Zur Notwendigkeit
neuer Forschungsfragen
Weder das bekannte Ergebnis
(Schnatz/Aktenforschung) noch die
systematische Analyse mündlicher Überlieferungen (Bürgel/Oralhistorie)
- kann als alleiniges Abbild der geschichtlichen Realität gelten. Beide
Ergebnisse bedingen und ergänzen einander. Ein einseitig diktiertes
Geschichtsbild mit offensichtlichen Widersprüchen hat keinen
dauerhaften Bestand.
Solange keine
Übereinstimmung besteht oder wenigsten eine Akzeptanz der vorliegenden
"Zeugenbeweise" erkennbar ist, muß angenommen werden, daß die
archivierten "Aktenbeweise" nicht vollständig untersucht wurden
bzw. gar nicht untersucht werden konnten. Überdies ist laut Schnatz
nicht
auszuschließen,
daß anfangs massenhaft vorhandene (primäre) Dokumente der US-Amerikaner als nicht
bewahrenswert betrachtet oder später, gemäß friedensgemäßer Archivierung ausgemustert wurden und deshalb nicht mehr
verfügbar sind.
Bergander (Dresden im
Luftkrieg, S. 209), spricht vom "Fliegeralltag", in dem nicht alle
Ereignisse und Aktionen von den Jagdfliegern dokumentiert wurden.
Schnatz (Beitrag
zum Abschlußbericht der Historikerkommission März 2010, „Nachträge zum
Komplex Tiefflieger über Dresden", Seite 30)
räumt ein: „Es gibt in jeder Armee der Welt und in jedem Krieg Fälle,
in denen Soldaten sich über die anerkannten Regeln und Gebräuche der
Kriegsführung hinwegsetzen und Kriegsverbrechen begehen. Auch die
amerikanischen Streitkräfte waren im Zweiten Weltkrieg nicht frei davon.
Das heißt nicht, daß ihre gesamte Kriegsführung oder Teile ihrer
Streitkräfte pauschal kriminell gehandelt haben.“
Es ist verständlich,
daß befehlswidrige Handlungen von den Ausführenden nicht auch noch dokumentiert
wurden, zumindest aber der freie Zugriff auf solche Unterlagen verwehrt
wird.
Schnatz hatte den
Schwerpunkt seiner Untersuchungen auf die Aktenlage zu den Begleitjägern der 8. USAAF
gelegt,
die am 14.2.1945 den Mittagsangriff auf Dresden absicherten.
Leider hat Schnatz
sein
Ergebnis nicht in einen möglichen, größeren Zusammenhang eingeordnet,
sondern verabsolutiert. Das forderte Widerspruch heraus. Er fühlt sich angegriffen,
polarisiert und
polemisiert.
Es ist eine Situation entstanden, die jeder sachlich-wissenschaftlichen
Auseinandersetzung bzw. Zusammenarbeit unwürdig ist.
Die Analyse der Augenzeugenberichte führt
nun zu weiteren Forschungsfragen über
Nationalität, Herkunft und Bewaffnung jener
Flugzeuge, die am Vormittag des 14. Februar 1945 im Stadtgebiet Dresdens
beobachtet wurden.
1.)
Fragestellung zur 8. USAAF:
Quelle:
Rutgers,
USAAF-Chronology February 1945
Betreffende Textauszüge
lauten:
WEDNESDAY, 14
FEBRUARY 1945 (...)
6. 24 P-51s escort photo reconnaissance aircraft
over Germany.
7. 29 of 32 P-51s fly a scouting mission.
- Gibt es Unterlagen mit Einzelheiten über
diese Erkundungsmissionen (scouting mission)?
2.) Fragestellung zum Aktionsradius
der 15. USAAF:
Die von
Italien aus operierende 15. USAAF hatte bereits im Dezember 1944 einen
Aktionsradius, mit dem sie auch Dresden erreichen konnte. Am 25.12.1944
ist erstmals ein Bombereinsatz in Sachsen => Rosswein
verzeichnet. Es ist anzunehmen, daß an dieser Aktion auch Begleitjäger
beteiligt waren. Deren Aktionsradius ist hierbei von Interesse.
Quelle:
Rutgers,
USAAF-Chronology December 1944
Betreffende Textstelle lautet:
MEDITERRANEAN THEATER OF OPERATIONS
(MTO)
STRATEGIC OPERATIONS (Fifteenth Air Force): 253 B-17s and
B-24s hit the Brux, Czechoslovakia synthetic oil plant and main
marshalling yard at Wels, Austria; 145 others bomb marshalling yards at
Plattling and Rosswein, Germany; and in Austria, Villach, Hall,
Graz, and 2 at Innsbruck and Innsbruck AA position and rail siding; 30+
fighters escort the Brux-Wels-Rosswein-Plattling raids; other P-38s and
P-51s fly reconnaissance escort and cover Mediterranean Allied Tactical
Air Force (MATAF) B-25s on a Yugoslav supply run.
Siehe
auch Bergander, (Dresden im Luftkrieg, Seite 244)
"Am 15. März griff
erstmals die 15. Luftflotte von Italien aus in die Kampfhandlungen um
Ruhland ein. Oft war sie bis Brüx gekommen, zuletzt Ende Dez.
1944." und Seite 246:
"Als am 24. März
1945 Dresden abermals von Süden her überflogen wurde, stießen die Bomber
aus Italien bis nach Berlin vor, und nahmen die gleiche Strecke zurück."
Der
Aktionsradius der 15. USAAF läßt die Möglichkeit zu,
daß Jagdflugzeuge aus südöstlicher Richtung die Stadt
Dresden angeflogen haben. Damit wäre erklärbar, warum im
Luftwarnjournal Gera-Langenberg (Schnatz, Tiefflieger über
Dresden? S. 165 ff) dazu keine Überflüge verzeichnet sind.
(vergl. auch Stellungnahme
Schnatz zu Vormittagseinflügen)
Eine mögliche Frage, "warum ausgerechnet
Dresden (?)" muß auch der Gegenfrage Berechtigung einräumen, "warum
Roßwein (?)", Brüx ohnehin. Über Jagdflugzeuge, die sich ganz
erheblich verflogen haben, (Prag statt Dresden) kann bei Bergander
(Dresden im Luftkrieg, Seite 198 ff)
nachgelesen werden.
- Sind die Archivbestände der
15. USAAF zum 14. Februar 1945 ausgewertet worden?
3.) Fragestellung zu russischen
Tieffliegern:
Für ein Infragekommen russischer Flugzeuge für die Tiefangriffe am
Vormittag des 14. 2.45 in Dresden gibt es bisher keine greifbaren
Anhaltspunkte. Jedoch befindet sich in einem zeitnah verfaßten Brief ein
Hinweis auf (russische?) Tieffliegeraktivitäten im Vorfeld der
herannahenden Front im Großraum Dresden (Arnsdorf/ Dresdner
Heide).
(Brief vom 27.2.45,
Prof. Dr. med. Albert Fromme)
(ich danke Dr. Wolfgang Schaarschmidt für die Überlassung einer Kopie)
Ein
Gleichnis zu Dresden: Auch Schnatz verweist auf russische Tiefflieger, die in
Ostpreußen, Hinterpommern Flüchtlingstrecks auf den Straßen beschossen
haben. (Aus einer Korrespondenz vom 11.02.04 an H. Weber:)
Daß
es russische Tiefangriffe auf Trecks im Chaos des allgemeinen
Zusammenbruchs gegeben hat, ist nicht nur in Akten der Kriegsmarine
bezeugt,[1]
sondern auch aus der – katastrophalen – Situation auf den Straßen in
Ostpommern nach dem Beginn der russischen Offensive Ende Februar 1945
nachvollziehbar.
Begründete Vermutungen
betreffs Russischer Tiefflieger am 14. Februar 1945 in Dresden sind von
verschiedener Seite her geäußert worden.
Um Aktivitäten
russischer Tiefflieger abzuklären, bedarf es weiterer Fakten:
örtliche und zeitliche Einsätze russischer Tiefflieger im Februar 1945 in
Süd-Brandenburg/Ostsachsen/Niederschlesien, z.B.
Abstürze, Abschüsse, gefangene oder getötete russ. Piloten,
Luftkämpfe, Bombenabwürfe.
Erstrebenswert sind dazu weiterführende Forschungen in russischen
Archiven.
4.)
Zur Frage der
Bewaffnung:
Mehrere Dresdner
Augenzeugen erwähnen am 14. 2.1945 gleichzeitig zum Tieffliegerbeschuß
auch Bombenabwürfe.
Deren Beobachtungen beschränken sich
auf den Elbuferbereich
vom Terrassenufer bis etwa „Blaues Wunder“. Es könnte
sich dabei um einen Überflug in elbaufwärtiger Richtung gehandelt haben.
Auch ein
Heidenauer Feuerwehrmann, am 14.2.1945
in Dresden im Einsatz, beschreibt
Tiefflieger und Bombenabwurf.
Amerikanische P51
waren teilweise mit Raketen bestückt. Augenzeugen könnten Raketentreffer als „kleine Bomben“ interpretiert
haben.
Quelle:
http://www.boeing.com/
Betreffende Textstelle lautet:
Armament:
(Various models) 10 "zero rail" rockets under wings;
six .50-caliber machine
guns;
bomb racks for up to
1,000 pounds of stores or extra fuel
tanks under the wings
-
Bislang ist
im Fall Dresden zur Ausstattung von US-Langstreckenjägern der
8. bzw. 15. USAAF mit Raketen nichts bekannt?
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Schnatz zu Bürgels Forschungsbeitrag
der Erfassung und Analyse von
Augenzeugenberichten:
"Nachträge zum Komplex Tiefflieger" S. 58
Bislang scheint Bürgel auch keinen Erfolg gehabt zu haben, die von ihm
postulierte „unabhängige taktische“ Jagdstaffel zu identifizieren, die
am Vormittag zwischen 10.00 und 11.00 Uhr vor den Bombern über Dresden
gewesen sein soll. Genau dies ist jedoch der springende Punkt bei der
Klärung der Frage. Bei den beiden Veranstaltungen der Kommission zur
Ermittlung der Totenzahlen auf dem Historikertag in Dresden am 1.
Oktober 2008 hat er es jedenfalls hierzu keine Erklärung abgegeben. Auch
auf dem Geschichtsmarkt am 28. und 29. März 2009 war dies so.
Eine Diskussion ist unmöglich
mit jemandem, der vorgibt,
die Wahrheit nicht zu suchen,
sondern schon zu besitzen.
Romain Rolland,
1866-1944, französischer Schriftsteller
und Musikkritiker
Dr. Helmut
Schnatz
"Mythos Menschenjagd"
SZ, 12./13.2.2000
Mir geht es um die
historischen Tatsachen ... Wenn die Leute die Fakten aber nicht
wahrhaben und stattdessen am Mythos festhalten wollen, ist der
Historiker machtlos.
Dr. Fritz Marktscheffel
kommentiert in der
Luftwaffen-Revue 2/2001
den Zeitungsbeitrag
„Mythos Menschenjagd“
SZ, 12./13.2.2000, S. 15,
Wenn der Autor schon mit sehr viel Fleiß
seine Dokumente ausgewertet hat, warum bedient er sich dann noch einer
Argumentation, die ich für sehr fragwürdig halte. Der Behauptung, “Ich
habe alle verfügbaren Quellen ausgewertet", kann nur mit der Frage
entgegnet werden: Woher wissen Sie, Herr Dr. Schnatz, daß Sie
wirklich alle Quellen erfaßt haben? Wieviel waren es, wieviel
standen Ihnen zur Verfügung?
(Hervorhebungen
nachträglich)
Quod non est in actis, non est in mundo.
Was nicht in den Akten ist,
ist nicht in der Welt.
Römischer Rechtsgrundsatz
Quod enim ab omnibus communiter dicitur,
impossibile est totaliter falsum.
Was von allen gemeinsam gesagt wird, das
kann unmöglich vollständig falsch sein.
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