erfinden, gekommen
war.
Es ist in diesem
Zusammenhang nicht ohne eine gewisse Pikanterie, daß auch der DDR
offenbar die Verbreitung der Tieffliegergeschichten nicht mehr
geheuer war, nachdem Götz Bergander erstmals 1977 ihre Wahrheit in
Zweifel gezogen hatte. Im Sommer des Jahres 2002 machte nämlich
Günther Krause, Dresden, uns beide darauf aufmerksam, daß bereits
1982 in der 7. und letzten Auflage von Seydewitz „Die unbesiegbare
Stadt“, herausgegeben von der Bezirksleitung Dresden der SED unter
Hans Modrow, alle Hinweise auf Tieffliegerangriffe in Dresden am 13.
und 14. Februar 1945 getilgt waren. Die Einsicht in die Unterlagen
des VEB Verlages Brockhaus Leipzig ergab, daß dies von der
herausgebenden SED-Bezirksleitung Dresden nach einer Anfrage bei
Professor Olaf Groehler, Zentralinstitut für Geschichte bei der
Akademie der Wissenschaften, angeordnet worden war. Groehler war der
führende Luftkriegshistoriker der DDR, der auch im Westen anerkannt
war. In einer Aktennotiz des Verlages vom 16. 06. 82 hieß es: „Prof.
Gröhler <sic> zu den Tieffliegerangriffen (Telefonat am
16.6.82): Mit Berufung auf die Quelle Bergander sowie
_____________________________
163
Ebd.
164
Siehe
hierzu Bergander: Dresden im Luftkrieg, 2. Aufl. 1994 S. 190 ff.;
siehe auch die Beschreibung der britischen Phosphorbrandbombe 14 Kg
in der Zeitschrift des Reichsluftschutzbundes „Die Sirene“ Nr. 13,
1944
165
Dass
Stabbrandbomben keinen Phosphor enthielten, sollte inzwischen
allgemeine Kenntnis sein, zur Flammstrahlbombe „Die Sirene“, Nr. 16,
1944.
166
Materialsammlung (Ausw. Amt, Pol. Arch, Bd. 3400).
44
eigene Studien
englischer Quellen, die Berganders Recherchen bestätigen, meint er,
daß derartige Tieffliegerangriffe nicht geflogen wurden.“167
In seinem 1990
erschienen Buch „Bombenkrieg gegen Deutschland“ stellte er
allerdings die
Behauptung von Tiefangriffen wieder auf mit einer
Polemik
gegen Bergander, indem er sich auf die Vielzahl der Augenzeugen
berief und die Verschweigung der Angriffe durch die amerikanischen
Piloten unterstellte.168
Die Luftkämpfe des 14.
Februar 1945 über Sachsen
Inzwischen hat
der Kampfmittelräumdienst des Landes Sachsen nach Geschossen auf den
Elbwiesen gesucht –ohne Erfolg.169
Schließlich sei
noch auf ein weiteres Detail hingewiesen, das in die Untersuchung
„Tiefflieger über Dresden?“ noch keinen Eingang gefunden hatte. Wie
der amerikanische Autor William Wolf in einer systematischen
Darstellung über US-Jagdflieger und – Jagdbomber im Zweiten
Weltkrieg ausführt, war die
Voraussetzung für die Tiefangriffe der Jagdflugzeuge und
Jagdbomber mit Bordwaffen eine Wolkenuntergrenze von rund 1000
Metern.170
In der
Abendmeldung des Luftwaffenführungsstabes Ic lautet die
Wettermeldung für den Raum Dresden – Chemnitz: “8 – 10/10
<Bewölkung>, U<nter>gr<enze> 4 – 500 m, O<ber>gr<enze> 1500 m, Sicht
10 km.“171
Eine solche Wetterlage, zusammen mit der starken Verqualmung über
dem Ziel, war für Tiefangriffe also die denkbar ungünstigste
Situation, zumal für eine größere Anzahl von Angreifern. Am 15.
Februar lag die Wolkenuntergrenze um 200 Meter, die Obergrenze um
3000 Meter, d. h. daß die Wetterlage für Tiefangriffe noch
ungünstiger war als am Vortag.172
In der
Untersuchung „Tiefflieger über Dresden? Legenden und Wirklichkeit“
hat der Verfasser dieses Beitrages die Wahrnehmung von
Tiefangriffen durch die Augenzeugen mit der Beobachtung einer
Verfolgungsjagd durch das Elbtal im Zusammenhang mit den Luftkämpfen
über Sachsen vor, während und nach dem amerikanischen Bombenangriff
auf Dresden am 14. Februar 1945 erklärt. Als Belege dafür, daß
solche Luftkämpfe tatsächlich und in unmittelbarer Umgebung von
Dresden stattgefunden haben, sind im Text u. a. auch Aufschlag- bzw.
Notlandungsorte von abgeschossenen deutschen Jagdflugzeugen benannt,
so in dem näheren Umkreis Dresdens z. B. Oberbobritsch und Freiberg.173
_____________________________
167
Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, VEB Brockhaus Verlag Lpz. 58.
168
Olaf
Groehler: Bombenkrieg gegen Deutschland, Berlin 1990, S. 414.
169
Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, Dresden,
Tieffliegerangriffe auf Dresden am 13. und 14. Februar 1945.
Abschlußbericht vom 24. 06. 2008.
170
William Wolf, American Fighter-Bombers, S. 107.
171
Luftwaffenführungsstab Ic, Meldewesen, Abendmeldung vom 14. 2. 45
(BArch-MArch RL 2 II/388).
172
Luftwaffenführungsstab Ic, Meldewesen, Abendmeldung vom 15. 2. 45,
ebd.
173Die
deutsche Seite bestätigt diese Luftkämpfe mit der Angabe von 20
eigenen Verlusten, Kriegstagebuch des OKW, Bd. 8, S. 1097; insgesamt
17 Verluste meldet Luftwaffenführungsstab Ic, Nachtrag zur
Abendmeldung vom 14. 2. 45 (BArch-MArch RL 2 II/388).
45
Abb. 5. Orte, an
denen bei den Luftkämpfen am 14. 2. 1945 deutsche Jagdflugzeuge
aufgeschlagen oder notgelandet sind.
Zum
Erscheinungszeitpunkt des Buches war für einen der gefallenen
deutschen Piloten, den Gefreiten Heino Krause, nur allgemein der
Raum Dresden als Verlustraum bekannt. Inzwischen hat sich
Waltersdorf im Kreis Pirna als Verlustort herausgestellt174
Dort wurde im Oktober 2006 eine FW 190 mit Überresten des Piloten
ausgegraben, der inzwischen zweifelsfrei als Heino Krause (JG 301)
identifiziert werden konnte.175
Waltersdorf liegt
in der Luftlinie nur ca. 25 Km vom Stadtzentrum Dresdens entfernt ,
das sind bei einer Geschwindigkeit von 500 - 600 km/h, wie sie
in Luftkämpfen üblich waren, nur etwa zwei bis drei Flugminuten. Von
Oberbobritsch, wo Leutnant Krasorsky (JG 300) mit seinem Flugzeug
aufschlug, sind es bei dieser Geschwindigkeit nur etwa drei bis
vier, von dem Absturzort Bronkow/Niederlausitz (NN, JG 301?) etwa
sechs bis acht Flugminuten.176
Weitere Verlustorte sind Obersaida (Lt. Stoll, JG 300) ca fünf bis
sechs, Langenau bei Freiberg (Ogfr Dorsch, JG 300, Bauchlandung) ca.
vier bis fünf und Dahlen bei Oschatz (Lt. Achard, JG 300) ca. sieben
bis acht Flugminuten zum Stadtzentrum Dresdens (hierzu siehe Anhang
1).177
Aus den Verlustorten geht
mit hinreichender Sicherheit hervor, daß es westlich und im engeren
Raum Dresden Überflüge von Jagdfliegern gegeben hat, die sich auch
auf das eigentliche Stadtgebiet erstreckt haben können und bei denen
es zu Überflügen von deutschen Jagdfliegern gekommen sein kann, die
sich im Tiefflug Richtung Osten, also über Dresdner Stadtgebiet
hinweg, ihren Gegnern zu entziehen versuchten. Dabei kann auch
geschossen worden sein,
aber eben nicht bei Tiefangriffen auf Bodenziele. Als
zeitgenössischer Augenzeugenbeleg dafür sei hier auf die
beiden Briefe vom 20. Februar
____________________________
174
Horst Giegling/Geising/Erzgeb., Aktennotiz. Ich danke ihm für eine
Kopie.
175
Schreiben der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der
nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen
Wehrmacht an Verfasser vom 23. 04. 2007. Krause ist beigesetzt auf
dem Friedhof in Döbra.
176
Eberhardt Kretschel, Niederbobritsch, Brief an Verfasser vom 5. 3.
1996.
177
Mitteilung von Alfred Dorsch, Bamberg, vom 11. 1. 2007.
46
und vom 17. März
1945 von Julius Arthur Rietschel verwiesen, der tieffliegende
Maschinen bezeugt, aber keinen Beschuß.178
Hätte es Tiefangriffe im Stadtgebiet von Dresden gegeben, hätte er,
der sich in seinen beiden Briefen detailliert über die
Bombenangriffe verbreitet, sie sicher auch erwähnt.
Ebenso gut ist
denkbar, daß ein oder mehrere deutsche Flugzeuge nach einem
Luftkampf nach unten durch die niedrige Wolkendecke durchstießen,
der oder die Piloten sich dann orientieren wollten, wo sie sich
befanden und dabei durch aggressive Flugbewegungen den Anschein von
Tiefangriffen erweckten. Immerhin gab es am 26. Februar 1945
folgenden Befehl des Luftwaffenführungsstabes an die Luftflotten:
„Die fl. Verbände, insbes. Jagd- und Schlachtverbände sind erneut zu
belehren, daß Entlangfliegen an Reichsautobahnen und
Fernverkehrsstraßen in niedriger Höhe verboten ist. Eigene
Transportbewegungen, besonders auch die Trecks der Zivilbevölkerung,
sind durch dieses Verhalten ins Stocken geraten und unnötig
beunruhigt worden.
Lediglich bei
Schlechtwetter können Tiefflüge entlang der Hauptverkehrswege,
jedoch mehrere hundert Meter abgesetzt, durchgeführt werden.“179
Solche
mißverstandene Tiefflüge können auch in Dresden am 14. Februar 1945
sehr gut der Fall gewesen sein, wobei die Wirkung der entsprach,
die in dem Befehl erwähnt ist.
Wie schnell es zu
Aussagen über den Beschuß von Personen und Sachen kommen konnte,
während es sich in Wirklichkeit um Luftkämpfe handelte,
demonstrieren die folgenden, gut belegten Fälle:
1. In der Lagemeldung Nr. 879 des
Chefs der Ordnungspolizei zum 17. August 1943 tauchen
folgende Meldungen auf:
|
„Hartenfels <Westerwald, H.S.>
Kreis Miltenberg <Main, H.S.>
Rankenthal <Frankenthal? H.S.>
Messmehrin, Kr.
Mühldorf
Erlabrunn <bei Würzburg, H.S.>
Kirchzell <bei Amorbach, H.S.>
Amorbach <Odenwald, H.S.>
Weißbach <bei Künzelsau, H.S.>
Tüngersheim <b. Karlstadt, H.S.>
|
1 Frau durch Bordwaffenbeschuß verwundet.
Bevölkerung wurde auf dem Felde im Tiefflug beschossen.
Bordwaffenbeschuß auf Feldarbeiter.
In den Landkreisen Rosenheim und Mühldorf wurden einzelne
Personen mit Bordwaffen beschossen. Bisher
keine
Verwundungen festgestellt.
Die Ortschaft wurde mit Bordwaffen beschossen.
Kein
Schaden.
Die Ortschaft und einzelne Personen auf freiem Feld mit
Bordwaffen beschossen.
Einzelne Personen auf freiem Feld mit Bordwaffen beschossen.
Personen auf freiem Feld mit Bordwaffen beschossen.
1 Mädchen durch Ziegelsplitter, verursacht durch
Bordwaffenbeschuß, leicht
verwundet."180 |
Am 17. August
1943 drangen zum erstenmal amerikanische viermotorige Bomber bei
Tage tief in den Luftraum im Südwesten des Reiches ein. Ein Verband
flog nach Regensburg, bombardierte dort die Messerschmidt-Werke und
flog über die Alpen nach Nordafrika ab. Ein zweiter Verband griff in
Schweinfurt Kugellagerfabriken an und kehrte nach England zurück.
Aber: zu diesem Zeitpunkt waren die alliierten Jäger noch gar nicht
in der Lage, weiter als bis zur westlichen Reichsgrenze zu fliegen,
bei Aachen mußten sie kehrtmachen und die Bomber alleine
weiterfliegen lassen. Die Bordwaffenbeschüsse konnten also auf
keinen Fall von amerikanischen Jägern stammen. Über dem Rheinland
und Süddeutschland spielten
_____________________________
178
Julius Arthur Rietschel, Briefe an seine Kinder vom 20. Februar und
17. März 1945, im Besitz seiner Enkelin Nanna Hürter, Koblenz-Metternich
(Kopien auch im Stadtarchiv Dresden, Zeitzeugenarchiv für Dresden,15
- 12)
179
Fernschreiben des OKL Fü. St. (Rob.) Nr. 10136/45 geheim (op 1) (BArch-MArch
RL 2 II/107).
180
Der Chef
der Ordnungspolizei, Betr.:Luftangriffe auf das Reichsgebiet und
besetzte Gebiete, Lagemeldung Nr. 879, (BArch-MArch) RL 4/406.
47
sich aber lang
andauernde, heftige Luftkämpfe mit der deutschen Jagdabwehr ab, bei
denen allein mehr als 60 US-Bomber verloren gingen. Die
Bordwaffenbeschüsse waren Feuerstöße, die bei den Luftkämpfen in
größeren Höhen abgegeben worden waren.
Diese Situation
war in Deutschland ganz neu, und so ist es kein Wunder, daß die
Polizeidienststellen, die die Fälle aufnahmen, zunächst das
meldeten, was die Betroffenen glaubten, erlebt zu haben, nämlich
Bordwaffenbeschuß auf sich selbst.
2. Zu dem
gleichen Einflug vermerkt die Schulchronik von St. Goar am Rhein:
„Am 17. August, nachmittags etwa 15 Uhr 30 konnte man über dem
Rheintal einen Luftkampf beobachten. Etwa 120 feindliche Flugzeuge
zogen rheinaufwärts, gefolgt von deutschen Jägern. Groß und klein
war auf den Straßen und beobachtete die Vorgänge in der Luft, bis
am Rhein einschlagende Geschosse dazu mahnten, Deckung zu nehmen und
den Luftschutzkeller aufzusuchen. Die Mädchen der 4. Klasse hatten
eben Unterricht auf dem Sportplatz und begaben sich schleunigst in
den Keller.“181
3. Unter dem 9.
August 1944 vermerkt das Kriegstagebuch des Luftgaukommandos VII:
„F.H. Schongau:
Bei Luftkämpfen über Fl<ug> Pl<atz>, nicht durch Tieffliegerangriff
wurden
durch
Bordwaffenbeschuss am Boden beschädigt:
2 Bf 410
15%
1 AR 96
5%
1 Bf
109 5%
1 Fw
190 5%“182
4. Unter dem 25.
Dezember 1944 notiert der Stadtarchivar von Koblenz in seinem
Tagebuch: „Luftkämpfe: Frau B. wird nachmittags auf der Straße durch
ein deutsches Sprengstück getroffen. Schlag auf die Brust, Mantel
zerrissen.“183
5. Am 13. Februar
1945 kam es bei Montabaur/Westerwald zu einem Luftkampf zwischen FW
190 des Jagdgeschwaders 2 und P-47 der 36. FG.184
Zeugen des Gefechts wurden einige junge Mädchen aus Bladernheim:
„Wir standen gerade auf dem Flachdach der alten Schmiede, als
plötzlich … einige ‚Jabos‘ auftauchten. Wir sind sofort in den
leeren Wasserkessel gesprungen, in dem sonst die Eisen gekühlt
wurden. … Zuerst dachten wir, die schießen auf uns, doch dann
erschienen aus der entgegengesetzten Richtung zwei weitere
Flugzeuge. Die haben sich fürchterlich beballert. Die Splitter
flogen nur so um uns herum.“185
Bei der
derzeitigen Quellenlage besteht also keine Veranlassung, von der
Erklärung, daß Luftkämpfe als Tiefangriffe wahrgenommen wurden,
abzugehen.
Eine neue
Version der Tieffliegererzählungen: Tiefangriffe am Vormittag
des
14. Februar
1945
Indessen ist in
Dresden eine neue
Version der Erzählungen über die
angeblichen
Tieffliegerangriffe am 14. Februar 1945 aufgetaucht. So
veröffentlichte die SÄCHSISCHE ZEITUNG vom 19. März 2007 einen
Artikel „Tiefflieger kamen am Vormittag“ von Gert Bürgel,
Dresden, in dem sie Aussagen präsentierte, die dieser auf dem
Geschichtsmarkt in Dresden am 17. März 2007 in einem Vortrag
referiert hatte.186
____________________________
181
Mitteilung der Stadtverwaltung St. Goar/Rhein an Verf. vom 5. August
1975.
182
Luftgaukommando VII, Kriegstagebuch (BArch-MArch RL 19/88).
183
Hans Bellinghausen, Aufzeichnungen aus dem Kriegsjahr 1944. In:
Jahrbuch für Geschichte und Kunst des
Mittelrheins und
seiner Nachbahrgebiete, 22./23. Jahrg. 1970/1971.
184
Ninth
Air Force Summary of Operations No 44, 13 February 1945, (NA at
College Park RG 243, Entry 25, file
2. f. (5) ).;
(BArch-MArch RL 2 III/1197).
185
„Splitter flogen nur so um uns herum“, von Luzia Ferdinand,
Rhein-Zeitung Koblenz, 27. 8. 1986.
186
Gert Bürgel, Tiefflieger Dresden 1945. Motivation, Recherche,
Analyse, erste Ergebnisse. Ein Beitrag zur Lösung des
Historikerstreits. Vortrag am 17. März 2007, Geschichtsmarkt
Dresden. Ich habe Gert Bürgel dafür
48
Einleitend legte Bürgel
dabei als Beleg für Tiefangriffe in Dresden eine Zeichnung des
Dresdner Malers Otto Griebel aus dessen Zyklus „Die sterbende Stadt“
vor. Sie zeigt Menschen, die vor zwei niedrig anfliegenden
Jagdflugzeugen auf dem Trinitatisfriedhof zwischen Grabsteinen
Deckung suchen. Er fragt hierzu, „wie es möglich sein kann, einen
solchen Tiefangriff auf Zivilisten künstlerisch darzustellen, wenn
es solche Erinnerungen in Dresden nicht gegeben haben soll?“187
Hierzu ist einmal
zu sagen, daß eine künstlerische Darstellung nicht unbedingt auf
einer tatsächlichen Begebenheit beruhen muß, sondern auch einen
allgemeinen Topos in künstlerischer Freiheit wiedergeben kann. Weite
Strecken der Ikonographie in der bildenden Kunst beruhen auf diesem
Prinzip. Datiert ist die Zeichnung auf den 10. August 1945.
Sodann ist
festzustellen, daß in dem Erinnerungsbuch von Griebel, das aus dem
Nachlaß 1986 herausgegeben wurde,
mit keinem Wort von Tieffliegerangriffen am 14. Februar 1945 die
Rede ist. Das, obwohl der Bericht Griebels über seine Erlebnisse
und Beobachtungen vom 13. bis zum 15. Februar 1945 bemerkenswert
dicht und plastisch ist.188
Lediglich zum 15. Februar erwähnt er, daß er beim Anflug der
Bomberverbände aus Vorsicht einen sicheren Platz vor Tieffliegern
gesucht habe – ein allgemeines und verständliches Verhalten.189
Über den Angriff
vom 2. März 1945 berichtet er, im Poisenwald vor Tieffliegern rasche
Deckung genommen zu haben, aber da er zur gleichen Zeit die
(Bomben)Einschläge im Gebiet des Alberthafens, der Kasernen und der
Neustädter Wohngebiete beobachtete, ist es mehr als fraglich, ob er
einen wirklichen Tieffliegerangriff und nicht wieder eher einen
befürchteten gemeint haben kann.190
Der Angriff vom 2. März steht im übrigen hier nicht zur Debatte.
Bürgels Ausführungen sind darüber hinaus im wesentlichen
folgende:
H.S.) mißachteten
die zahlreichen Zeugenaussagen und stützten sich statt dessen
„hauptsächlich“
auf „Dokumente in den Archiven der Alliierten“;
Anzahl von
Zeitzeugen auf der Vormittagszeit“
beharre;
-
die
Tiefangriffe amerikanischer „Jagdbomber“ hätten demnach am
Vormittag des 14. Februar 1945 zwischen 10.00 Uhr und 11.00 Uhr
stattgefunden.
-
diese Tieffliegerangriffe seien keine Hypothese, sondern eine
nachprüfbare
(!)
Schlußfolgerung
anhand übereinstimmender Aussagen zahlreicher Zeitzeugen;
-
Schnatz habe
daher „zu einem großen Teil am Sachverhalt vorbei recherchiert.
-
Folglich ist
seine Aussage als wissenschaftliches Gesamt-Resultat
nicht brauchbar“;
-
es müsse nach
einer alliierten Jagdstaffel gesucht werden, die für diesen
Vormittagseinsatz
in Frage komme. „Wenn es logischerweise keine Begleitjäger der
Bomberstaffeln
waren, dann vielleicht Jagdflugzeuge in üblichen ‚Daily Strafing’,
Long Range
Patrols’ oder ‚Scouting Missions’.“191
______________________________________________________________________________________
zu danken, dass er
mir den Text des Vortrags zur Verfügung gestellt hat. Einen weiteren
Vortrag hat Bürgel als Manuskript vervielfältigt und auf dem
Geschichtsmarkt in Dresden am 28. und 29. März 2009 verteilt.
187
Für die Zusendung einer Kopie habe ich Gert Bürgel ebenfalls zu
danken.
188
Otto Griebel: Ich war ein Mann der Straße. Lebenserinnerungen eines
Dresdner Malers, Halle-Leipzig 1986, S. 425 – 463.
189
Ebd. S. 448.
190
Ebd. S. 457
191
Diese von
Bürgel zitierten Begriffe
tauchen in den amerikanischen Luftwaffenakten als Bezeichnung von
Einsatzarten nicht auf. Was er offenbar meint, wird dort
als Sweep, Free Lance oder auch Armed Reconnaissance bezeichnet. Es
liegt hier zudem eine Verwechslung von Einsatzarten mit
Einsatzverbänden vor.
49
Als Fazit stellt
Bürgel (ausdrücklich noch als These) die Überlegung auf: „Wenn laut
übereinstimmenden Zeugenaussagen am Vormittag des 14. Februar 1945
eine bis jetzt unbekannte Jagdstaffel in Dresden operiert hat, warum
könnten es nicht eine oder mehrere unbekannte Staffeln auch zur
Mittagszeit gewesen sein?“
Die neuen Behauptungen
Bürgels müssen – unabhängig davon, ob man praktisch nur
Zeitzeugenaussagen als unanfechtbare Wahrheiten und als einzige
zuverlässig verwertbare Quellen ansieht oder nicht - ernst genommen
werden. Allerdings ist die Konsequenz aus seinen neuen
Vorbringungen, daß er damit nun selbst allen bisherigen Augenzeugen,
Literatur- und Presseveröffentlichungen über Tiefangriffe in
Dresden aus den vergangenen 60 Jahren
Unglaubwürdigkeit bescheinigt.
Des weiteren ist
dabei auf einen merkwürdigen Widerspruch in
seinen Gedankengängen hinzuweisen: für die Einsätze der alliierten
Jagdverbände im Zusammenhang mit dem Bombenangriff zwischen 12.17
Uhr und 12.32 Uhr
mißtraut er den alliierten
Aktenbeständen, für die Suche nach den
unbekannten Jagdstaffeln, die nach seiner Ansicht am Vormittag vor
dem Bombenangriff über Dresden operiert haben sollen, soll dies
offenbar nicht zutreffen.
Immerhin geht
Bürgel nunmehr davon aus, daß es nicht mehr als drei oder vier
Flugzeuge waren, die Tiefangriffe geflogen haben sollen.
Demnach ist nun
zu fragen:
1. Welche
alliierten Jagdeinheiten kann Bürgel
gemeint haben,
nach deren Einsätzen am Vormittag des 14. Februar 1945 zu suchen
wäre? Laut einem Artikel der SÄCHSISCHEN ZEITUNG vom 30. März 2009
(also zwei Jahre nach seiner
Behauptung
von Tiefangriffen am Vormittag) wußte er “bis
heute nicht, wo die Flugzeuge herkamen und ob es englische oder
amerikanische Piloten waren.“192
2. Welche Quellen
– außer Augenzeugenaussagen - geben hierüber Auskunft?
3. Welche
Jagdverbände hätten der Royal Air Force und den United States Army
Air Forces für einen Einsatz am Vormittag des 14. Februar 1945 über
Dresden tatsächlich zur Verfügung gestanden?
4. Wann
operierten sie?
5. Wo operierten
sie? Wo liegen die Grenzen der von ihnen am 14. Februar 1945
beflogenen Einsatzräume?
Die
Westalliierten verfügten am 14. Februar 1945 über folgende
Jagdkräfte:
1. Fighter Groups
der 8. Air Force (US),
2. (Fighter)
Groups der 2nd Tactical Air Force (britisch),
3. Fighter Groups
der 9. Air Force (US),
4. Fighter Groups
der 1st Tactical Air Force (Provisional) (amerikanisch-französisch),
5. Fighter Groups
des britischen Fighter Command der RAF.
6. Fighter Groups
der alliierten Luftstreitkräfte im Mittelmeerraum, das waren die
Verbände der Mediterranian Allied Air Forces mit der 12. und 15. Air
Force. Diese scheiden in diesem Fall von vornherein aus, da ihre
taktischen Einheiten am 14. Februar 1945 die Alpen nicht überquerten
und die strategischen nur in der Ostmark (Österreich) Angriffe
flogen und mitteldeutsches Gebiet nicht berührten.193
_____________________________
192
“Hobbyforscher liefert Zeugen für Tiefflieger”.
193
Kit C. Carter/Robert Mueller: The Army Air Forces in World War II.
ComBArcht Chronology 1941 – 1945, Washington 1973, S. 571.
50
Die 8. Air Force
war eine strategische Luftstreitkraft der Alliierten, die in der
Tiefe des deutschen Luftraums operierte. Ihr waren insgesamt 15
Fighter Groups unterstellt. Alle waren am 14. Februar 1945 zum
Begleitschutz der Bomber kommandiert und zwar:
die 20., 356.,
359., 364. und 352. FG zur 1. Air Division (Ziel: Dresden);
die 78., 339.,
353., und 357. FG zur 3. Air Division (Ziel Chemnitz);
die 355., 55.,
479., 4., 361. und 56. FG zur 2. Air Division (Ziel Magdeburg).194
Damit scheiden
die Fighter Groups der 8. Air Force für Tiefangriffe am Vormittag in
Dresden aus. Da diese erst zwischen 09.40 Uhr und 10.44 Uhr in
England gestartet sind, können sie zudem nicht zwischen 10.00 Uhr
und 11.00 Uhr über Dresden gewesen sein.195
Die drei anderen
Air Forces umfaßten die taktischen Luftstreitkräfte, die an der
Westfront die alliierten Bodentruppen während des gesamten
Tageslichtes direkt unterstützten und das Hinterland der Westfront
von seinen rückwärtigen Verbindungen abzuriegeln hatten.196
Nach Lage der Dinge kommen nur noch ihre Fighter Groups für die
Vermutung Bürgels über vormittägliche Tiefangriffe „unabhängiger
Jagdbomberstaffeln“ in Betracht.
Zur 2nd
TAF gehörten u. a. die folgenden Jagdverbände: 83. und 84.
Group mit insgesamt 52 Jagdstaffeln (Squadrons). Jede bestand aus
bis zu 16 Maschinen. Sie flogen die verschiedensten Versionen der
Typen Mustang, Spitfire, Tempest, Typhoon sowie Mosquito in der
Jagdbomberversion.197 Zu dieser Air Force gehörten auch
polnische, tschechische, niederländische, französische, norwegische,
belgische und kanadische Squadrons. Das Operationsgebiet der 2. TAF
war auf dem linken, britischen Flügel der alliierten
Expeditionsstreitkräfte, also über dem Niederrhein, Westfalen, den
Niederlanden und Nordwestdeutschland.
Aus den Angaben
von Koordinaten und Zielräumen in den Daily Logs der 2. TAF ergibt
sich für den 14. Februar 1945,198
daß ihre Jäger und Jagdbomber bei Ihren Einsätzen in bewaffneter
Aufklärung die Linie Bremen – Braunschweig – Kassel nach Osten nicht
überflogen haben, mit anderen Worten, sie blieben in der Luftlinie
ca. 250 bis 300 Kilometer von Dresden entfernt. Dabei ist
festzuhalten, daß diese äußerste Grenze von der weit überwiegenden
Mehrheit der Verbände nicht erreicht wurde, weil sie als taktische
Einheiten in Frontnähe eingesetzt waren.
Die 2. TAF
verfügte über P-51s im übrigen nur noch in der 268.
(Aufklärungs)Squadron mit Anfangsmodellen dieses Typs. Sie waren
praktisch veraltet und flogen am 14. Februar 1945 vormittags
taktische, d. h. frontnahe Aufklärung, Artillerie- und
Photo-Aufklärung zwischen 07.38 Uhr und 13.27 Uhr.199
Flugzeuge der 2.
TAF scheiden damit für Tiefangriffe am Vormittag des 14. Februar
1945 aus.
Die 9. Air Force
war den amerikanischen Bodentruppen der 1., 9. und 3. US Army
zugeteilt und besaß 17 Fighter Groups. Deren Flugzeugbestand umfaßte
im Februar 1945 durchweg P-47 Thunderbolt, ein Flugzeugmuster, das
ursprünglich auch für den Begleitschutz der strategischen Bomber
der 8. AF eingesetzt, aber aus dieser Aufgabe im Februar
1945
___________________________
194
Plan „B“ to F.O. 1622A, 14/0210 Feb 45 (AFHRA Microfilm B 5018).
195
Fighter Advanced Information Operation No. 830 Field Order 1622A
(AFHRA Microfilm B 5018).
196
In der Miltärsprache der alliierten Air Forces als “Interdiction”
bezeichnet.
197
Christopher F. Shores: 2nd TAF, Reading 1970, S. 281 ff.; Order of
BArchttle 2nd TAF, Mitte Februar 1945, in: Gerrit J. Zwanenburg: En
nooit was het still. Kroenik van een luchtorlog. Aanvallen op doelen
in Nederland, Deel 2: 1 juni 1943 - 9 mei 1945, Koninklijke
Luchtmacht/Bureau Drukwerk en Formulierenbeheer DMKLu, 1993, S. 47f.
198
2nd TAF, Daily Logs (National Archives at Kew, Air 37/718).
Ich danke Gerrit
Zwanenburg, Barn/Niederlande
dafür, dass er die
entsprechenden Daten zur Verfügung gestellt hat.
199
Order of BArchttle; Daily Logs, 14. Februar 1945.
51
bereits
zurückgezogen war. Zwei Fighter Groups der 9. AF flogen noch mit
P-38 Lightning. In der 9. AF flog nur die 354. Fighter Group mit
P-51.200
Das
Operationsgebiet der 9. Air Force reichte vom Niederrhein bis zum
Elsaß. Ihren Jagdbombern wäre am ehesten ein Unternehmen, wie es
Bürgel
vorschwebt, zuzutrauen.
Die Revision der
Summaries of Operations der 9. Air Force ergibt, daß sie am 14.
Februar die Linie Siegen – Frankfurt – Stuttgart nicht nach Osten
überflogen haben.201
Aufschlußreich
sind zum anderen auch die dort angegebenen Einsatzzeiten für den
Vormittag des 14. Februar 1945. Zugrunde zu legen ist dabei eine
durchschnittliche Entfernung der Flugplätze dieser Jagdverbände von
Dresden. Sie lagen in Nordostfrankreich und Südbelgien, von Dresden
ungefähr 650 -700 Kilometer in der Luftlinie entfernt. Für den Hin-
und Rückflug hätten die Jagdbomber (mit Zusatztanks!) bei einer
Reisegeschwindigkeit von durchschnittlich 400 km/h ca. vier bis fünf
Stunden Flugzeit gebraucht.202
Der längste Einsatzflug der Jagdbomber der 9. Air Force am Vormittag
des 14. Februar 1945 dauerte dagegen mit 12 P-38 Lightning der 367.
FG nur drei Stunden und 7 Minuten. Er begann um 09.38 Uhr und endete
um 12.45 Uhr.
Die P-51 der 354.
FG waren am 14. Februar 1945 nicht im Einsatz.203
Damit kommen auch
die Jagdbomber der 9. AF für ein Tiefangriffsunternehmen gegen die
Dresdner Zivilbevölkerung nicht in Betracht.
Den rechten
Flügel der alliierten Expeditionsstreitkräfte bildeten die
amerikanische 7. Army und die französische 1. Armée. Ihnen war seit
Dezember 1944 die amerikanisch- französische First Tactical Air
Force (Provisional) unterstellt. Operativ unterstand sie der
Kontrolle der 9. AF und die Jagdbomberkomponente dieser Air Force
bestand aus sechs amerikanischen und vier französischen Fighter
Groups. Ihr Einsatzraum war die Pfalz, Baden, Württemberg und
teilweise Bayern.204
Ihre Einsätze,
und zwar die der amerikanischen wie auch der französischen Fighter
Groups, führten am 14. Februar 1945 nach Osten nicht über die Linie
Koblenz – Frankfurt – Ulm hinaus. Die längste Einsatzdauer betrug
bei den amerikanischen Fighter Groups für einen Verband der 358. FG
2 Stunden, 55 Minuten. Es ergibt sich damit der gleiche Befund wie
für die anderen taktischen Air Forces.205
Bei den
taktischen Jagdbombergruppen der französischen Armée de l’Air in der
1st Tactical Air Force war der erste Start um 10.45 Uhr, was
bedeutet, daß auch von diesen Einheiten keine zwischen 10.00 Uhr und
11.00 Uhr über Dresden hätte sein können.206
Die
amerikanischen und französischen Verbände der 1. Tactical Air Force
(Provisional) verfügten im übrigen über keine Verbände mit P-51
Mustang.207
____________________________
200
Zu
dieser Air Force: Kenn C. Rust: The 9th Air Force in World War II,
Revised Second Printing, Fallbrook/California 1970; John F. Hamlin:
Support and Strike. A concise History of the Ninth Air Force in
Europe, Peterborough 1991; Helmut Schnatz: Die vergessene Air Force.
Einsätze
der 9. amerikanischen Luftflotte im Mittelrhein- und Moselraum im
zweiten Weltkrieg. In: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte
27.
Jg.
2001.
201
Ninth Air Force Summary of Operations No 45, 14 Februar 1945 (NA at
College Park, RG 243, Records of the USSBS, Entry 25, file 2. f. (5)
).
202
Spezifikationen für die P-47 D nach Roger A. Freeman: Mighty Eighth
War Manual, London 1984, S. 191.
203
Summary of Operations No 45, (NA at College Park, RG 243, Entry 25,
file 2. f. (5) ).
204
Hierzu Victor C. Tannehill: First Tactical Air Force in World War
II.
Arvada/Colorado 1998.
205
Email von Hubert Bläsi, Heilbronn, 2. April 2007, dem ich für die
Aufstellung der Einsatzzeiten und -räume zu danken habe.
Die
Angaben sind entnommen aus, Mission Reports of 50th, 324th, 358th
Fighter Groups, XII TAC, 1st TACAF
(AFHRA
Microfilm A-6354).
206
Daniel Decot : Pilotes francais sur l’Alsace et l’Allemagne, Paris
1990, S. 352 ff.
207
Tannehill, First Tactical Air Force S. 147; Decot, Pilotes francais,
S. 677.
52
Hauptaufgabe des
Fighter Command der RAF war die Luftverteidigung der britischen
Insel. Ab Mitte Januar 1945 wurden verschiedene Squadrons dieses
Command auf P-51 Mustang III umgerüstet und zwar die 64., 118.,
122., 126., 129. und die 165.
Zu den Aufgaben
dieser Squadrons gehörten auch Einsätze als long-range escort für
die Viermotorigen des Bomber Command, das zu diesem Zeitpunkt
begann, Angriffe gegen Ziele in Deutschland nun auch am Tag zu
fliegen. Allerdings drangen sie damit nicht bis zur Elbe vor.
Am 14. Februar
1945 waren die Ziele des Bomber Command die Eisenbahnviadukte in
Bielefeld-Schildesche und Altenbeken bei Bad Lippspringe. Der
Einsatz wurde aber wegen des ungünstigen Wetters abgebrochen und die
britischen Verbände kehrten unverrichteter Dinge wieder um.208
Auch diese
Einheiten, die am entgegengesetzten Ende des Reiches operierten,
kommen demnach für Tiefangriffe in Dresden nicht in Betracht.
Festzuhalten ist
demnach, daß keiner der westalliierten taktischen Großverbände,
Jagdflugzeuge im üblichen „Daily Strafing“, in „Long Range Patrols“
oder „Scouting Missions“,
wie Bürgel sich
ausdrückt, über Dresden im Einsatz gehabt hat.209
Eine Rolle als
Jagdbomber hätten die taktischen alliierten Fighter Groups in
Dresden auch nicht übernehmen können. Weil ihre Reichweite für einen
Flug von Belgien, der Bourgogne und Lothringen nach Dresden nicht
ausreichte, hätten sie statt Bomben Zusatztanks mitführen müssen.
Daher wäre ihre Rolle auf den MG-Beschuß der Dresdner
Zivilbevölkerung beschränkt gewesen.
Wenn Bürgel nach
einer taktischen Jagdstaffel sucht, die für seine Version der
Tiefangriffe in Frage kommt, so müßte er konsequenterweise auch nach
einem alliierten Kommandeur der taktischen Luftstreitkräfte suchen,
der, lediglich auf die vage Chance hin, einige Zivilisten im
Tiefflug beschießen zu können, einige wenige Flugzeuge an ein
Hunderte von Kilometern entferntes Ziel in unbekannter Topographie
geschickt hat, über das er für eine Einsatzbesprechung seiner
Besatzungen keine aktuellen Informationen besaß und von dem er
bestenfalls wußte, daß dort nach einem unmittelbar vorangegangenen
schweren Flächenangriff wahrscheinlich mit starken Verqualmungen und
somit schweren Sichtbehinderungen, also schlechtesten
Einsatzbedingungen zu rechnen war. Mit anderen Worten, ein solches
Unternehmen wäre nicht nur vom Aufwand her unsinnig, sondern nicht
einmal erfolgversprechend gewesen. Dafür setzt ein Kommandeur seine
wertvollen Flugzeuge und Besatzungen nicht aufs Spiel.
Interessanterweise gab es für den 15. Februar 1945 bei der 8. Air
Force einen Plan „Smudgepot“ (Schmierpott), der Bürgels Überlegungen
wenigstens nahekommt. Die Primärziele dieses Tages für die Bomber
waren Hydrierwerke für synthetisches Benzin in Magdeburg, Böhlen und
Ruhland. Nach dem Einsatzbefehl für dieses Unternehmen sollten
P-47 Thunderbolt der 56. FG ungefähr 45 Minuten vor dem Eintreffen
der Bomberverbände Brände in den Zielgebieten verursachen.210
Die 4. und die 353. FG sollten hierbei Höhenschutz geben.
Gedacht war, daß vier bis acht P-47 in
zwei Wellen aus Baumwipfelhöhe Öltanks in Brand schießen sollten,
die aufsteigenden Rauchwolken sollten dann den Bomberbesatzungen, im
Fall von Schwierigkeiten bei der Identifizierung der Ziele, deren
Erkennung erleichtern.
211
______________________________
208
Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force, Air Staff, Summary
of Operations 24 hours ending Sunset th 14 February, 1945, No 121
(AFHRA Microfilm B 5693)
209
Autor hat diesen Befund Bürgel bereits in knapper Form am 26. März
2007 mitgeteilt,
indessen interessierte er sich nicht weiter für diese
grundlegenden Fakten.
210
Field Order 1628, 15 Feb., 1945 (AFHRA Microfilm B 5018).
211
3rd Air Division Field Order No. 584 (AFHRA Microfilm B 5018).
53
Kurz vor Beginn
der Operation wurde das Unternehmen „Smudgepot“ jedoch abgesagt und
die Fighter Groups übernahmen statt dessen normale
Begleitschutzaufgaben.212
Es ist zu vermuten, daß den Operationsoffizieren das
Tiefflug-Unternehmen über den großen, stark flakgeschützten
Werk-Komplexen doch zu heikel erschien.
Ergänzend folgt
nunmehr eine Betrachtung
der neuen Theorie
von Tiefangriffen Vormittag aus deutscher Perspektive.
Zunächst ist
festzuhalten, daß die deutsche Luftraumüberwachung und der
Flugmeldedienst über und in Mittel- und Ostdeutschland im Februar
1945 noch intakt war. Selbst einzelne Flugzeuge wurden erfaßt und
ihr Flugweg verfolgt.213
Auch das Warnsystem war in Mittel- und Ostdeutschland noch
funktionsfähig. Im Unterschied dazu war über Westdeutschland der
alliierte Flugbetrieb so intensiv, daß der Flugmeldedienst hier mit
rechtzeitigen Durchgaben meistens nicht mehr nachkam, und es
herrschte hier praktisch Daueralarm.
Für einen Anflug
nach Dresden hätte eine von den „Bomberverbänden unabhängige
Jagdstaffel“, wie erwähnt, jedoch das Reichsgebiet über mehrere
hundert Kilometer im Hin- und Rückflug überqueren müssen. Selbst
bei einem Überlandflug in niedriger Höhe wäre der Verband sehr
bald von der Auge- und Ohr-Beobachtung der Flugmeldestellen und den
deutschen Funkmeßgeräten (Radar) aufgefaßt und verfolgt worden und
es hätte nach den geltenden Alarmvorschriften entlang seinem
Einflugweg alarmiert werden müssen. Nach Lage der Dinge also
zwischen 08.00 Uhr und 11.30 Uhr.
Die weiträumige
Luftlage ist in der Luftschutzwarnstelle von Langenberg/Gera
sorgfältig aufgenommen und schriftlich dokumentiert worden.214
Deren Luftwarnjournal hat die Zeitläufte glücklicherweise
überstanden und ist eine äußerst wichtige deutsche Geschichtsquelle
für den Luftkrieg im mitteldeutschen Raum.
Demnach wurde am
14. 2. 45 um 03.46 Uhr in Gera der Warnbefehl
„Verdunkelungserleichterung“ gegeben und es gingen in der Warnstelle
keine Meldungen mehr ein bis zum Vormittag. Dann wurden um 10.30
Uhr einfliegende Bomberverbände mit Spitze bei Bad Wildungen und
der Abflug dieser Verbände nach Westen um 11.12 Uhr gemeldet.215
Um 11.19 Uhr
wurden erneut einfliegende Bomberverbände über Gronau und Münster
angesagt, dies waren die amerikanischen schweren Bomberverbände,
die Dresden und Ziele in Chemnitz und Magdeburg angreifen sollten.216
Sie wurden in den fortlaufenden Luftlagemeldungen kontinuierlich
verfolgt.
Um 11.44 Uhr
wurde in Gera Öffentliche Luftwarnung gegeben, um 11.46 Uhr und
11.47 Uhr, also nach der von Bürgel angegebenen Zeit der
Tiefangriffe in Dresden, wurden jeweils ein Jagdverband bei
Lichtenfels und Zella-Mehlis gemeldet.217
Das war der vorausfliegende Weitschutz für die Bomber.
Um 12.01 Uhr
werden erstmals Flugzeuge über Gera erwähnt., um 12.03 Uhr ein
Bomberverband südlich Plauen mit Ostkurs.
218
____________________________________
212
Fernschreiben der 8. Air Force von 07.55 Uhr, 15. Februar 1945. Die
Kopfzeile des Dokuments ist leider durch Ausriß beschädigt und
seine Kennzeichnung unleserlich (AFHRA Microfilm B 5018)
213
Dies geht aus den erhaltenen Luftlagemeldungen eindeutig hervor.
214
Gemeinde Langenberg, Luftwarnjournal 1944-45 (Stadtarchiv Gera, III
D/1 1139). Die Luftlagemeldungen und Warnbefehle für die Zeit vom
13. 2. 45, 20.04 Uhr bis 14. 2. 45, 15.58 Uhr vollständig abgedruckt
in: Helmut Schnatz: Tiefflieger über Dresden? Legenden und
Wirklichkeit, Köln 2000, S. 167 ff.
215
14. 2. 45, W(arn)B(efehl) 3.46 und L(uftlage)m(eldung) 1 und Lm 10,
ebd.
216
14. 2. 45, Lm 13, ebd.
217
14. 2. 45, Lm 22 und 23, ebd.
218
14. 2. 45, Lm 33 und Lm 35, ebd.
54
Demnach war der
Luftraum über Sachsen am 14. Februar 1945 von 03.46 Uhr bis ca.
11.45
Uhr feindfrei.
Dieses
Luftlagebild wird bestätigt durch die Alarmzeiten. Nach den
Warnvorschriften war beim Einflug eines Jagdverbandes das Signal
„Öffentliche Luftwarnung“ zu geben.219
Diese hätte beim Einflug eines Jagdverbandes, der zwischen 10.00 Uhr
und 11.00 Uhr über Dresden gewesen sein soll, im ostthüringisch-vogtländisch-sächsischen Raum ca. 09.30 Uhr bis 09.50 Uhr
gegeben werden müssen, Entwarnung etwa ab 11.10 Uhr bis 11.20 Uhr.
Wie die Aufstellung zeigt, liegen die <Öffentlichen Luftwarnungen
und Fliegeralarme zeitlich aber alle nach den hypothetischen
Aufenthaltszeiten des von Bürgel postulierten „unabhängigen
Jagdverbandes“ über Dresden.
Die tatsächlich
gegebenen Alarme beziehen sich dagegen eindeutig auf die später
anfliegenden US-Bomberverbände der 1. und 3. Air Division.
In Dresden war in
der Angriffsnacht um 02.15 Uhr entwarnt worden, Fliegeralarm erging
erst
wieder am 14. 2.
1945 um 12.00 Uhr. Weitere erstmalige Alarmzeiten von diesem
Vormittag:
Oelsnitz/Vogtl.
11.30 Uhr Öffentliche Luftwarnung
11.42 Uhr Fliegeralarm220
Hof
11.43 Uhr Fliegeralarm221
Reichenbach/Vogtland
11.30 Uhr Fliegeralarm222
Auerbach/Vogtland
11.38 Öffentliche Luftwarnung223
Plauen
11.42 Uhr Fliegeralarm
11.38 Öffentliche Luftwarnung224
Chemnitz
11.42 Uhr Fliegeralarm
11.45 Uhr
Fliegeralarm225
Die
Luftlagemeldungen der Warndienststelle Langenberg sowie die
Alarmzeiten von Gera, Dresden, Oelsnitz/Vogtl., Hof,
Reichenbach/Vogtl., Auerbach/Vogtl., Plauen und Chemnitz belegen als
deutsche Quellen eindeutig, daß der Luftraum Dresdens bis zum Beginn
des Bombenangriffs um 12.17 Uhr feindfrei gewesen ist.
Mit anderen
Worten: deutsche, britische und amerikanische Dokumente aus den
verschiedensten Provenienzen ergänzen und bestätigen sich
gegenseitig und unabhängig voneinander in der Aussage, daß es am
Vormittag des 14. Februar 1945 zwischen 09.00 Uhr und 12.17 Uhr
keine britischen oder amerikanischen Flugzeuge über Dresden gegeben
hat. Damit kann es am Vormittag des 14. Februar 1945 entgegen der
Behauptung
Bürgels auch keine Tiefangriffe gegeben haben. Die
Wahrnehmungen der Augenzeugen müssen daher auf andere Weise erklärt
werden.
Damit erledigt
sich auch, abgesehen von den technischen Möglichkeiten, die Frage,
ob es nicht am Nachmittag „unabhängige Staffeln über Dresden“
gegeben haben kann. Nach
der Entwarnung um 12.45 Uhr gab es den nächsten Alarm erst wieder um
20.25 Uhr.
Die vielen
Zeugenaussagen über Tiefangriffe, um die Bürgel sich bemüht hat,
veranlaßten ihn, dem Verfasser gegenüber „einen
Qualitätsumschlag in der wissenschaftlichen
_____________________________
219
Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda -
Interministerieller Luftkriegsschädenausschuß, LK- Mitteilung Nr.
125, 15. 5. 44, (BArch R55/447).
220
Teppich und Heimatmuseum „Schloß Voigtsberg“ an Stadtverwaltung
Oelsnitz/Vogtland vom 12. 04. 1996, weitergeleitet an Verf.
221
Luftwarnmeldungen der Luftwarnzentrale Hof, Stadtarchiv Hof vom 16.
4. 1996 an Verf.
222
Stadtverwaltung Reichenbach/Vogtl. vom 11. 04. 1996 an Verf.
223
Wachdienstplan der Schutzpolizei-Dienstabteilung Auerbach vom 01.
01. bis 30. 06. 1945, (StA Auerbach Abt. III).
224
Ebd.
225
Stadtarchiv Chemnitz vom 20. 03. 1996 an Verf.
55
Betrachtungsweise“ zu fordern.226
Gemeint ist offenbar, daß die Quantität der „vielen Gleichen und
voneinander unabhängigen ‚Truggespinste’ <ironisch, gemeint:
Tieffliegerwahrnehmungen> von Zeitzeugen“ in die Qualität der
Aussage umschlagen müßte, daß es, unabhängig von
entgegenstehenden, wissenschaftlich nachprüfbaren Fakten,
Tiefangriffe wenigstens am Vormittag des 14. Februar 1945 in
Dresden gegeben hat.
Dazu ist folgendes zu sagen:
1. Bürgels
Gedankengang ist offensichtlich folgender: unbestreitbares Faktum
ist, daß in Dresden Tiefangriffe stattgefunden haben. Beweis dafür
sind „Tausende, und heute immer noch Hunderte von Zeitzeugen“. Weil
die Zeitzeugen so aussagen, muß es also die Tiefangriffe gegeben
haben –
ein echter Zirkelschluß. Diesen mit zu vollziehen postuliert
allerdings den Ausschluß aller übrigen zeitgenössischen Quellen
und die Preisgabe aller bisher gewonnenen quellengestützten
Erkenntnisse.227
2.
Wem ist im Zweifelsfall der Vorzug zu geben? Den
Zeitzeugen, deren Wahrnehmungen, Erinnerungen und Interpretation der
Erlebnisse in mehr als einem halben Jahrhundert einer Vielzahl von
Eindrücken, Beeinflussungen, Überlagerungen, Erinnerungslücken,
Trübungen, Anlagerungen von Topoi unterlagen und noch unterliegen?
Oder der Menge der Dokumente aller Seiten, die unabhängig
voneinander und an den verschiedensten Orten während der
Geschehnisse entstanden sind, sich in ihrem Informationsgehalt
seitdem nicht mehr verändert haben und technischen und
naturwissenschaftlichen Bedingungen, die nicht veränderbar sind?
3.
Es ist nicht
einzusehen, warum von den Zeitzeugen nicht akzeptiert werden kann,
was an anderer Stelle in diesem Beitrag ausgeführt wurde, daß
nämlich die Tiefangriffe sich zwanglos mit zweifelsfrei
stattgehabten und auch eindeutig belegbaren Luftgefechten erklären,
einschließlich dabei eingetretener möglicher Todes- und
Verwundungsfälle am Boden durch dabei abgefeuerte MG-Salven aus
einer Überhöhung. Die andere plausible Erklärung wäre die
Übertragung von Tiefangriffserlebnissen
aus den Tagen des April 1945,
als der Raum Chemnitz-Dresden Frontgebiet war, auf den 14. Februar
1945.
Schließlich ist
noch darauf hinzuweisen,
daß Bürgel den
Eindruck erweckt, von ihm gesammelten Zeugenaussagen recht
unkritisch gegenüberzustehen. So kam ihm die
Idee zu den vormittäglichen Tiefangriffen „bei der
Aussage eines Zeitzeugen, der vormittags zwischen 10 und 11 Uhr an
den Elbwiesen von Tieffliegern durch einen Streifschuß am
Oberschenkel verletzt wurde und dann mit einem Militär-LKW bis
Riesa mitgenommen wurde, wo er Mittags angekommen war und dort die
Bomberstaffeln Richtung Dresden ziehen sah.“228
Eine Aussage, die
zunächst plausibel klingt. Bei näherer Betrachtung kommen allerdings
Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussagen auf: Man kann davon
ausgehen, daß der Zeuge auf dem LKW günstigstenfalls ca. 11.15 Uhr
aufsitzen konnte. Zu diesem Zeitpunkt brannte Dresden noch überall,
die Straßen waren mit Trümmern übersät und noch nicht freigeräumt,
wahrscheinlich auch durch Bombentrichter zusätzlich
schwer passierbar. Schneller als im Schritt konnte das
Fahrzeug vorsichtig bis zur Grenze des bombardierten Areals nicht
fahren. Das waren ca. zwei Kilometer, Zeitbedarf mindestens eine
halbe Stunde, wahrscheinlich aber mehr. Demnach wäre der LKW um
11.45 Uhr immer noch im Stadtbereich Dresden gewesen. Ab etwa 12.00
Uhr, d. h. etwa eine Viertelstunde später will der Zeuge bereits von
Riesa aus die anfliegenden Bomber beobachtet haben.
______________________________
226 Siehe
Vortragsmanuskript.
227
Seinen nur auf Augenzeugenberichten basierten Gedankengang hat
Bürgel inzwischen einem größeren Publikum zugänglich gemacht in:
Wolfgang Schaarschmidt, Dresden 1945. Daten, Fakten, Opfer. Völlig
überarbeitete und aktualisierte Neuauflage Graz 2010, VII. Anhang.
228
So im Vortragsmanuskript.
56
Von der
Stadtgrenze Dresden sind es bis Riesa linkselbisch ca. 55 Kilometer
mit Ortsdurchfahrten durch kleine Orte. Wahrscheinlich waren die
Reichsstraßen 6 und 169 damals auch gepflastert und noch nicht
asphaltiert, also nicht schnell befahrbar. Nach der Darstellung des
Zeugen müßte der LKW die Strecke von Dresden bis Riesa jedenfalls
mit ca.120 km/h gefahren sein, was ein Ding der Unmöglichkeit ist,
schon allein, weil die Lastfahrzeuge der Kriegszeit schneller als 80
km/h nicht fuhren, bei Tieffliegergefahr zudem langsam gefahren
werden mußte, um allen Passagieren ein schnelles Aussteigen möglich
zu machen. Wesentlich wäre in diesem Zusammenhang auch zu wissen, ob
es sich um ein Fahrzeug gehandelt hat, das mit Diesel oder mit
Holzgas betrieben wurde.
Von Riesa aus
will der Zeitzeuge dann die Bomberstaffeln nach Dresden haben
fliegen sehen. Das bedeutet, daß er die Verbände über eine
Entfernung von etwa 40 Kilometer (in der Luftlinie) optisch
wahrgenommen haben will, und das bei einer geschlossenen
Wolkendecke!
Konfrontiert mit
diesen Überlegungen, korrigierten der Zeitzeuge
und Bürgel
in einer Email an den Verfasser nun die Abfahrtszeit aus Dresden
„nach Gefühl“ auf 10.45 Uhr. Damit verschiebt sich allerdings der
behauptete Zeitraum für Tiefangriffe nochmals weiter in die frühen
Vormittagsstunden zurück, also auf etwa 09.30 Uhr bis 10.30 Uhr. An
der Unmöglichkeit der Zeitstellung für einen Einsatz der alliierten
taktischen Jagdkräfte ändert dies allerdings nichts.
Als Fahrtstrecke
im Stadtgebiet Dresden geben der angeführte Zeitzeuge und Bürgel
jetzt an: Schillerplatz – Blaues Wunder – Körnerplatz – Bautzener
Straße – Albert-Platz - Königsbrücker Straße – Leipziger Straße. Von
hier konnte die Fahrt über die Autobahnbrücke dann linkselbisch über
Meissen nach Riesa zeitlich so weitergehen, daß eine Ankunft gegen
12.00 Uhr in Riesa im Bereich des Möglichen liegt.
Zu den von dem
Zeugen dann
angeblich beobachteten, nach Dresden fliegenden Verbänden
lautet die Aussage jetzt: „Die Beobachtung der Bomberstaffeln, in
östliche <!> Richtung fliegend, erfolgte ‚kurz vor’ Riesa. Die
geschätzte Höhenangabe laut Hofmann: 4000 m. Entsprechend des
Luftwarnjournals Langenberg (Lm 54 vom 14. 2. 45) kreisten um 12.36
Uhr Bomberverbände im Raum Riesa.“229
Wenn der Zeuge dort wirklich durch eine Bewölkung von 8-9/10
Bedeckung Flugzeuge gesehen haben sollte, können dies nur in kleinen
Wolkenlücken Kondensstreifen der 10 B-17 der B-Squadron, 303. BG
gewesen sein, die, aus südöstlicher Richtung kommend, Dresden nach
einem zweiten Anflug um 12.31 Uhr bombardiert hatten und in Richtung
Meißen abflogen, dann mit südwestlichem Kurs Anschluß an den
Bomberstrom über dem Erzgebirge suchten. Ihre Höhe war etwa 8 000
Meter.230
Es verwundert jedenfalls, daß
Bürgel an den Zeugen nicht die gleichen rigiden Maßstäbe der Kritik
angelegt hat, wie er das bei den Quellen seiner Kontrahenten zu tun
pflegt und daß er seine
Vormittagstheorie auf so
vage Aussagen begründet.
Dem gegenüber
steht jedenfalls die Aussage des Dresdners Michael Schnieber, der
die Angriffe miterlebt hatte: „Auf dem Weg <am Vormittag des 14.
Februar 1945> vom zerstörten Elternhaus (in der
Eisenstuckstraße/Südvorstadt) nach Rochwitz im Nordosten der Stadt
haben wir zwar den Großen Garten und die Elbwiesen umgangen. Aber
immer hatten wir von der Südhöhe und mit dem Ziel ‚Blaues Wunder’
die Stadt im Blickfeld. Auf dem stundenlangen Fußmarsch zur Elbe
hatten wir keinerlei Flugbewegungen, geschweige denn
Tiefflieger-Angriffe oder Bordwaffen-Beschuß wahrgenommen, bevor uns
der Tagesangriff der US-Luftflotte an der Grundstraße in die
Schutzräume zwang.“231
Als Luftwaffenhelfer mit
__________________________
229
Schnatz,
Tiefflieger über Dresden?, S. 175. Richtig: im Raum Riesa, Bautzen,
Chemnitz, Bodenbach.
230
Ebd.
S. 110 f.; 1st AD Report of Operations 14 February 1945, Bombing
Data (AFHRA Microfilm B 5018).
231
Michael
Schnieber, Wenn ich mich recht erinnere … Geschichte und Geschichten
eines 28er’s,
Privatdruck
2008. Schnieber war Redakteur und lebt heute in
Leutkirch/Schwarzwald.
57
einschlägigen
Tiefangriffserfahrungen ist Schnieber jedenfalls ein kompetenter
Augenzeuge.
Bislang scheint
Bürgel auch keinen Erfolg gehabt zu haben, die von ihm postulierte
„unabhängige taktische“ Jagdstaffel zu identifizieren, die am
Vormittag zwischen 10.00 und 11.00 Uhr vor den Bombern über Dresden
gewesen sein soll. Genau dies ist jedoch der springende Punkt bei
der Klärung der Frage. Bei den beiden Veranstaltungen der
Kommission zur Ermittlung der Totenzahlen auf dem Historikertag in
Dresden am 1. Oktober 2008 hat er es jedenfalls hierzu keine
Erklärung abgegeben. Auch auf dem Geschichtsmarkt am 28. und 29.
März 2009 war dies so.
Ein Satz gleich
zu Beginn seines Vortrages vom 17. März 2007 ist allerdings
aufschlußreich: „Die Lösung des Historikerstreites, zumindest der
entscheidende Lösungsansatz, kann nur aus unserer Stadt, also von
uns Dresdnern selbst kommen.“232
Mit anderen
Worten: Bürgel
nimmt für sich und die Anhänger seiner Theorie die
Deutungshoheit in Anspruch und spricht den nicht aus Dresden
stammenden oder dort nicht ansässigen Historikern schlichtweg die
Kompetenz ab, fachlich begründete Urteile abzugeben. Spätestens hier
wird deutlich, daß die Frage der
angeblichen
Tiefangriffe auf Dresden für Teile der Öffentlichkeit sehr stark
den Charakter
einer Glaubensfrage hat.
Gegen
Dogmatismus ist, wie man weiß, mit Sachargumenten nicht anzukommen.
Die Menge der
Zeitzeugenaussagen über Tiefangriffe in Dresden am 14. Februar 1945
hatte bereits früher Wolfgang Schaarschmidt zu einer
Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen aus „Tiefflieger über
Dresden?“ veranlaßt233.
Ihre Qualität sei hier exemplarisch an einem Beispiel demonstriert.
So konstatiert Schaarschmidt als Einwand gegen die Aussage, daß
die Alarmzeiten in Dresden keinen zeitlichen Raum für Tiefangriffe
zuließen234:
„Der Zeitpunkt der Entwarnung in Dresden mußte nicht den Abflug
der Jäger mit umfassen <Hervorh. d. Verf.>. Die LDV 401 Ziff. 32
gibt folgende Richtlinie: ‚Bei Tage werden durch einzeln
erscheinende, als solche einwandfrei erkannte feindliche
Aufklärungsflugzeuge und Jagdverbände Warnmeldungen im allgemeinen
nicht ausgelöst’ ".235
Diese Aussage ist
erstaunlich. Schaarschmidt hat dabei übersehen, daß die Vorschrift
aus dem Vorkriegsjahr 1937 stammt236
und 1945 inzwischen durch andere, den Realitäten des Luftkrieges
entsprechende Warnvorschriften längst ersetzt war.
Die
Warnvorschriften vom 15. 5. 1944237
schreiben für Jagdverbände folgende Warnbefehle bei Rückflügen vor:
Öffentliche Luftwarnung, Entwarnung (Vorentwarnung und endgültige)
nach Überfliegung des Schutzobjektes und im übrigen, wenn das
Warngebiet feindfrei ist.
Das heißt nichts
anderes, als daß im Augenblick der sehr frühen Entwarnung sich
keine Feindflugzeuge in einer Umgebung von etwa 40 Kilometern um
Dresden befunden haben. Diese Regelung entsprach den
Gefährdungen, die, wie sich zu diesem Zeitpunkt längst
herausgestellt hatte, von alliierten Jagdverbänden ausgehen konnten.
Für den 14. Februar 1945 bedeutete das, daß die Begleitjäger
zusammen mit den Bombern abgeflogen waren.238
____________________________
232
Siehe Vortragsmanuskript, erste Seite.
233
Wolfgang Schaarschmidt: Dresden 1945. Daten – Fakten – Opfer,
München 2005, S. 53 ff.
234Tiefflieger
über Dresden?, S. 115 f.
235
Dresden 1945, S. 59.
236
LDV 401, Anweisung für den Luftschutzwarndienst im Reichsgebiet,
(Entwurf) vom 1. Februar 1935, Berlin
1937, (BArch-MArch
RLD 19/401).
237
LK-Mitteilung Nr. 125, 15. 5. 44 (BArch R55/447).
238
Schnatz, Tiefflieger über Dresden?, S. 114 ff.
58
Tiefangriffe am 15.
Februar 1945?
Gelegentlich wird
von Zeitzeugen als Datum für Tieffliegerangriffe in Dresden auch der
15. Februar 1945 genannt. Allerdings scheinen diese Aussagen eher
auf eine versehentliche Falschdatierung hinzudeuten, wie sie bei
Zeitzeugenaussagen häufig vorkommt,
aber es ist
damit zu rechnen, daß die unbeugsamen Verfechter der
Tieffliegererzählungen auf dieses Datum ausweichen werden,
wenn sich selbst in ihren Augen der 14. Februar auch mit den
unmöglichsten Konstruktionen nicht mehr halten lassen
sollte.
Deshalb sei an
dieser Stelle noch einmal kurz auf den dritten Tag der Bombardierung
Dresdens eingegangen werden.
Ziele der 8. Air
Force waren am 15. Februar die Hydrierwerke der Braunkohle-Benzin AG
(Brabag) zur Herstellung von synthetischem Benzin:
a) für die 2
Air Division in Magdeburg,
b) für die 3.
Air Division in Ruhland (Schwarzheide) zwischen Dresden und Cottbus.
(Zweitziel Cottbus, Verkehrsanlagen),
c) für die 1. Air
Division in Böhlen bei Leipzig (Zweitziel Dresden, Verkehrsanlagen).239
Die Möglichkeit
von Tiefangriffen wurde diesmal im Einsatzbefehl nicht erwähnt.
Es ist davon auszugehen, daß diese routinemäßig entlang den
Rückfugrouten geflogen werden durften.
Der Einsatz war
im übrigen nach Anlage und Durchführung ganz von der schlechten
Wetterlage her bestimmt. So konnten in England die amerikanischen
Bombardment und Fighter Groups ihre Maschinen nur zum Teil, bzw. gar
nicht in die Luft bringen. Der Jagdschutz fiel daher schwächer aus,
so wurde die 1. AD am Ende nur von drei, (der 20., der 356. und
der 359.) und die 3. AD ebenfalls nur von drei, (der 55., 353. und
der 357.) Fighter Groups geschützt.
Über
Ostdeutschland lag eine dichte Wolkendecke von 8 – 10/10 zwischen
200 und 3000 Metern,240
womit den schweren Bomberverbänden eine Bombardierung nach Sicht
verwehrt war. Ihre Einsatzführer entschlossen sich daher, die
Zweitziele durch Führung nach dem Bodenradar H2X anzugreifen.
Erschwert wurde
die Unternehmung zusätzlich durch die komplizierte Anlage der Kurse:
Die 3. AD sollte
den Bomberstrom anführen und südlich und östlich an Dresden vorbei
mit einem nordwestlichen Kurs Ruhland, die 1. AD südlich und östlich
um Chemnitz herum mit Nordwestkurs Böhlen anfliegen.
Tatsächlich bog
die 3. AD östlich Pirna nicht nach Ruhland ab, sondern nach Cottbus,
während die 1 AD über Annaberg nach Dresden eindrehte. Zwischen
11.51 Uhr und 12.26 Uhr fielen die Bombenteppiche auf Cottbus, von
11.51 Uhr bis 12.02 Uhr auf Dresden.241
Diesmal ließ hier
die Entwarnung länger auf sich warten, Der Entwarnungszeitpunkt war
12.30 Uhr. Erklärbar wird dies dadurch, daß die 1. AD diesmal zum
Abflug weiter nach Osten ausholte als am Vortag und mit südlichem,
dann westlichen Kurs abflog, was Zeit kosten mußte.242
Dazu streifte 3. AD auf ihrem Rückflug östlich an der Stadt vorbei,
diesmal mit Südkurs, das Warngebiet. Ihre letzten Maschinen
müssen gegen 12.45 Uhr einen Punkt
_____________________________
239
Field Order No 1628, 15 Feb 1945 (AFHRA Microfilm B 5018)
240
Luftwaffenführungsstab Ic, Abendmeldung vom 15. 2. 45 (BArch-MArch
RL 2/II 388).
241
Headquarters 3d Air Division, Tactical Report of Mission - Ruhland,
Wesel -15 February 1945; Headquarters
1st
Air Division, Report of Operations, Bohlen, 15 February 1945, (AFHRA
Microflim B 5018).
242
Leider ist die Flugskizze im Film schwer lesbar, sodass genaueres
über den geflogenen Kurs nicht gesagt werden kann.
59
östlich Decin
(Tetschen) passiert haben, von wo aus sie den Wendepunkt zwischen
Podborany und Rakovnik ansteuerten, den sie bis 12.55 Uhr
durchflogen hatte.243
Aus den Claims
der Jagdgruppen beider Divisionen, also den Erfolgsmeldungen, geht
folgendes hervor.
Jagdschutz der 1.
AD:
nach 13.30 Uhr
eine Lokomotive beschädigt bei Darmstadt durch die 20. FG, zerstört
drei Lokomotiven und zwei beschädigt, außerdem beschädigt zwei
Tankwagen, 26 Güterwagen und eine (Radar? Bahn?)-Station im Raum
Frankfurt – Fulda – Schweinfurt durch die 356. FG. Die 359. FG
beanspruchte keine Erfolge durch Tiefangriffe.244
Jagdschutz der 3.
AD:
Zerstört 24
Lokomotiven, ein Tankwagen, ein Radar-Turm, drei Lastwagen,
beschädigt sechs Lokomotiven, 12 Tankwagen, drei Güterwagen, eine
Station, zwei Lastwagen, ein Transformator durch die 55. FG. Erzielt
wurden die Claims im Raum Karlsbad – Eger – Kulmbach. Hart östlich
Dresden sichtete ein Flight der 55. FG eine deutsche HS 129 in 2 600
Metern Höhe und schoß sie ab.245
Die 353. FG
meldete Tiefangriffe nur mit einem Teil ihrer hierfür eingeteilten
A-Gruppe und zwar auf Verkehrsziele in den Räumen Böhm.Leipa/Niemes
und Brus/Saaz.246
Ihre Claims waren: zerstört sieben Lokomotiven, ein Tankwagen, ein
Güterwagen, beschädigt 33 Tankwagen, 10 Güterwagen, ein Boot.
Bemerkenswerterweise meldeten die Piloten dieser Group, im Raum
Böhm.Leipa/Niemes mit Hausrat beladene Fuhrwerke mit Flüchtlingen
gesichtet zu haben, wahrscheinlich kamen sie aus Schlesien. Aus der
Claims-Meldung geht nicht hervor, daß sie diese angegriffen hätten.
Die 357. FG
meldete keine Erfolge.247
Sie war allerdings auch nicht in eine A- und B-Gruppe unterteilt,
für Tiefangriffe also wohl von vornherein nicht vorgesehen.
Die 20. FG brach
ihren „Escort“-Einsatz um 13.10 Uhr nördlich Frankfurt in 9 500
Metern Höhe ab, die 356. FG um 13.50 Uhr ohne Ortsangabe in 6 600
Metern Höhe und die 359.
FG um 13.18 Uhr
bei Wiesbaden in etwa 7 000 Metern Höhe.
Die 55. Fighter
Group meldete den Abbruch des Begleitschutzes durch ihre
Tiefangriffsgruppe für 12.48 Uhr in 7 900 Meter Höhe bei Coburg.248
Die
B-Gruppe und der Rest der A-Gruppe der 353. FG beendete ihren
Begleitschutz südöstlich Koblenz um 14.00 Uhr in ca. 7 000 Metern
Höhe, die 357. FG um 14.10 Uhr nordöstlich Frankfurt, 8 000 Meter
hoch.
Der INTOPS
Summary No. 291 der 8. Air Force zum 15. Februar 1945 vermerkt zwar
zum Jagdschutz der 3. Air Division: „Strafed transportation … in
Karlsbad-Eger Area and northeast of Dresden.“249
Vermutlich hat der Berichterstatter mit der Angabe „nordöstlich
Dresden“ den Abschuß der HS 129 mitgemeint.
______________________________
243
Die Zeitpunkte ergeben sich aus den Abwurfzeiten in Cottbus, den
ungefähren Rückflugstrecken und den nach dem ursprünglichen Flugplan
vorgesehenen Abfluggeschwindigkeiten nach dem Angriff.
244
Mission Summary Reports 20th, 357th und 359th Fighter Group (AFHRA
Microfilm B 5018).
245
Mission Summary 55th Fighter Group (AFHRA Microfilm B 5018).
Die Henschel HS
129 war ein zweimotoriges Schlachtflugzeug, das die Luftwaffe an der
Ostfront einsetzte. Offenbar kehrte die Maschine von einem Einsatz
gegen die Sowjet-Armee zurück.
246
353th Fighter Group, Mission Summary Report 15 Ferbruary 1945 (AFHRA
Microfilm B 5018).
Brus ist offenbar
eine Verballhornung von Brüx.
247
Mission Summary 357th Fighter Group (AFHRA Microfilm B 5018).
248
Mission Summary Report 55 Fighter Group (AFHRA Microfilm B 5018).49
249
Intops =
Intelligence of Operations. Es handelt sich um einen
statistisch-nachrichtendienstlichen Einsatzbericht, der nach jeder
Operation erstellt wurde. Der Intops Summary No. 291 in: AFHRA
Microfilm B 5018.
60
Zusammenfassend
läßt sich sagen, daß keine der Angaben für Tiefangriffe der
amerikanischen Jäger in Dresden paßt.
Die Verfechter
der
Tiefangrifferzählungen
werden auch hier wieder vortragen, daß die amerikanischen
Einsatzakten einen völkerrechtswidrigen Angriff auf die Bevölkerung
unterdrücken, aber dem sei entgegengehalten, daß diese Behauptung
hier so wenig verfängt wie bei den
anderen genannten Daten und aus den gleichen übrigen Gründen.
Auch aus
deutscher Sicht ergibt sich der gleiche Befund. Diesmal dauerte es
vom letzten Bombenabwurf bis zur Entwarnung 28 statt 16 Minuten. Die
Luftlagemeldungen (Lm) und der Warnbefehl (W.B.) der Luftwarnstelle
Langenberg bei Gera zeigen, warum das so war.250
Vor dem
Hintergrund der Luftlageentwicklung wird man aber konstatieren, daß
auch diesmal
die Entwarnung
eher zeitig gegeben worden ist.
Lm 36
|
11.55 (Uhr)
|
… Im Raum
Dresden Bombenabwurf.
|
Lm 39
|
12.03
|
Zwischen
Freiberg u. Annaberg Bomberv(erbände) im Rückfl(ug)K(urs) W(est) u. S(üdwest)
|
Lm 42
|
12.16
|
Bomberv.
Im Abflug südl. Dresden …
|
Lm 43
|
12.19
|
Bomberv.
nordostw. Dresden K.S.W. …
|
Die
Luftlagemeldungen 36, 39 und 42 geben Flugbewegungen der 1. Air
Division wieder, Luftlagemeldung 43 solche der 3. Air Division, die
von Cottbus herunterkam. Um 12.30 Uhr wurde in Dresden entwarnt,
sodaß der Abflug der letzten Maschinen aus dem Luftraum über der
Stadt spätestens um 12.20 Uhr begonnen haben muß. Obwohl zu diesem
Zeitpunkt immer noch US-Verbände südöstlich Dresden, wenn auch knapp
außerhalb des Warngebietes auf dem Rückflug waren, hat der
Flugmelde- und der LS-Warndienst die Luftlage für das Warngebiet
Dresden offensichtlich als nicht mehr sehr bedrohlich angesehen.
Das nach den furchtbaren Erfahrungen unmittelbar nach der Zerstörung
der Stadt!
Diese
Einschätzung der Situation bestätigt auch Lm 47, zieht man die
räumliche Lage von Annaberg und Görlitz zu Dresden in Betracht.
Lm 45
|
12.26
|
…
Rückflüge von Bomberv. aus Raum Cottbus, Görlitz sind zu erwarten.
|
Lm 47
|
12.42
|
Weitere
Rückflüge von Bomberv. bei Görlitz und Annaberg K(urs)
S(üd)W(est)…
|
Lm 49
|
12.48
|
Rückwärtige Begrenzung der Rückflüge bei Aussig u.
Leitmeritz K.W.
|
Lm 53
|
13.03
|
Bei
Schwarzenberg und Comotau die letzten Verbände im Abflug K.W.
L(uftgefahr) 8.
|
W.B.
|
13.35
|
Entw(arnung)
|
Über
Tieffliegeraktivitäten im Raum Dresden berichten die
Luftlagemeldungen für den fraglichen Zeitraum nichts.
Das bedeutet: bei
einer grundsätzlich anderen und komplizierteren Luftlage legen die
deutschen Luftlagemeldungen einen zügigen Abflug von Dresden nahe.
Das heißt: auch am 15. Februar 1945: keine Tiefangriffe in Dresden.
Im übrigen
schweigen auch zum Datum des 15. Februar 1945 nicht nur die
amerikanischen sondern auch die bereits erwähnten deutschen
Unterlagen über Tiefangriffe in Dresden. Auch hier gilt abermals
die schlichte Frage: Warum ließ sich Goebbels eine solche
Gelegenheit zu einer wirkungsvollen Greuelpropaganda im In- und
Ausland entgehen?
______________________________
250
Gemeinde
Langenberg, Luftwarnjournal 1944-45 (Stadtarchiv Gera, III D/1
1139).
61
Schlußfolgerungen
Als Fazit ergibt
sich:
1. Die
vielfältigen
Behauptungen, daß alliierte Jäger systematische und
massenhafte Völkerrechtsverletzungen dadurch begangen hätten, daß
sie zahllose Einzelpersonen beschossen, getötet und verletzt hätten,
lassen sich aus der Menge der Bezüge in Akten, in
Tagebucheintragungen Goebbels’, in der Presse, in
regionalgeschichtlichen Untersuchungen und unter technischen und
naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten so nicht halten. Den
unzähligen deutschen und alliierten Luftlage- Schadens- und
Gefechtsmeldungen über Tiefangriffe auf militärisch wichtige Ziele
stehen nur wenige gegenüber, die konkret völkerrechtswidrigen
Beschuß von Zivilpersonen erwähnen.
2. Das
Unternehmen Chattanooga I am 21. Mai 1945 löste eine zügellose
Propagandakampagne des Reichsministeriums für Volksaufklärung und
Propaganda aus, bei der der Reichspropagandaminister mit unwahren
Behauptungen aus Einzelfällen eine maßlose Hetze gegen alliierte
Flieger inszenierte, um die Bevölkerung zu Lynchmorden zu animieren.
Ziel dabei war, dieser ein Ventil für die Emotionen zu öffnen, die
der einseitige Verlauf des Luftkriegs über dem Reich hatte wachsen
lassen. Das Ergebnis war eine bis heute wirksame Dämonisierung der
alliierten Jagdflieger in der Bevölkerung.
3. Wie in jeder
Armee der Welt, gab es auch in den Cockpits der alliierten
Jagdflugzeuge vereinzelte Schwarze Schafe, die ihre gesamte
Waffengattung durch völkerrechtswidrige Angriffe in Verruf brachten.
4. Viele
Einzelpersonen, die durch Tieffliegerbeschuß zu Schaden kamen,
wurden dies, weil sie in den Beschuß von legitimen Zielen
gerieten. In den amerikanischen Mission Summaries der Jagdgruppen
wird z. B. immer wieder der Beschuß von Leitungen der
Stromversorgung, von Schalt- und Radarstationen erwähnt. Daß
hierbei z. B. Bauern bei der Feldarbeit ins Feuer geraten konnten,
ist leicht einsehbar.
5. Tiefangriffe
in Dresden am 13. und 14. Februar 1945 müßten sich irgendwo in den
deutschen Akten niedergeschlagen haben. Aus dem Mosaik der deutschen
Unterlagen verschiedenster Provenienzen lassen sich aber keine
belastbaren Belege dafür finden, daß sie stattgefunden haben. Es
gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, daß sie von den Alliierten, als
sie sich teilweise in deren Gewahrsam befanden, nach dem Krieg
„bereinigt“ worden sind. Auch die zeitgenössische NS-Presse hat
nach der Kampagne im Zusammenhang mit dem 21. Mai 1944 keine
weiteren Berichte über Tiefangriffe auf Zivilpersonen im
Reichsgebiet veröffentlicht.
6. Die deutschen
Polizeidienststellen erhielten nach dem 21. Mai 1944 zwar
Anweisungen, u. a. auf direktes Betreiben von Himmler,
völkerrechtswidrige Tiefangriffe auf zivile Ziele, gegebenenfalls
unter Vereidigung der Zeugen, zu protokollieren. Dies zu Zwecken der
Propaganda und für diplomatische Proteste bei den Kriegsgegnern über
die Schutzmacht Schweiz. Bezeichnenderweise hat es zwar zwei
deutsche Protestnoten wegen Beschießungen von
Rot-Kreuz-Einrichtungen der Wehrmacht gegeben, aber keine wegen
Tiefangriffen auf Nichtkombattanten. Offenbar reichte das
Material sowohl allgemein als auch speziell im Fall Dresden
nicht aus. Die Goebbels’sche Auslandspropaganda schweigt zu
Tiefangriffen in Dresden.
7. Die
systematische Nachsuche nach verschossener Bordwaffenmunition durch
eine Projektgruppe des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in
Dresden auf durch Zeugenaussagen ermittelten Verdachtsflächen
erbrachte kein Ergebnis.
62
8. Zu den
Vorgängen in Dresden am 14. Februar 1945 gibt es Augenzeugen, die
Flugzeuge mit Bordwaffenbeschuß wahrgenommen, solche die Flugzeuge,
aber keinen Bordwaffenbeschuß bemerkt und solche, die keine
Flugzeuge gesehen haben wollen. Dieser Befund ist nur erklärbar mit
einem
blitzschnellen Überflug. Das ist die Situation eines
Luftkampfs mit einer Verfolgungsjagd dicht über dem Boden.
Feuerstöße in solchen Situationen dauerten eine bis drei Sekunden,
konnten wegen der zeitlichen Kürze gehört und überhört werden. Durch
fehlgegangene Geschosse und ausgeworfene Geschoßhülsen kann es dabei
einzelne Tote und Verletzte gegeben haben.
9. Die erneute
Zusammenstellung von zahlreichen deutschen Personal- und
Materialverlusten bei den Luftkämpfen am 14. Februar 1945 und
deren Kartierung bestärkt die
zwanglose
Erklärung der angeblichen Tiefangriffe
in Dresden als
Wahrnehmung und
Fehldeutung von Luftkämpfen zwischen amerikanischen und
deutschen Jagdflugzeugen durch Zeitzeugen.
10. Die neu in
Dresden aufgetauchte und verbreitete Version, die
angeblichen
Tiefangriffe hätten nicht nach dem amerikanischen Hochangriff nach
12.00 Uhr, sondern bereits am Vormittag des 14. Februar zwischen
10.00 Uhr und 11.00 Uhr stattgefunden, erweist sich als tatsächlich
unhaltbare
Konstruktion
mit dem Ziel,
die als
unverbrüchlich beanspruchte Richtigkeit der Zeitzeugenaussagen um
jeden Preis zu rechtfertigen.
11. Auch am 15.
Februar scheiden Tiefangriffe in Dresden aus Gründen der
Auftragslage,
der
Zeitstellung und der Wetterlage aus.
12. Zwischen dem
13. und 20. April 1945 fand im Raum Dresden - Meißen – Chemnitz
eine intensive Tätigkeit der Jagdbomberverbände des XIX Tactical Air
Command, 9. US-Air Force statt, die selbst Stadtgebiet von Dresden
berührten (siehe Anhang 6). Es ist nicht auszuschließen, daß
Augenzeugen diese in den Jahren nach dem Krieg auf die
Bombenangriffe des 13. und 14. Februar 1945 übertrugen.
13. Die
Erzählungen von
Tiefangriffen in Dresden sind der Sache nach aber auch ein
Nachhall der
intensiven einschlägigen Goebbels’schen Kriegspropaganda im
Kalten Krieg nach 1945.
14. Das
individuelle und kollektive Gedächtnis der Betroffenen ist keine
statische, sondern eine dynamische Größe, die sich fortwährend
verändert und die Fähigkeit hat, Wahrnehmungen aus Erzählungen
anderer, Presseberichten, Filmszenen, Fernsehsendungen u.a. als
eigene, zeitgenössische zu integrieren und für
unumstößlich
wahr zu halten.
Damit sind
die Verfechter
der Tieffliegererzählungen in Dresden nicht als Lügner
entlarvt. Das muß betont werden. Sie berichten das, was sie
subjektiv für
wahr halten, wie sie Erlebnisse aus ihrem individuellen
Wissensstand heraus interpretiert haben und noch interpretieren und
verarbeiten. Eine vorsätzlich Irreführung ihrer Zuhörer
intendieren sie sicher nicht, sind aber andererseits gegen eine
Überprüfung ihrer Aussagen durch Erkenntnisse aus einer Vielzahl von
Primärquellen und gegen eine Konfrontation mit Fakten aus der
Wirklichkeit des Luftkrieges
ausgesprochen
resistent.
Der vielfach auch sonst zu beobachtende Dissens zwischen Zeitzeugen
und Fachwissenschaft scheint unaufhebbar.
63
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